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"Wenn es Ihnen irgendwann leid tut…"

22. November 2017

Die Tochter des NSU-Opfers Mehmet Kubasik appelliert im Gerichtssaal an Beate Zschäpe, ihre Fragen zu beantworten. Sie bietet ihr sogar Beistand an, sollte sie auspacken. Marcel Fürstenau berichtet aus München.

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Deutschland NSU-Prozess Beate Zschäpe
Bild: Getty Images/A. Gebert

"Sie ist genauso schuldig wie diejenigen, die mit eigener Hand auf meinen Vater geschossen haben", sagt Gamze Kubasik am Mittwoch im NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht über die Hauptangeklagte Beate Zschäpe (Artikelbild). Ihr Vater Mehmet wurde am 4. April 2006 in seinem Kiosk in Dortmund ermordet. Er war das achte von zehn Opfern des "Nationalsozialistischen Untergrunds" - NSU. Die mutmaßlichen Todesschützen sind nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft Zschäpes Gesinnungsfreunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.

"Ich verstehe nicht, warum sie nicht zu ihren Taten steht", sagt Gamze Kubasik. "Das finde ich feige, sie hat doch selbst die Videos verschickt." In diesem makaberen Video bekennt sich der NSU zu seinen Taten. Zschäpe verschickte es unmittelbar, nachdem sich Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 das Leben genommen hatten. Gamze Kubasik ist sicher, das Zschäpe den Inhalt kannte und wollte, "dass wir Familien darunter leiden".  

"Warum sagen Sie uns nicht, wie es passiert ist?"

Auch sechs Jahre nach der Selbstenttarnung der Terrorgruppe und nach viereinhalb Jahren NSU-Prozess hat Gamze Kubasik quälende Fragen an die 42-Jährige: "Warum sagt sie uns nicht, wie es passiert ist? Wer hat alles mitgeholfen? Warum wurde mein Vater ausgewählt?" Ähnliche Fragen stellte am Dienstag schon Elif Kubasik, die Witwe des Ermordeten. "Mein Herz ist mit Mehmet begraben" - mit diesem Satz beschrieb sie ihren Gemütszustand.

NSU Prozess Gamze Kubasik 19.09.2013 München
Gamze Kubasik (hier auf einem Archivbild) ist auch von Bundeskanzlerin Kanzlerin Angela Merkel enttäuscht, die 2012 bei der Gedenkfeier für die NSU-Opfer schonungslose Aufklärung versprochen hatteBild: picture-alliance/dpa

Am Mittwoch unternimmt Tochter Gamze einen letzten Versuch, Zschäpe zum Umdenken zu bewegen. "Wenn es Ihnen irgendwann leid tut, dann antworten Sie mir!" Das gehe auch noch, wenn der Prozess vorbei sei. "Ich habe immer noch so viele Fragen, auf die ich keine Antworten habe." Noch immer hofft Gamze Kubasik auf einen Sinneswandel Zschäpes, für die Bundesanwalt Herbert Diemer im September eine lebenslange Freiheitsstrafe gefordert hat.

Verfassungsschutz-Akten bleiben unter Verschluss

Sollte der Strafsenat unter dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl dem Antrag folgen, könnte sie nach 13 Jahren erstmals versuchen, eine Bewährung zu bekommen, sagt Gamze Kubasiks Anwalt Sebastian Scharmer. Wenn Zschäpe bereit wäre, die Namen aller NSU-Helfer zu benennen, würde sich seine Mandantin persönlich dafür einsetzen, "dass die Aufklärung honoriert wird". Von Zschäpes Aussage im Dezember 2015 war sie tief enttäuscht.

Deutschland NSU Prozess Protest
Protest gegen das Schreddern und Zurückhalten von Akten des Verfassungsschutzes mit NSU-Bezug begleitet den Prozess seit seinem Beginn im Mai 2013Bild: DW/M. Fürstenau

Und enttäuscht ist die Nebenkläger-Familie Kubasik auch von der Bundesanwaltschaft. Daran lassen ihre Anwälte nicht den geringsten Zweifel. Carsten Ilius, der die Witwe vertritt, kritisiert die staatlichen Ankläger am Mittwoch für ihr Festhalten an der Trio-Theorie. Demnach bestand der NSU-Kern nur aus Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos. Besonders empört sind Ilius und Scharmer, dass fast alle Anträge auf Akteneinsicht und Ladung von Zeugen abgelehnt wurden. Dabei handelte es sich oft um Akten und Spitzel des Verfassungsschutzes. Damit hofften die Nebenkläger-Anwälte mögliche Verstrickungen staatlicher Stellen in den NSU-Komplex nachweisen zu können.

Neonazis in Dortmund: "Mehmet hat's erwischt"

"Die Ängste meiner Mandantin haben in Dortmund eine sehr reelle Grundlage", sagte Ilius unter Verweis auf die dort aktive Nazi-Szene. Darunter sollen aus der Haft entlassene oder aus dem Ausland zurückgekehrte Rechtsextremisten sein. Als Beispiel erwähnt Elif Kubasiks Anwalt eine Neonazi-Demonstration im Jahr 2014. Dort sei nicht nur "Deutschland den Deutschen" skandiert worden, sondern auch "Mehmet hat es erwischt". Die Polizei habe das ungeahndet geschehen lassen - acht Jahre nach der Ermordung Mehmet Kubasiks in Dortmund.

Seine Tochter Gamze glaubt nicht, dass die Bundesanwaltschaft noch "irgendwen" anklagen werde. Für die sei das abgeschlossen. "Aber für mich und meine Familie ist es nicht abgeschlossen." Sie habe so viel Hoffnung gehabt, dass es nach dem Prozess Sicherheit gebe, aber die gebe es nicht. "Wir werden wahrscheinlich nie zur Ruhe kommen", befürchtet Gamze Kubasik.