1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Polen kommen

7. Dezember 2010

Arbeitslosigkeit und Abwanderung - der dünn besiedelte Landstrich im Nordosten von Deutschland steht vor einigen Herausforderungen. Doch keine Sorge: die Polen kommen, und mischen diese vergessene Gegend wieder auf.

https://p.dw.com/p/QQl0
Ein schwarz-rot-gelber deutscher Grenzpfeiler und ein rot-weißer polnischer Grenzpfeiler markieren die Grenzübertrittsstelle an der grünen Grenze zwischen Deutschland und Polen in Schwennenz in Mecklenburg Vorpommern (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Ab dem Autobahnkreuz Uckermark wird es abenteuerlich. Der Straßenbelag stammt noch aus DDR-Zeiten, es ruckelt und rumpelt - eine Herausforderung nicht nur für die Stoßdämpfer. Die Autobahnausfahrten werden seltener. Die Gegend ist dünn besiedelt, einige Häuser in den Dörfern stehen leer und verfallen.

Während viele auf der Suche nach Arbeit wegziehen, zieht es die polnischen Nachbarn jedoch genau hierher. "Die Grundstücke sind viel günstiger als auf der polnischen Seite. Außerdem ist es ruhiger als in der Großstadt und doch ist Stettin nicht weit weg", sagt Konrad Modrzejewski. Der gebürtige Pole arbeitet für die kommunale Wohnungsverwaltung von Löcknitz und ist dort für die polnischen Kunden zuständig. Der 29-Jährige ist ein Kind der Grenzregion. Im polnischen Stettin aufgewachsen, besuchte er das deutsch-polnische Gymnasium in Löcknitz, machte später eine Ausbildung zum Immobilienkaufmann und wurde anschließend übernommen. Seine Frau arbeitet als Einzelhandelskauffrau in Stettin. Gemeinsam wohnen sie in auf der deutschen Seite in einem Dorf in der Nähe von Löcknitz.

Polen möbeln alte Häuser wieder auf

Vom Verfall gekennzeichnet ist das Herrenhaus in Lancken im nordwestlichen Teil der Halbinsel Wittow auf der Insel Rügen (Foto: dpa)
Verfallenes Haus sucht sanierungsfreudigen PolenBild: picture-alliance/ ZB

Die Modrzejewskis wohnen in einem gemütlichen Häuschen auf dem Land, liebevoll saniert mit glänzendem Fliesenboden, dunkelbraunem Laminat und einem modernen Kamin, in dem einladend ein Feuerchen knistert. "Die Häuser, die sich für Deutsche zum Renovieren nicht mehr rentieren, werden von polnischen Bürgern gerne gekauft. Die renovieren sie dann selbst oder fragen ihre Verwandten und sparen so die Handwerkerkosten. Deshalb lohnt es sich dann, ein Haus für 20.000 oder 30.000 Euro zu kaufen", sagt Modrzejewski. So erlebt die vergessene deutsche Region einen kleinen deutsch-polnischen Boom.

Etwa 20 Kilometer entfernt liegt das polnische Stettin. In der größten Stadt Westpommerns leben rund 400.000 Menschen, die Grundstücke dort kosten teilweise doppelt so viel wie auf der deutschen Seite. Wer von einem eigenen Haus träumt, weicht daher gerne auf Löcknitz und Umgebung aus. Das gilt auch für Unternehmen. Die polnische Firma "Fleischmannschaft" beispielsweise suchte dringend eine Dependance in Deutschland, um ihre Waren - Gewürze für den Großhandel und die Wurstproduktion - besser an deutsche Kunden liefern zu können. "Die Grundstücke hier in der Region sind um ein Vielfaches billiger als in Polen. Das hätten wir uns früher nie vorstellen können, aber es ist so. Auch die Löhne gleichen sich immer mehr an", sagt Marcin Baryliszyn, Geschäftführer von "Fleischmannschaft" in Löcknitz.

