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Noch eine Protestpartei?

Hans Jürgen Mayer 5. Juli 2004

Das neue Bündnis "Wahlinitiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" lehnt die sozialen Einschnitte durch die Regierung ab und will voraussichtlich 2006 als Partei zur Bundestagswahl antreten. Was heißt das für die SPD?

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Parteigründungen links von der SPD hatten in der Bonner Demokratie noch nie große Chancen. Und dieses Schicksal könnte auch dem Bündnis "Wahlinitiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" im vereinten Deutschland blühen, sollte sie sich im Herbst 2004 in eine politische Partei umwandeln. Aber das neue Bündnis vor allem linker Gewerkschafter, das sich am 3. Juli in Berlin gründete, könnte bereits bei der Landtagswahl 2005 in der bisherigen SPD-Hochburg Nordrhein-Westfalen den Sozialdemokraten entscheidende Prozentpunkt abnehmen. Das könnte den Ausschlag geben für den Verlust der Macht im Kernland der SPD. Denn schon lange steht fest: Die SPD stürzt - von der Europawahl bis hin zu Wahlen auf Länder- und Kommunalebene und in den Meinungsfragen - immer tiefer in den Keller, weil ihre Stammwähler desillusioniert den Wahlurnen fernbleiben.

Rückmarsch in frühere Zeiten

Die Einschnitte in das soziale Netz und die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen für das Millionenheer der Arbeitslosen haben faktisch zum Bruch zwischen den sozialdemokratischen "Realpolitikern" und einem großen Teil der SPD-Wähler und bedeutenden Teilen der Gewerkschaften geführt. Vor Jahren noch waren letztere getreue Bannerträger einer Partei, die sie nun nicht mehr wieder erkennen. Was ihnen Gerhard Schröder als Reform verkauft - zu der es nach den Worten des Kanzlers keine Alternative gebe - erscheint ihnen als Rückmarsch in die Zeiten vor der sozialen Marktwirtschaft. Es erscheint ihnen zugleich als Kapitulation vor dem Diktat von Wirtschaftsverbänden, die die Standortkrise zu ihren Gunsten schamlos ausbeuten.

In der Tat hat der Protest gegen die Agenda 2010 und gegen eine Strategie, die schon den Eindruck erwecken kann, hier werde nicht die Arbeitslosigkeit bekämpft, sondern die Arbeitslosen, ganz erhebliche Folgen - für das gesamte politische und gesellschaftliche Spektrum Deutschlands. Schon jetzt hat ein großer Teil der Bevölkerung die Hoffnung auf die politische Klasse Deutschlands begraben. Das spiegelt sich auch darin wider, dass die größte Partei dieses Staates die Partei der Nichtwähler ist. Das spiegelt sich aber auch wider im Aufstieg der PDS in Ostdeutschland. Nicht, weil die Wähler dieser Partei die große soziale Trendwende zutrauen: Vielmehr ist es ein Zeichen vehementen Protestes gegen "die anderen", die etablierten Parteien. Auch das neue linke Bündnis könnte dieses Protestpotenzial abschöpfen. Denn wie die PDS und einige noch in der SPD verbliebene Linke trifft sie mit ihrer Kritik an der sozialen Schieflage der Reform, an der Schonung der Besserverdienenden den Nerv derer, die den Gürtel immer enger schnallen müssen.

Was die Stunde schlägt

Den oppositionellen Unionsparteien CDU/CSU und den Freien Demokraten FDP mag es nur recht sein, wenn auch die neue Gruppierung zum Machtwechsel in Berlin beiträgt. Doch eben dieses Frohlocken zeigt, dass die konservativ-liberalen Kräfte nicht erkannt haben, was die Stunde geschlagen hat. Ebenso wie die hilflos am Sozial- und Wirtschaftssystem herumflickenden Sozialdemokraten werden Union und FDP bald erfahren, dass die negativen Auswirkungen der Globalisierung nicht mit "Ruck-Reden" und der Rückkehr zur 40- oder 50-Stunden-Woche mit Lohnverzicht zu kompensieren sind. Das klassische Unternehmertum, das sich einem Staat und den bei ihm beschäftigten Menschen verpflichtet fühlt, stirbt aus.

Krasses Wohlstandsgefälle

Heute ist vielfach der Standort der beste, wo die Löhne am niedrigsten sind und wo die wenigsten - oder am besten gar keine - Steuern und Sozialabgaben gezahlt werden müssen. Ist heute noch Ungarn günstig, so gehen Großkonzerne morgen vielleicht nach Panama und übermorgen - wer weiß das schon - nach Nordkorea.

Diese Entwicklung kann - wenn überhaupt - nur eine Politik stoppen, die das krasse Wohlstandsgefälle auf dem Globus beseitigt. Nationale Politik allein ist machtlos gegen die Abwärtsspirale, mit der die Globalisierung nicht nur den deutschen Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme ruiniert.