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Kein Impfstoff gegen Tuberkulose

Andreas Neuhaus
16. März 2018

Tuberkulose ist weltweit die tödlichste Infektionskrankheit. Die Erkrankung ist noch immer weit verbreitet, gerade in ärmeren Ländern. Ein wirksamer Impfstoff kann Millionen von Menschenleben retten.

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TBC Tuberkulose Frau Patientin Südafrika
Bild: Alexander Joe/AFP/Getty Images

Deutsche Welle: Wie viele Menschen tragen den Erreger weltweit in sich und wie viele werden krank?

Prof. Stefan H. E. Kaufmann: Weltweit sind etwa 1,7 Milliarden Menschen infiziert. Das ist ein Viertel der Weltbevölkerung. Davon werden etwa zehn Prozent im Laufe ihres Lebens erkranken.

DW: Wie viele Menschen sterben an der Krankheit?

Ohne Behandlung stirbt etwa jeder Zweite bis Dritte an einer Tuberkulose. Es hängt also sehr davon ab, ob die Tuberkulose richtig behandelt werden kann. Dann ist das Risiko, dass sie zum Tod führt, äußerst gering. Weltweit sterben allerdings noch immer jedes Jahr etwa 1,7 Millionen Menschen an Tuberkulose. Damit ist TBC die tödlichste, ansteckende Krankheit überhaupt auf unserem Globus.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich selber einen Tuberkulose-Erreger in mir trage?

Die Wahrscheinlichkeit ist davon abhängig, ob Sie häufig in einem hoch endemischen Gebiet gelebt haben oder hauptsächlich in Deutschland. In Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern ist die Chance gering. Das Risiko ist jedoch enorm hoch, wenn Sie sich weitgehend in hoch endemischen Gebieten aufgehalten haben - zum Beispiel in den Townships Südafrikas oder den Slums von Kalkutta.

Warum kann ich mich nicht einfach gegen Tuberkulose impfen lassen wie gegen die Grippe?

Weil die Immunantwort, die den Tuberkulose-Erreger bekämpft - also unsere körpereigene Antwort - sehr viel komplizierter ist als bei einer grippalen Infektion, also bei der Grippe. Und wir verstehen bis heute nicht, wie wir die Immunantwort gegen den Tuberkulose-Erreger am besten anstoßen können. Bei der Grippe handelt es sich in erster Linie um Antikörper, die man relativ gut stimulieren kann. Bei der Tuberkulose organisieren lebende Blutzellen - wir nennen sie T-Lymphozyten - die Abwehr. 

Es gibt also momentan keinen Impfstoff, der bei Erwachsenen wirksam ist?

Es gibt keinen Impfstoff für die Kontrolle der Tuberkulose bei Erwachsenen. Wir haben nur einen Impfstoff, der vor den schlimm verlaufenden Formen der Tuberkulose bei Kleinkindern und Neugeborenen schützt.

Stefan H.E. Kaufmann, Direktor des Max-Planck-Instituts für Infektionsbiologie
Stefan H.E. Kaufmann forscht an einem TBC-ImpfstoffBild: picture-alliance/dpa

Wie stark hängt Tuberkulose mit Armut zusammen?

Tuberkulose ist ganz sicher eine Krankheit der Armut. Unter schlechten Bedingungen wird sich die Tuberkulose besser ausbreiten. Es gibt auch mehr Tuberkulosefälle unter den Infizierten. Die Gründe dafür sind erstens: eine schlechte beziehungsweise eine ungenügende Ernährung. Zweitens: das Zusammenleben auf engstem Raum, wenn vielleicht zehn Familienmitglieder zusammen in einem Raum leben und schlafen. Und drittens ist die Lüftung sehr wichtig. Denn wo es keine Lüftung gibt, kann der Erreger besser eine andere Person anstecken. Dort, wo ein ordentlicher Windzug durch die Räume geht, wird der Erreger schneller hinausgetrieben. 

Mehr dazu: TBC-Früherkennung bei Flüchtlingen vordringlich

Warum ist Tuberkulose in osteuropäischen Ländern wie der Ukraine so weit verbreitet?

Da spielen sehr viele Faktoren zusammen. Sehr wichtig ist etwa die Auflösung der Sowjetunion, in der es ein stabiles Gesundheitssystem gab. Die Nachfolgeländer der Sowjetunion hatten ein viel schlechteres Gesundheitssystem. Hinzu kommt sicherlich auch noch der Afghanistankrieg, den die Sowjetunion geführt hatte. Damals gab es unter den Soldaten eine enorme Zunahme an HIV-Infektionen - und der Erreger von HIV/Aids unterstützt wesentlich auch den Ausbruch einer Tuberkulose.

Warum sind die Keime in solchen Ländern besonders schwer zu bekämpfen?

In vielen Ländern, besonders in Osteuropa, nimmt gerade die multiresistente Tuberkulose zu. Sie ist sehr viel schwerer zu bekämpfen. Das liegt auch wieder an der schlechten Gesundheitsversorgung. Die Menschen nehmen ihre Medikamente nicht regelmäßig ein. Sie hören oft schon nach zwei Monaten wieder auf, ihre Medikamente einzunehmen. Wir nennen das schlechte Compliance. Es ist nämlich so, dass bei der Tuberkulose über sechs Monate lang vier bis sechs Medikamente eingenommen werden müssen. Wenn man das nicht konsequent durchführt, kommt es zu resistenten Stämmen, die schwer oder gar nicht behandelt werden können.

Gibt es schon Stämme die gar nicht mehr zu behandeln sind?

Leider gibt es bereits extensiv resistente Stämme, die in der Theorie vielleicht noch behandelbar sind, in der Praxis aber nicht mehr. Sie müssen sich vorstellen: Patienten mit einer multiresistenten Tuberkulose müssen über zwei Jahre etwa 15.000 Pillen schlucken. Das ist enorm viel. Zum Teil werden die Medikamente nicht geschluckt, sondern müssen gespritzt werden. Man kann sagen: Die Katastrophe der Multiresistenz bahnt sich an, denn der Tuberkulose-Erreger kennt keine Grenzen. Er gelangt auch nach Europa. Wir sehen schon jetzt einen leichten Anstieg an multiresistenten Keimen. Wir können im Augenblick sehr wenig tun.

Ist es das Fernziel, dass man Tuberkulose in Zukunft ausrotten kann, wie etwa Pocken oder Kinderlähmung?

Das Fernziel wäre sicherlich die Elimination der Tuberkulose. Das wird aber noch sehr lange dauern. Ich denke, dass wir 30 bis 50 Jahre brauchen, um die Tuberkulose auf eine ganz niedrige Zahl zu reduzieren. Die WHO hofft, dass man das schon in den Jahren 2025 bis 2030 erreichen könnte. Ich bin da etwas zurückhaltender. Ob wir die vollständige Ausrottung erreichen werden, ist zur Zeit schwer zu beantworten.

Sie haben jetzt in Indien eine Studie mit einem neuen Impfstoff begonnen. Wie zuversichtlich sind Sie?

Indien ist eines der Länder, die von der Tuberkulose besonders geplagt werden. Wir schätzen, dass dort mindestens eine Million Menschen an Tuberkulose erkrankt sind. Und auch die Multiresistenz nimmt in Indien stark zu. Wenn unsere klinischen Studien erfolgreich verlaufen, dann hätten wir einen Impfstoff, der auch bei Erwachsenen wirkt. Für mich wäre das die Erfüllung eines großen Traums.

Professor Stefan H. E. Kaufmann ist seit 1993 Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie und seit 1998 Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Charité in Berlin. 

Das Interview führte Andreas Neuhaus