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Norwegen sucht im Eiltempo nach Erklärungen

23. Juli 2011

Es sei eine "nationale Tragödie", sagte Norwegens Ministerpräsident Stoltenberg. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Was genau steckt hinter den Anschlägen, bei denen mehr als 90 Menschen getötet wurden?

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Jens Stoltenberg (Foto: dapd)
"Es ist ein Albtraum", sagte StoltenbergBild: dapd

Das Massaker habe aus einem Paradies für Jugendliche eine Hölle gemacht, äußerte sich der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg bestürzt über das Blutbad in einem Ferienlager einer sozialdemokratischen Jugendorganisation auf der Insel Utoya. Bei einer Pressekonferenz am Samstag (23.07.2011) sagte er, es sei die schlimmste Katastrophe in Norwegen seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Tat sei "unbegreiflich". Er habe mehrere der mindestens 84 Opfer auf Utoya, einer Insel vor Oslo, gekannt und wolle im Tagesverlauf Überlebende des Massakers und deren Angehörige besuchen, so der Ministerpräsident. Der Angriff schmerze ihn umso mehr, als er Utoya seit 1974 jedes Jahr besucht habe. Die Flaggen im Land würden nun auf Halbmast gesetzt.

Massaker in Ferienidylle

Verletzte werden auf den Straßen Oslos versorgt (Foto: dapd)
Die Wucht der Detonation war noch außerhalb Oslos zu spürenBild: dapd

Mindestens 91 Menschen waren bei dem Doppelanschlag am Freitag getötet worden. Die meisten Toten gab es auf der kleinen Insel Utoya. Dort hatte ein als Polizist verkleideter Attentäter am frühen Abend das Feuer auf die Besucher des Ferienlagers eröffnet. Etwa 30 Minuten Zeit hatte der Schütze, bevor das Sondereinsatzkommando eintraf und das Blutbad mit der Verhaftung des Täters beendete. Zunächst hatte es geheißen, zehn Menschen seien auf Utoya erschossen worden. Am Samstagmorgen teilte die Polizei mit, es seien mindestens 84 Opfer.

Überlebende des Blutbads berichten, wie sie versucht haben, sich tot zu stellen. Der Täter habe aber viele nach einem ersten Schuss noch einmal in den Kopf geschossen, erzählte die 21-jährige Augenzeugin Dana Berzingi. Die 15-jährige Elise sei sogar vom Täter aufgefordert worden, näher zu ihm kommen. Gemeinsam mit anderen Jugendlichen habe sie die Anweisung des Täters befolgt, da sie sich aufgrund seiner Polizistenunform sicher fühlte. Vor ihren Augen habe dieser dann begonnen, die Jugendlichen zu erschießen.

Wenige Stunden vor dem Massaker auf der Insel waren bei einem verheerenden Bombenanschlag in Oslo mindestens sieben Menschen getötet worden. Etliche Personen erlitten Verletzungen. Die Wucht der Detonation am Freitagnachmittag verwüstete mehrere Gebäude, darunter den Amtssitz von Stoltenberg, der jedoch zum Tatzeitpunkt nicht in seinem Büro war.

Auf Spurensuche

Noch immer unklar sind die genauen Hintergründe der beiden Taten, und ob wirklich ein Zusammenhang zwischen den Anschlägen besteht. Stoltenberg und sein Justizminister Knut Storberget warnten vor voreiligen Schlüssen. Die Ermittlungen stünden noch am Anfang.

Utoya Insel vor Oslo (Foto: dapd)
Idylle in Hölle verwandelt: UtoyaBild: dapd

Der Ministerpräsident bestätigte, dass ein Verdächtiger im Zusammenhang mit dem Blutbad in Utoya in Gewahrsam genommen worden sei. Die Polizei fandet aufgrund von Zeugenaussagen nun auch nach einem möglichen zweiten Täter. Die Ermittler gingen bislang davon aus, dass der 32-jährige verhaftete Norweger für beide Taten verantwortlich ist. Er vertritt den Angaben zufolge offenbar rechte und islamfeindliche Positionen. Internet-Botschaften des Verdächtigen offenbarten einen "christlichen Fundamentalismus". Die Polizei schließt jedoch auch nicht aus, dass er Teil einer Gruppe sein könnte. Der Verdächtige ist den Angaben der Polizei zufolge zur Aussage bereit. Die norwegische Nachrichtenagentur NTB berichtete, der Mann habe legal zwei Waffen besessen und einem Schützenverein angehört.

Stoltenberg will Panik vermeiden

Es gebe derzeit keinen Grund, das Bedrohungslevel Norwegens anzuheben, sagte der Ministerpräsident. Das Militär arbeite eng mit der Polizei zusammen. Das Regierungsgebäude sei derzeit außer Betrieb, man treffe sich an einem anderen Ort, sagte Stoltenberg.

Die Einwohner Oslos waren zuvor aufgefordert worden, in ihren Häusern zu bleiben. Die Behörden wollten diese Aufforderung aber nach und nach lockern. Norwegen sei "eine offene Gesellschaft und zeichne sich durch Toleranz aus, diese wolle man auch nach dem Massaker unbedingt beibehalten, sagte Stoltenberg. Die Regierung werde nun reagieren, damit diese Werte nicht ihn Gefahr gerieten.

Internationales Entsetzen über Anschläge

Der Anschlag und das Massaker in Norwegen haben auch die internationale Gemeinschaft erschüttert. Die USA, Russland, Israel, Österreich und Großbritannien haben Stoltenberg Hilfe bei der Aufklärung der Ereignisse angeboten. Man stehe Norwegen in dieser schweren Stunde zur Seite, sagte der österreichische Außenminister Michael Spindelegger. Auch Großbritanniens Premier David Cameron bot eine enge Zusammenarbeit der Geheimdienste beider Länder an. Er sei geschockt und tief betroffen.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte die Anschläge. Das Auswärtige Amt in Berlin rief alle Deutschen in Oslo zur Vorsicht auf.

Autor: Nicole Scherschun (afp, dpa, dapd, rtr)
Redaktion: Susanne Eickenfonder