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Nordkorea weiß, wo die Provokationen aufhören müssen

23. November 2010

Wie gefährlich ist der jüngste Angriff Nordkoreas auf eine südkoreanische Insel? DW-WORLD.DE sprach darüber mit Dr. Markus Tidten, Ostasien-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

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Rauch bei Hausbränden auf der Insel Yeonpyeong, Foto: AP
Auf der Insel Yeonpyeong lösten die Einschläge Brände ausBild: AP

DW-WORLD:DE: Herr Tidten, was war das konkrete Ziel des Angriffs?

Dr. Markus Tidten: Das ist überhaupt noch nicht klar, wir sind hier auf Spekulationen angewiesen. Ich vermute, dass es sich um eine Reaktion Nordkoreas auf die Seemanöver Südkoreas in diesem Gebiet handeln könnte. Nordkorea hatte vor einer solchen Reaktion gewarnt, aber das ist immer der Fall, wenn Südkorea oder die USA Manöver in diesem Gebiet durchführen. Das Manöver fand nahe der umstrittenen Seegrenze statt, die Insel selbst, die gerade 1800 Einwohner hat, liegt in unmittelbarer Nähe dieser Seegrenze, der sogenannten "Northern Limit Line". Wahrscheinlich sollte nur dieses Seegebiet beschossen werden, allerdings wurde auch die Insel selbst getroffen und zwar heftig. Es wurden mindestens 80 Einschläge gemeldet. Alle Seiten, also die USA, China und Südkorea versuchen nun, eine weitere Eskalation zu verhindern. Man muss abwarten, was Nordkorea bezweckt, denn diese Feindseeligkeiten sind mit Abstand die heftigsten seit Jahren.

Für wie gefährlich halten Sie diesen jüngsten Zwischenfall?

Ich vermute, dass dieser Zwischenfall erst einmal dramatisch aussieht. Aber wenn man es im Gesamtzusammenhang sieht, dann passt er in Nordkoreas Provokationslinie. Ich bin mir nicht sicher, ob das nordkoreanische Militär sich im Klaren darüber ist, was das auslösen könnte. Eigentlich haben diese Provokationen nur ein Ziel. Die Botschaft, die dahinter steht, ist folgende: "Wir sind eine starke Macht, wir sind jetzt auch Atommacht, wir lassen uns nicht herumkommandieren, und wir wollen auf jeden Fall respektiert werden."

Die ganze Welt, insbesondere die vier wichtigen Verhandlungspartner der Sechs-Parteien-Gespräche, warten auf eine Wiederaufnahme der Verhandlungen, die ja seit über einem Jahr auf Eis liegen und bei denen es um die Denuklearisierung geht. Nordkorea ist bekanntermaßen nicht bereit dazu. Das Land scheint sogar in der Lage zu sein, Uran anzureichern, es ist intensiv damit beschäftigt, sein Nukleararsenal auszubauen und zu verschärfen. Man sammelt offenbar Trumpfkarten in diesem Pokerspiel, das wir uns jetzt schon seit fast drei Jahrzehnten ansehen müssen.

Es geht also um Machtdemonstrationen, aber kann man sagen, wie groß tatsächlich die Gefahr ist, die von Nordkorea ausgeht?

Da würde ich mal sagen, dass da übertrieben wird. Schließlich haben wir im Süden ein technisch bestens ausgerüstetes Militär in Zusammenarbeit mit dem Militär der USA. Wir haben permanent rund 30.000 amerikanische Soldaten in Südkorea, und wir haben das südkoreanische Militär mit rund 700.000 Mann. Auf der Nordseite haben wir zwar ein kleineres Land, aber immerhin über eine Million Männer unter Waffen - aber eben sehr viel schlechter ausgerüstet. Eine ernsthafte Bedrohung sehe ich eigentlich nicht, denn die wirklich verantwortlichen Köpfe in Pjöngjang, also die Militäroligarchie, wissen sehr genau: Ab einer bestimmten Eskalationsstufe müssen sie mit einem massiven Gegenschlag rechnen und das wäre das Ende des nordkoreanischen Regimes und damit auch des nordkoreanischen Militärs. Vor diesem Hintergrund würde ich vermuten, dass man genau weiß, wo man mit den Provokationen aufhören muss.

Auch Japan ist jetzt in erhöhter Alarmbereitschaft. Premierminister Naoto Kan hat sein Kabinett angewiesen, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten. Was hat Japan konkret zu befürchten?

Japan ist ja der zweite wichtige Verbündete der USA in dieser Region. Die jetzige Regierung in Tokio ist recht schwach. Japan selbst hat mit Blick auf Nordkorea aber eine ganz eigene Agenda. Es geht hier um eine historische Belastung und die geht zurück auf das Jahr 1910, als Japan die gesamte koreanische Halbinsel kolonialisierte und zwangsweise Koreaner nach Japan übersiedelte. Wir haben jetzt Nachkommen dieser Zwangsübersiedler in der zweiten und dritten Generation. In der geschlossenen japanischen Gesellschaft sind das rund 600.000 ethnische Koreaner. Und diese ethnische Minderheit birgt ein Risiko. Es gibt eine gewisse anti-koreanische Stimmung, vor allem Nordkorea gegenüber. Nordkorea dagegen betrachtet Japan nach wie vor als Erzfeind. Es gibt keinen Friedensvertrag, keine diplomatischen Beziehungen zwischen Tokio und Pjöngjang, und Nordkorea sieht Japan als Handlanger der USA. Man weiß aber auch in Nordkorea, dass ein Angriff auf Japan einem Angriff auf die Vereinigten Staaten gleichkäme. Aber man provoziert Tokio gerne, zumal die Regierung dort gerade in einem sehr schwachen Zustand ist.

Dr. Markus Tidten ist Ostasien-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin

Das Gespräch führte Esther Broders
Redaktion: Nicola Reyk