Polen schaffen Arbeitsplätze

Am deutsch-polnischen Grenzübergang in Frankfurt wehen die Fahnen von Deutschland, der Europäischen Union und von Polen (Foto: DPA)
Gelebte Euro-Region jenseits von SymbolpolitikBild: picture-alliance/ dpa

Von seinen acht Mitarbeitern sind drei deutsche - Sebastian Genz ist einer von ihnen. Der gelernte Elektro-Installateur findet in der strukturschwachen Region mit einer Arbeitslosenquote von rund 20 Prozent schon lange keinen Arbeitsplatz mehr in seinem Beruf. Viele Jobs hat er schon ausgeübt, seit einem Jahr arbeitet er für Marcin Baryliszyn und ist mit seinem neuen Arbeitgeber sehr zufrieden. "Auch meine Frau und mein Sohn finden es super, dass ich in Löcknitz Arbeit gefunden habe. Das ist das Beste, was einem passieren kann: Geld verdienen, weg vom Arbeitsamt", sagt Genz und vermittelte daher auch gleich seinen Schwager an "Fleischmannschaft".

Ob ihr Arbeitgeber nun ein Deutscher oder ein Pole ist, spiele für sie keine Rolle und beide können nur den Kopf darüber schütteln, dass einige in Löcknitz behaupten, die zugezogenen Polen würden Arbeitsplätze wegnehmen.

Polen verarzten die Gegend

Wahlplakat der NPD, auf welchem steht: Grenzen dichtmachen für Kriminelle (Foto: DW)
Wahlwerbung der NPD bedient alte VorurteileBild: DW

Das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen in der Gegend war nicht immer so gut. Die rechte NPD, die nationaldemokratische Partei Deutschlands, erreichte hier mit fremdenfeindlichen Kampagnen Wahlergebnisse von bis zu 20 Prozent. Doch durch das neue Miteinander in der Region verlieren die NPD-Losungen an Zustimmung. Bei den vergangenen Kommunalwahlen im Jahr 2009 sank der NPD-Wähleranteil immerhin auf 13 Prozent. Für Bürgermeister Lothar Meistring ist das ein Zeichen für eine langsame Normalisierung der deutsch-polnischen Nachbarschaft. "Wir haben einen polnischen Arzt in Löcknitz, den wir glücklicher Weise hier ansiedeln konnten", erzählt Meistring. Das sei gar nicht so einfach gewesen, denn "die NPD hat mit Losungen wie 'Polen-Invasion stoppen' dagegen geschossen. Da wollte der Arzt von heute auf morgen nicht mehr kommen." Zum Glück hat er es sich dann doch anders überlegt, denn die Löcknitzer hatten lange händeringend nach einem neuen Arzt gesucht. "Der ist jetzt seit gut einem Jahr hier. Er hat deutsche und polnische Patienten."

Bürgermeister Meistring verschweigt gleichzeitig nicht die negativen Fälle von polnischen Zuzüglern, die sich in Löcknitz nur anmeldeten, um Kindergeld und weitere Sozialleistungen abzugreifen. "Glücksritter" nennt er sie und fügt hinzu, dass es sich um eine Minderheit handele, die auch schnell gemerkt habe, dass ein Umzug nach Deutschland gar nicht so leicht sei und nur funktioniere, wenn man ernsthafte Interessen für einen Neuanfang habe.

Polen kurbeln die Kaufkraft an

Zweisprachige Kita in Löcknitz mit Kindern (Foto: Zbigniew Plesner)
Zweisprachige Kita in LöcknitzBild: Zbigniew Plesner

Trotz dieser Ausreißer profitiere seine Stadt in erster Linie von der Nähe zu Polen. "Wohnungsleerstand ist bei uns kaum vorhanden und auch die Kaufkraft wächst mit den polnischen Bürgern. Die deutsch-polnische Grenze ist keine Einbahnstraße mehr", sagt Meistring. Ein Discounter eröffnete beispielsweise die größte deutsche Filiale in Löcknitz. "Nicht nur wir Deutschen fahren nach Polen einkaufen, sondern die polnischen Bürger kommen auch nach Deutschland, um einkaufen."

Auf eine Neueröffnung ist Lothar Meistring besonders stolz: Während in den umliegenden Gemeinden vor allem die jungen Leute wegziehen, bekommt Löcknitz einen neuen Kindergarten mit 170 Plätzen - zweisprachig versteht sich. Vielleicht wird hier eine neue Generation von Löcknitzern aufwachsen, die sich die Frage nach polnischer oder deutscher Nationalität gar nicht mehr stellen wird.

Autorin: Nadine Wojcik

Redaktion: Kay-Alexander Scholz