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Nowak: "Wir haben einen neuen Ost-West-Konflikt"

Jeanette Seiffert7. Dezember 2013

Inmitten pro-europäischer Proteste traf sich in Kiew die OSZE. Die Organisation habe massiv an Bedeutung verloren, meint der Völkerrechtler Manfred Nowak - weil der Westen und Russland auseinanderdriften.

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Manfred Nowak
Bild: picture-alliance/dpa

Vor fast 40 Jahren leitete die OSZE, damals noch als "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa", das Ende des Ost-West-Konflikts ein. Heute steckt die Organisation in der tiefsten Krise seit ihrer Gründung. Das Grundprinzip, dass alle Entscheidungen im Konsens zwischen den 57 Mitgliedsstaaten fallen müssen, blockiert die OSZE bei wichtigen Aufgaben.

DW: Herr Nowak, Welche Bedeutung hat die Organisation heute, Jahrzehnte nach Ende des "Kalten Krieges", überhaupt noch?

Viele haben gedacht, dass nach der Implosion der Sowjetunion und der anderen kommunistischen Regime 1989 in Europa die OSZE ihre eigentliche wichtige historische Leistung vollbracht hat. Niemand hätte 1975 damit gerechnet, dass diese Entspannungsorganisation so wichtige Konsequenzen nach sich ziehen würde. Trotzdem hat sich sehr schnell gezeigt, dass nach dem Fall des "Eisernen Vorhangs" in den mittel- und osteuropäischen Staaten ein gewisses ideologisches Vakuum entstanden ist, das durch Nationalitäten- und Minderheitenkonflikte aufgefüllt worden ist. Und die wesentliche Bedeutung der OSZE in den 1990er Jahren war es, durch eine "stille Diplomatie", zum Beispiel durch den Hochkommissar für nationale Minderheiten, diese Minderheitenkonflikte auf der präventiven Ebene zu lösen. Und zum zweiten in den Fällen, in denen es zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen ist, insbesondere am Balkan, aber auch zum Teil in den Kaukasusstaaten, durch groß angelegte Missionen nach dem Konzept der "umfassenden Sicherheit" Friedensoperationen, oft auch gemeinsam mit den Vereinten Nationen, durchzuführen.

Dennoch spielt die OSZE in den außenpolitischen Diskursen eine sehr untergeordnete Rolle, vor 2010 gab es ganze elf Jahre lang keine Treffen, der aktuelle Generalsekretär ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Kann man von einer Vertrauens- oder gar von einer Existenzkrise der OSZE sprechen?

Sicherlich. Die OSZE hat viel von ihrer Bedeutung verloren. Zum einen natürlich durch die Anschläge vom 11. September 2001. Zum anderen, dass es zu einem neuen Ost-West-Konflikt zwischen den USA, gerade unter Präsident Bush, und der russischen Föderation unter Putin gekommen ist. Es gibt wechselseitiges Misstrauen statt Vertrauen. Und die OSZE ist, vor allem durch das Konsensprinzip, in allen wesentlichen Bereichen entscheidungsunfähig geworden. Denken Sie zum Beispiel an den Krieg zwischen Russland und Georgien um Südossetien 2008, da hat die OSZE de facto keine entscheidende Rolle mehr gespielt. Das ist schade, weil in der OSZE eigentlich genug Potenzial vorhanden wäre.

Angela Merkel hat kürzlich Putin scharf für die Einmischung in Sachen Assoziierungsabkommen mit der Ukraine kritisiert, Außenminister Guido Westerwelle hat beim aktuellen Außenministertreffen der OSZE in Kiew noch einmal nachgelegt. Lebt in der OSZE ein Stück weit das Blockdenken aus den Zeiten des "Kalten Krieges" fort?

Ja. Aber das hängt sehr stark mit der nationalistischen Politik zusammen, die Putin in der russischen Föderation betreibt. Alle offenen Territorialkonflikte, für die ja die OSZE eigene Mechanismen entwickelt hat, sind lahm gelegt. Das gilt für Georgien, also Südossetien und Abchasien, für Moldawien, da geht es um Transnistrien - das sind alles Gebiete, die faktisch von Russland okkupiert sind beziehungsweise gelenkt werden. Und das gilt zum dritten für den Karabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Das heiß, hier ist es zu einem neuen Ost-West-Konflikt gekommen.

Besondere Aufmerksamkeit erhält die OSZE bei ihren Wahlbeobachtermissionen - viele Jahre lang war das eine Erfolgsgeschichte und besonders wichtig in den wenig demokratischen postsowjetischen Staaten. Doch auch diese Missionen sind in Verruf geraten, weil nach der Präsidentschaftswahl in Armenien Anfang 2013 zwei unterschiedliche offizielle Stellungnahmen der OSZE erschienen sind. Sind auch die Wahlbeobachtungen mittlerweile bedeutungslos geworden?

Von Bedeutungslosigkeit würde ich nicht sprechen. Denken Sie zum Beispiel an die ersten Wahlen, die in Bosnien-Herzegowina stattgefunden haben, die hat die OSZE nach drei Jahren Krieg, Vertreibung und Völkermord mit tausenden Helfern organisiert, ähnlich war es im Kosovo. Die OSZE hat viel getan für den Aufbau demokratischer Strukturen und für die Durchführung demokratischer Wahlen. Und das würde ich auch heute noch sagen, dass das "Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte" in Warschau eine der führenden Organisationen ist. Aber auch hier ist der Druck auch von Seiten der politischen Kräfte sehr stark geworden - und das hinterlässt natürlich Spuren. Und in sofern werden auch diese Aufgaben heute sehr viel weniger effizient durchgeführt als in früheren Zeiten.

In zwei Jahren, 2015, gibt es die Konferenzen seit 40 Jahren. Bis dahin will sich die OSZE neu aufstellen - welche Chancen geben Sie grundlegenden Reformen, und wie müssten sie aussehen?

Ich glaube, in der derzeitigen Konstellation ist es wirklich schwer, grundlegende Reformen durchzuführen, sei es im Menschenrechtsbereich, sei es im Demokratiebereich, wenn sich nicht viel im Inneren verändert, insbesondere in der russischen Föderation. Ohne eine neue politische Orientierung sehe ich, vor allem wegen des Konsensprinzips der OSZE, wenige Möglichkeiten, große Sprünge innerhalb des Systems zu machen. Russland muss sich entscheiden: Bin ich ein europäischer Staat, und will ich im Konzert der europäischen Mächte eine verantwortliche und nicht eine eskalierende Rolle spielen.

Der Jurist und OSZE-Experte Manfred Nowak (63) lehrt als Völkerrechtler an der Universität in Wien. Zwischen 1996 und 2003 arbeitete Nowak als Richter des Internationalen Gerichtshofs in Bosnien Herzegowina. 2004 wurde er von der UN-Menschenrechtskommission zum Sonderberichterstatter über Folter benannt. Nowak ist wissenschaftlicher Leiter und Mitbegründer des Wiener Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte (BIM) und Mitglied einer Expertengruppe der Vereinten Nationen.