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"Noch nicht alle kennen unsere Möglichkeiten"

18. September 2006

Max-Peter Ratzel, Direktor von Europol, über internationale Verbrechensbekämpfung, Datenstaus und das Verhältnis zu Interpol.

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Max-Peter Ratzel (Archiv)Bild: dpa

DW-WORLD: Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit in der internationalen Verbrechensbekämpfung wirklich?

Max-Peter Ratzel: Diese Frage impliziert eine gewisse Skepsis. Dieser Skepsis kann man guten Gewissens insoweit entgegentreten, weil sich die internationale Zusammenarbeit in den letzten Jahren erheblich verbessert hat. Dies ist auch ein Erfolg der Errichtung von Europol und insbesondere der Kommunikationsplattform, die Europol für die verschiedenen Mitgliedsstaaten bietet.

Wo klappt es besonders gut und wo gibt es noch Verbesserungsbedarf?

Die Zusammenarbeit funktioniert in den letzten Jahren zunehmend besser, auch was die Fülle und Qualität der Daten betrifft, die wir austauschen. Und die Übermittlung erfolgt immer schneller. Dies ermöglicht es uns, die Ermittlungsergebnisse aus der Analyse der Daten an die Mitgliedsstaaten zurückspielen zu können und sie dabei in ihren aktuellen Ermittlungen zu unterstützen. Zusätzlich erstellen wir strategische Analysen, Lagebilder und Bedrohungsszenarien für polizeiliche aber auch politische Entscheidungsebenen. Verbesserungsbedarf gibt es bei dieser Informationszulieferung.

Befürchten nicht manche Mitgliedsstaaten eine Einbuße ihrer nationalen Souveränität?

Es ist das Grundprinzip von Europol, dass nationale Souveränitäten nicht beeinträchtigt werden. Nur das

Verständnis dafür, dass man Daten so früh wie möglich austauscht, ist noch nicht völlig in das Bewusstsein aller Beteiligten gedrungen. Dies hängt damit zusammen, dass früher Beamte Ermittlungen vom lokalen in das regionale, vielleicht internationale Milieu übertragen haben, heute aber muss man davon ausgehen, dass schwere, grenzüberschreitende Kriminalität automatisch von der europäischen Ebene ausgeht und Ermittlungen von Anfang an offener und weiter angelegt werden müssen. Die Frage der gleichen Kultur des Informationsaustausches ist viel schwieriger als die Frage von Souveränität.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, bei dem internationale Verbrechensbekämpfung nicht funktioniert hat und noch Verbesserungsbedarf besteht?

An einem aktuellen Fall kann ich zunächst abstrakt den Vorteil beschreiben: Kürzlich kam eine Dienststelle auf uns zu, die einen Verdacht auf internationale Verflechtungen in einem Ermittlungsfall hatten. Durch den Abgleich von Daten konnten wir in kürzester Zeit Bezüge zu anderen, internationalen Ermittlungsverfahren feststellen. Darauhin konnten die Ermittler völlig anders planen und von einem multilateralen Informationsaustausch ausgehen. Wir können zu gemeinsamen Besprechungen einladen. Dies ist ein klassisches Beispiel, wie es funktionieren kann. Negative Beispiele sind, wenn wir zu spät diese Informationen bekommen.

Woran lag es in der Vergangenheit, dass Sie diese Informationen erst relativ spät erhalten haben?

Offenbar existiert noch eine Fülle von Dienststellen, die mit uns kooperieren könnten, aber noch nicht im Detail über die Möglichkeiten der Kooperation informiert sind.

Wie ist denn das Verhältnis zwischen Europol und Interpol?

Europol ist eine Institution, die auf politischen Beinen steht, die eine eigene Konvention hat, die innerhalb der europäischen Union und innerhalb ihres Mandatsbereiches, unser bevorzugter Kooperationspartner ist. Zusätzlich haben wir Gesetze, die den Informationsaustausch regeln und dabei Datensicherheit und Datenschutz nach EU-Standard garantieren. Interpol ist darüber hinaus für Informationsaustausch und auch für die Analyse von Daten zuständig, die außerhalb des Europolmandates liegen. Wir versuchen Interpol und Europol komplementär zueinander zu betreiben.

Ist diese Zusammenarbeit zufrieden stellend?

Auch in diesem Fall hat sich die Kooperation in den letzten Jahren stetig fortentwickelt. Wir haben derzeit eine Verbindungsbeamtin, die bei Interpol im Generalsekretariat arbeitet. Ich habe mich kürzlich mit dem Generalsekretär von Interpol, Ronald K. Noble, darüber unterhalten, wo wir Verbesserungsmöglichkeiten sehen und er hat entschieden, dass ab dem 1. Oktober dieses Jahres ein Verbindungsbeamter von Interpol zu uns kommen wird, um diese Verbindung auch stärker zu personalisieren.

Internationaler Terrorismus ist das bestimmende Thema spätestens seit dem 11. September 2001. Wie sehr hat das Ihre Arbeit verändert?

Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist für uns nach wie vor eine Top-Priorität. Dem entspricht auch die personelle Ausgestaltung dieses Arbeitsbereiches und die noch engere Kooperation mit den Mitgliedsstaaten. Ich bin froh, dass wir im Bereich des Terrorismus erheblich an Verständnis in den Mitgliedsstaaten wecken konnten, dass dort der Informationsaustausch mittlerweile wirklich gut funktioniert und dass wir dort aktuelle Ermittlungsverfahren unterstützen können. Im letzten Jahr haben wir über 40 Ermittlungsverfahren unterstützt. Aktuell liegen wir bei über 20 Verfahren.

Das Interview führte Ina Rottscheidt