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Noch einmal Auschwitz

Volker Wagener12. September 2016

Sie waren nur mittelbar beteiligt, werden aber nun doch zur Rechenschaft gezogen: alte Männer, die in Konzentrationslagern Dienst taten. Und das nicht nur an der Rampe. Zum Beispiel der 95-jährige Hubert Z.

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Hubert Z. im Gerichtssaal in Neubrandenburg (Foto: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck)
Mehrfach wurde der Prozess-Auftakt gegen Hubert Z. verschobenBild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

Alles war vorbereitet: der große Saal im Landgericht Neubrandenburg war bis auf den letzten Platz besetzt. Extra für diesen einen Prozess war die Kapazität des Gerichtssaals durch Mauer-Durchbrüche vergrößert worden. Nicht genug: Eine zusätzliche Sicherheitsschleuse und ein Extraraum für die Medienvertreter waren erstellt. Journalisten aus Amerika und Israel hatten sich angekündigt. Ende Februar sollte das Verfahren gegen Hubert Z. beginnen, doch genau er, der Angeklagte, fehlte. Seine Gesundheit lasse ein Erschienen nicht zu, bestätigte damals eine Notärztin - zu hoher Blutdruck.

Verantwortung tragen trotz Alter und Krankheit

Am 17. Mai nimmt das Gericht einen neuen Anlauf, die Rolle des Hubert Z. als Sanitäter in Auschwitz zu durchleuchten. Die Frage, ob er verhandlungsfähig ist, bleibt. Ein Dilemma in allen späten NS-Prozessen, in denen sich über 90-Jährige nach mehr als 70 Jahren für ihr Handeln verantworten müssen. Jahrzehntelang hatte sich die deutsche Justiz für die, die nicht selbst an Tötungen in Konzentrationslagern beteiligt waren, nicht interessiert. Wieder wird der Prozess vertagt.

Im nächsten Versuch kann nun verhandelt werden. Der betagte Beschuldigte erscheint an diesem Montag (12.09.2016) vor Gericht im Rollstuhl. Kurz vor Prozessbeginn wurde er noch einmal amtsärztlich untersucht.

Hunderte potentieller Angeklagter sind inzwischen gestorben, ohne dass sie juristisch belangt worden wären. Einigen wenigen letzten Überlebenden der Tätergeneration wird nun spät der Prozess gemacht. Das Versagen der Justiz gilt längst als "zweite Schuld" der Deutschen. Von 6500 SS-Wachmännern in Auschwitz wurden bislang 49 verurteilt. Zum Vergleich: Polnische Gerichte urteilten in knapp 700 Fällen. Allein in Auschwitz waren 1,1 Millionen Juden, sowie Zehntausende nichtjüdische Polen, sowjetische Kriegsgefangene, Sinti und Roma umgebracht worden.

Hubert Z., SS-Mitglied, Sanitäter und Landwirt

Das Verfahren gegen Hubert Z. ist ein besonderes, denn der Angeklagte hatte schon vier Jahre in einem DDR-Gefängnis wegen seiner Tätigkeit als SS-Mann in Auschwitz verbüßt. Im Lager war er Sanitäter, nach seiner Haftentlassung arbeitete er in der Landwirtschaft. Er war 20, als er sich zur Waffen-SS meldete. Weil er der letzte überlebende Sohn seiner Familie war, musste er nach einem Fronteinsatz nicht mehr zu seiner kämpfenden Einheit zurück. Stattdessen wurde er als Angehöriger der SS-Sanitätsstaffel nach Auschwitz abkommandiert. Dort will er keinerlei Kontakt mit Gefangenen gehabt haben, gibt er in den Vernehmungen an. Behandelt habe er nur SS-Angehörige.

Deutschland Oskar Gröning und Eva Kor (Quelle: Foto: Markus Goldbach/dpa)
Ungewöhnlich: Die Holocaust-Überlebende Eva Kor versöhnt sich am 23. April 2015 mit dem SS-Mann Oskar GröningBild: picture-alliance/dpa/M. Goldbach

Über das Schicksal der Gefangenen war er sich gleichwohl im Klaren: "Natürlich wusste jeder, was da passiert." Huber Z. muss sich für die Toten vom 15. August bis zum 14. September 1944 verantworten. Die Anklage geht von mindestens 3681 Ermordeten aus, die mit insgesamt 14 Deportationszügen in das Lager gebracht worden waren.

Die Geschichte um diesen Prozess begann schon vor zwei Jahren, als Hubert Z. verhaftet wurde. Am 19. Februar 2014 schlugen Ermittler in elf Bundesländern gleichzeitig zu und durchsuchten Wohnungen von 24 Männern und sechs Frauen, die verdächtig waren, ehemalige Wachleute in Auschwitz gewesen zu sein. Die "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" hatte die Justiz mit Hinweisen versehen. Unter den Festgenommenen war auch Hubert Z.

Deutschland Neubrandenburg SS-Prozess Anwälte ((c) picture-alliance/dpa/B. Wüstneck)
Prominenter Verteidiger: Peter-Micheal Diestel (links), letzter DDR-Innenminister, vertritt Hubert Z. Rchts der zweite Verteidiger Hannes BarckBild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

Drei Wochen saß er in Untersuchungshaft. Im Februar 2014 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den damals 93-Jährigen wegen Beihilfe zum Mord in mehreren Tausend Fällen. Er soll zum Funktionieren der Tötungsmaschinerie in Auschwitz mit beigetragen haben. Zunächst lehnte das Gericht ein Verfahren gegen den Greis aus gesundheitlichen Gründen ab. Erst eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft Rostock macht den Prozess jetzt möglich.

Emotionen schon vor dem ersten Prozesstag

Schon im Vorfeld des Neubrandenburger Auschwitz-Prozesses sorgte das Gericht für bundesweite Schlagzeilen, als es einen Nebenkläger nicht zuließ. Der Auschwitz-Überlebende hatte angegeben, dass er und seine Familie mit einem Zug in Auschwitz angekommen waren. Ein Zug, der nicht auf der Liste der insgesamt 14 Deportationszüge steht, die Gegenstand des Verfahrens gegen Hubert Z. sind. Auch hier musste erst eine höhere juristische Instanz intervenieren, um den Nebenkläger zu zulassen.

Und auch Staatsanwaltschaft und Verteidigung lieferten sich emotionsgeladene, öffentliche Scharmützel. Peter-Michael Diestel, der letzte DDR-Innenminister und einer von drei Verteidigern von Z., hatte gesagt, der Prozess sei ein Todesurteil für seinen Mandanten. Die Auschwitz-Überlebenden waren empört. Und auch die Staatsanwaltschaft war nicht zimperlich. Sie unterstellte Z. blutdrucksteigernde Mittel einzunehmen, um für prozessunfähig erklärt zu werden.