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Proteste gegen den Bau der Bahn-Trasse

Ruth Reichstein4. März 2009

Der Hochgeschwindigkeitszug „TAV“ wird kommen, bekräftigte Silvio Berlusconi auf dem französischen Gipfel in dieser Woche. Doch nicht jeder ist von dem Bau des Zuges begeistert. Ruth Reichstein berichtet für Fokus Europa

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Blick auf den Hauptplatz im Ort Pinerolo im Val di Susa, Piemont (24.04.2001/dpa)
Durch das Susa-Tal - hier der Ort Pinerolo - soll die Trasse führenBild: picture-alliance/ dpa

Hoch oben über dem Susa-Tal ist der Lieblingsplatz von Alberto Perino. Von hier aus überblickt der 63-Jährige die Ebene zwischen den Bergen im italienischen Piemont. "Dieses Tal ist mein Leben, das Leben meiner Kinder und meiner Vorfahren. Es ist alles für uns und ich würde es um keinen Preis hergeben“, meint Perino. Die Vorstellung, dass hier in naher Zukunft der neue Hochgeschwindigkeitszug Lyon-Turin durchrasen soll, verärgert ihn: "Diese nutzlose Strecke zerstört das Tal. Man könnte nicht mehr hier leben. Es wäre kein Tal mehr, sondern nur ein Korridor für den Durchgangsverkehr“


Fortschritt für die Einen

Bahngleise
680 Millionen Euro Zuschüsse gibt es von der EU - wenn der Bau der Trasse vor 2013 beginntBild: AP

Das Susa-Tal lebt von Landwirtschaft und Tourismus. Die kleinen Bergdörfer liegen verträumt an den Hängen. Bereits jetzt stört eine vierspurige Autobahn, die ins Skiressort Sestriere führt, die Idylle. Die neue Bahntrasse soll Turin und Lyon in weniger als zwei Stunden verbinden. Susa, die größte Stadt im Tal, soll einen internationalen Bahnhof bekommen – für die Touristen.

Das gefällt Pinard Renzo, Bürgermeister der Gemeinde Chiomonte, die nur ein paar Kilometer von Susa entfernt liegt: “Ich hoffe, dass uns dieser Zug wirtschaftlichen Fortschritt bringen wird. Wir brauchen eine umfassende Strategie, die die Wirtschaft, aber auch die Lebensbedingungen im Tal verbessert“.


Abgekartetes Spiel für die Anderen

Rentner Perino ist dagegen sicher, dass eine neue Bahnstrecke dem Tal nichts Gutes bringen würde, sondern nur den italienischen Politikern nutze, sich daran zu bereichern: "Es ist doch schon seltsam, dass ein Kilometer Hochgeschwindigkeitsstrecke viereinhalb bis neuneinhalb mal mehr kostet, wie in Frankreich, Spanien oder Japan. Nur zehn Prozent des Geldes fließen wirklich in die Bauarbeiten, die restlichen 90 Prozent an die Mafia und die Parteien“. Das hätte eine Untersuchung schon vor Jahren gezeigt, meint Perino weiter.

Einige Wirtschaftsprofessoren von der Universität in Turin bestätigen Perinos Vorwurf. Auch sie sehen in der neuen Trasse nur wenig Sinn. Claudio Scavia, Experte für solche Bauvorhaben in Bergtälern, ist überzeugt, dass die Strecke kaum genutzt würde: “Die bestehende Verbindung für Güterverkehr und Passagiere ist nur zu rund 30 Prozent ausgelastet. Dieses Projekt ist sinnlos“, so der Experte.


Widerstand seit 20 Jahren

Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi (30.04.2008/Andrew Medichini, AP)
Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi hält am TAV festBild: AP

Keinen Sinn sehen auch Perino und seine Mitstreiter in dem Projekt. Bereits seit 20 Jahren leisten sie Widerstand - so lange gibt es den Plan für das Projekt schon. Mit immer wieder neuen Methoden versuchen sie den Bau zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Jetzt haben sie mehrere Grundstücke erworben, die auf der geplanten Strecke liegen. Widerstand leisten auch einige EU-Abgeordnete.

Ein Grundstück gehört jetzt jeweils rund 1300 Personen. Ob ihnen via Zwangsenteignung das Grundstück weggenommen werden kann, wissen sie nicht sicher. Doch Perino setzt auf seine Verzögerungstaktik: "Wenn sie uns enteignen wollen, dann müssen sie das Dekret nur in mehreren Zeitungen veröffentlichen. Das ist alles. Aber dabei dürfen sie keinen Fehler machen, zum Beispiel unsere Namen oder Geburtsdaten verwechseln. Sonst müssen sie von vorne anfangen“, sagt der Rentner.


„Wir wollen siegen – um jeden Preis“

Am Abend trifft Alberto Perino seine Mitstreiter, um neue Aktionen zu planen. Der italienische Premierminister Berlusconi hat gerade wieder einmal den Baubeginn der Trasse angekündigt, rund 20 Milliarden Euro soll das Projekt kosten. Bis 2013 muss Berlusconi auch mit dem Bau begonnen haben, wenn er die europäischen Zuschüsse in Höhe von 680 Millionen Euro kassieren will – andernfalls verfallen die Gelder.

Perino und seine Mitstreiter lassen sich weiterhin nicht entmutigen: "Wir wollen siegen – und zwar um jeden Preis, mit all unserer Kraft. Wir leisten seit 20 Jahren Widerstand und wenn es sein muss, halten wir weitere 20 Jahre durch“ , ist sich der 63-Jährige sicher.