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Nichts ist unmöglich

Stephan Hille29. September 2004

Es gibt so gut wie nichts in Russland, was man nicht kaufen könnte: Posten, Panzer, Polizisten, Doktorhüte, Armani-Jeans (echte und unechte), Kalaschnikows, Zeugnisse auf Originalpapier etc. etc. etc.

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Parlamentsabgeordnete, Richter und einfache Verkehrspolizisten: Für die entsprechende Summe springen sie alle. Oder nehmen wir ein paar Sachgegenstände: ein Blaulicht und ein amtliches Nummernschild, die für Fahrer und Vehikel für freie Bahn auf Moskaus Straßen sorgen? Kein Problem.

Stephan Hille

Ach, es sollen lieber Waffen sein? Kalaschnikow, Raketenwerfer, vielleicht ein ganzer Panzer? Schwierig, aber nicht unmöglich. Vor zwei Jahren haben Ermittler bei einer Razzia einen herrenlosen, aber voll funktionstüchtigen Panzer entdeckt. Ernsthafte Probleme macht das Gefährt wahrscheinlich erst dann, wenn Sie das Ding ins Ausland transferieren wollen ...

Armani-Anmutung

In Moskau ist einfach alles zu haben. Vor allem der Phantasie von Produktpiraten sind keine Grenzen gesetzt. Alle Hollywood-Blockbuster gibt es bereits Wochen vor dem Kinostart als Raubkopie und noch dazu billiger als die Kinokarte. Versace, Armani, Boss - welche Marke auch immer Ivan Normalverbraucher begehrt, sich aber nicht leisten kann, findet er in Echtkopie auf den Märkten von Moskau.

Büffelfreies Diplom

Ein weiterer interessanter Markt ist der Verkauf von Diplomen und Universitätsabschlüssen aller Art. Ob Tiefbauingenieur, Doktor der Zoologie cum laude oder diplomierter Veterinär: Fast alle Berufs- und Studienabschlüsse können über den kurzen Bildungsweg der vollen Brieftasche erworben werden. Wir wollen nur hoffen, dass die russischen Verkehrspiloten ihren Pilotenschein nicht in der Moskauer U-Bahn gekauft haben. Dort nämlich stehen die Diplom-Verkäufer, beziehungsweise deren Mittelsmänner und Mittelsfrauen. Leicht zu erkennen an dem kleinen Schildchen mit der Aufschrift "Diplome", stehen die Damen und Herren vor den Eingängen zum Moskauer Untergrund und warten auf Kundschaft.

Kurze Wege

Kaufen kann man den Abschluss nach Maß allerdings nicht vor Ort. Die Mittelsmänner in der U-Bahn sind lediglich dafür da, den ersten Kontakt herzustellen. Um die 700 Dollar kostet ein durchschnittlicher Abschluss, laut einer Diplom-Verkäuferin in der Metro-Station Puschkinskaja. Am meisten nachgefragt würden Abschlüsse für Buchhalter, verrät die Dame noch. Das macht Sinn, schließlich hat der schnell wachsende russische Arbeitsmarkt viele junge Talente in Positionen gehoben, für die sie nie eine Ausbildung gemacht haben, sondern sich die wichtigsten Kenntnisse und Fähigheiten in der täglichen Praxis angeworben haben.

Und so geht's

Stellen wir uns also die 30-jährige Olga vor, die bereits fünf Jahre erfolgreich als Buchhalterin in einer Firma gearbeitet hat. Nun will sie sich verändern und einen besser bezahlten Job annehmen. Um sich wo anders meistbringend vorzustellen, braucht sie ein Abschlusszeugnis. Das hat sie leider nicht, da sie - sagen wir - studierte Lehrerin ist.

Die einzige Lösung für Olgas Problem: Sie muss ein falsches Diplom kaufen, das ihre Erfahrung und Fähigkeiten im Nachhinein schwarz auf weiß dokumentiert. Alternativ könnte Olga natürlich ein zweites Mal studieren oder die Abendschule besuchen, doch dazu hat sie weder Lust noch Zeit.

Im Internet werben die Diplomverkäufer auch ganz offen für ihr illegales Produkt. Die Firma "NewDiplomru" beklagt die Bildungsmisere in Russland und rühmt sich der "jahrelangen Erfahrung" auf dem russischen Markt mit "der Ausstellung beliebiger Diplome sämtlicher Universitäten auf Originalpapier".

Um den gewünschten Abschluss schließlich in den Händen zu halten, muss der Kunde in Vorkasse gehen. Auf die Frage, ob man damit nicht ein Risiko eingehe, auf Betrüger reinzufallen, entgegnete die Diplomverkäuferin in der Metro entrüstet: "Na hören Sie mal, bei uns geht alles ehrlich zu."