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Niemand ist eine Insel

18. Oktober 2013

Eine Insel ganz für mich allein, der Jugendtraum eines Internatsschülers. Aber in Wahrheit braucht der Mensch ein Gegenüber, ein Du, um zum „Ich“ zu werden, meint P. Gerhard Eberts von der katholischen Kirche.

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Représentation de Robinson Crusoé, personnage du roman du même nom de Daniel de Foe ou Defoe (1660 - 1731), 1719. Chromolithographie.
Robinson Crusoé Romanfigur von Daniel DefoeBild: picture-alliance/maxppp

Das Buch, das mich als Jugendlicher besonders faszinierte, hieß „Robinson Crusoe“. Die Vorstellung, ganz allein auf einer Insel zu leben, hatte für mich etwas Verlockendes, vor allem, als ich im Internat mit anderen den Schlafsaal teilen musste. Ja! Wie schön könnte das Leben sein, wenn es nur die Mitmenschen nicht gäbe!

Aus der Traum! Rund um uns gibt es selten Alleinsein. Aber viele, viele Mitmenschen! Und das ist gut so! Der Mensch ist nicht zum Einsiedler bestimmt. Es ist so angelegt in unserer Natur: Der Mensch wird Mensch durch den Menschen. Oder anders gesagt. Erst aus zwei ICH wird ein DU.

„Wann beginnt der Tag?“, fragt ein Schüler den Rabbi. „Beim ersten Lichtstrahl? – Oder wenn man jemanden auf zehn Meter Entfernung sehen kann? – Oder wenn der Hahn kräht?“, versucht der Schüler seine eigene Frage zu beantworten. Da sagt der Meister: „Die Nacht weicht und es wird Tag, wenn der eine im Gesicht des anderen den Bruder sieht.“

Wenn ich es recht überlege… Vielleicht war es gar nicht die einsame Insel, die mich an Robinson Crusoe so fasziniert hat. Bestimmt war es etwas anderes. Robinson hat einen schwarzhäutigen Menschen gerettet, der vor Kannibalen auf seine Insel geflohen ist. Robinson nennt seinen neuen Gefährten Freitag, weil es ein Freitag war, an dem er gerettet wurde.

Freitag und Robinson werden Freunde. Freunde, die auf einander angewiesen sind und die sich gegenseitig helfen. Das Erstaunliche ist: Als dieser Roman 1719 erschien, gehörte der Sklavenhandel zum täglichen Geschäft. Unendlich lange hat es gedauert, bis man sich von der Vorstellung zu lösen begann, die „schwarze Rasse“ sei dazu bestimmt, den weißen Menschen zu dienen.

Warum denkt und handelt Robinson anders als seine Zeitgenossen? Aus dem gekenterten Schiff, hat Robinson, bevor es unterging, als einzigen Wertgegenstand eine Bibel retten können. Und er, der bisher wenig mit Religion und Glauben am Hut hatte, liest mit Begeisterung in der Bibel. Er liest die Botschaft vom „Vater im Himmel, der seine Sonne aufgehen lässt über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45). Robinson kommt zu der Einsicht: Wir alle bilden die große Menschheitsfamilie. Jeder an seinem Platz ist für die anderen verantwortlich. Wir haben als Menschen – unabhängig von Rasse, Geschlecht und Nation – die gleiche Würde und die gleichen Rechte.

Es ist nun leider so: Wovon ich als Jugendlicher geträumt habe – eine Insel für mich ganz allein zu besitzen – davor fürchten sich heute viele: vor der Einsamkeit. Denn obwohl es so viele Menschen gibt, leben heute viele für sich allein. Und das nicht unbedingt freiwillig, sondern häufig gezwungenermaßen. „Niemand ist eine Insel“, lautet der Titel eines Films nach dem Roman von Johannes Mario Simmel. Niemand darf in Einsamkeit und Angst wie auf einer Insel leben. Robinson hat seinen schwarzhäutigen Freund Freitag genannt – nach einem Wochentag. Der Freitag aber braucht viele GeschwisterMontag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Samstag…

Und natürlich Sonntag! Der Sonntag ist für Christen der Tag, der Gemeinschaft stiftet und der zur Gemeinschaft verpflichtet. Der Sonntag ist der Tag, an dem so wichtige Werte wie Menschenwürde und Menschenrechte, Nächstenliebe und Feindesliebe neu aufpoliert werden. Diese Werte sollen mit der kommenden Generation eingeübt werden, damit nicht Egoismus und kalte Macht unseren wunderbaren Planeten zugrunde richten. Der Sonntag ist der Tag des Herrn. Der Tag Jesu Christi, den Robinson durch die Bibellektüre kennengelernt hat.

„Wer ist mein Nächster?“, so wird Jesus von einem Schriftgelehrten gefragt. Und Jesus antwortet mit dem berühmten Gleichnis vom „barmherzigen Samariter“. Die Antwort, die Jesus durch dieses Gleichnis gibt, lautet: Der Nächste ist der, der auf deine Hilfe angewiesen ist. Und dein Nächster ist der, der dir hilft. Und dann sagt Jesus – ohne lange Diskussion – worauf es ankommt: „Geh, und handle ebenso!“

Bildbeschreibung: Titel: Pater Gerhard Eberts MSF (Missionar von der Heiligen Familie), Augsburg Berge (Niedersachsen) Schlagworte: P. Gerhard Eberts, Wort zum Sonntag Wer hat das Bild gemacht?: P. Gerhard Eberts (Das Bild ist nicht honorarpflichtig) Bildrechte, Copyright: P. Gerhard Eberts ***ACHTUNG, ALTES FORMAT! NUR FÜR DIE RUBRIK WORT ZUM SONNTAG VERWENDEN***
Pater Gerhard EbertsBild: Gerhard Eberts

P. Gerhard Eberts, geboren im Sauerland, ist Missionar von der Heiligen Familie (MSF). Nach Priesterweihe und Journalistenausbildung war er von 1968 bis 2011 Chefredakteur der Ordenszeitschrift „Sendbote“. Gleichzeitig war er bis 1984 Redakteur der Monatszeitschrift Weltbild. Zwischen 1991 und 2000 war P. Eberts Studienleiter und Dozent beim Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchs (ifp) in München. Dabei kümmerte er sich besonders um den Aufbau von Journalistenkursen in Osteuropa. Heute arbeitet er als Hochschulseelsorger in der Katholischen Hochschulgemeinde Augsburg, er gibt Exerzitien und trägt seit 2010 Verantwortung für die Koordination der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Diözese Augsburg.