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Neue Weltmacht Russland?

14. Juni 2007

Präsident Wladimir Putin strebt nach mehr Weltgeltung für sein Land: Auf dem 11. Internationalen Wirtschaftsforum forderte er die Neuordnung der Weltwirtschaft und eine neue Architektur der internationalen Beziehungen.

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Bild: AP

Das Internationale Wirtschaftsforum hat sich zu einem der wichtigsten Wirtschaftstreffen der Welt gemausert: 6000 Konzernchefs und Politiker aus über 60 Ländern trafen sich am 9. und 10. Juni in St. Petersburg. Entsprechend selbstbewusst präsentierte sich der Gastgeber. "Dem Umfang des Bruttoinlandsproduktes zufolge kann und muss Russland bis 2020 unter die fünf weltgrößten Volkswirtschaften kommen", sagte der Erste Vizepremier Russlands, Sergej Iwanow. "Viele soziale und ökonomische Indikatoren weisen darauf hin, dass sich das Land bis dahin den entwickelten Mitgliedstaaten der OECD dicht annähert."

Russland auf dem Vormarsch

Russland werde bis 2020 eine führende Position auf dem Hightech-Markt einnehmen, etwa im Bereich der Atomindustrie, dem Flugzeug- und Schiffsbau oder der Produktion von Raketenträgern und Ausrüstungen für die Raumfahrt, erläuterte Iwanow. In diesen Branchen hat die Regierung zahlreiche Betriebe zu Staatsholdings zusammengefasst, der Vizeregierungschef führt die Aufsicht über die neu geschaffenen Schiff- und Flugzeugbauholdings. Auch bei Softwareprodukten und Nanotechnologien sei Russland konkurrenzfähig und werde bis 2020 mindestens zehn Prozent der weltweiten Produktion kontrollieren, kündigte Iwanow an.

Demokratie und Liberalisierung angekündigt

Iwanows Prognosen zufolge werden 2020 mindestens 50 Prozent der Bürger Russlands zur Mittelschicht gehören. Ihr Lebensstandard werde sich dem der Mittelschichten anderer entwickelter Länder anpassen. Zugleich gab er zu, dass bereits jetzt die Schere zwischen den Einkommen innerhalb der russischen Gesellschaft immer weiter auseinandergeht, es Wohnungsprobleme gibt und die Infrastruktur unterentwickelt ist. Mit einer liberalen Wirtschaftspolitik wäre ein Wirtschaftsaufschwung jedoch möglich, so Iwanow. Besondere Aufmerksamkeit widme die russische Regierung den Sonderwirtschaftszonen sowie Gemeinschaftsunternehmen, betonte der Vizepremier. Russland bleibe ein demokratischer Staat und untrennbarer Bestandteil der europäischen Zivilisation, der die Menschenrechte achte. Wirtschaftsminister German Gref versicherte, dass die Regierung auch künftig regionale Wirtschaftsforen unterstützen werde.

Verträge in Milliardenhöhe

Die Anzahl der beim Wirtschaftsforum abgeschlossenen Geschäftsverträge ist "beispiellos", sagte der Wirtschaftsminister. "Unterzeichnet wurden etwa 30 Absichtsprotokolle und Investitionsabkommen in Höhe von 13,5 Milliarden Dollar", erläuterte Gref auf der Pressekonferenz am 10. Juni. Anfänglich hätten die Veranstalter nur mit Verträgen in Höhe von insgesamt 3,5 Milliarden Dollar gerechnet. Unter den genehmigten Projekten sind der Bau eines Volvo-Werks im Gebiet Kaluga, eines Betriebs von PеpsiCo im Gebiet Rostow, einer Lukoil-Fabrik in Kalmykien, eines Suzuki-Werks in St. Petersburg sowie eine Vereinbarung zwischen russischen Gesellschaften und dem amerikanischen Luftfahrt-Unternehmen Boeing. Die russische Fluggesellschaft Aeroflot kauft 22 Boeing-Langstreckenjets des Typs 787 Dreamliner. Der Dreamliner ist der direkte Konkurrent des Airbus A350.

Mehr Einfluss für Schwellenländer gefordert

Russlands Präsident Wladimir Putin rief auf dem Wirtschaftsforum zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung auf, um Schwellenländern mehr Einfluss zu sichern. Unmittelbar nach seiner Rückkehr vom G-8-Gipfel in Heiligendamm stellte er die Rolle der führenden Industriestaaten in Frage und warf dem Westen Protektionismus vor. Die G-8 spiegele nicht ausreichend wider, dass sich die Wirtschaftskraft verlagere. "Vor 50 Jahren wurden 60 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts von den G-7-Staaten erzeugt, inzwischen werden 60 Prozent von anderen Ländern produziert", sagte Putin. Im Interesse einer stabilen wirtschaftlichen Entwicklung sei deshalb eine neue Struktur der internationalen wirtschaftlichen Beziehungen nötig, die "auf Vertrauen und Integration zu gegenseitigem Nutzen" gründe.

WTO oder nicht WTO?

Ein wichtiges Thema des Forums war der geplante Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO. Russland versucht bereits seit Mitte der 1990er Jahre, Mitglied zu werden. Der Generaldirektor der WTO, Pascal Lamy, betonte, an einem Beitritt Russlands zur WTO seien beide Seiten interessiert. "Russland ist in der Lage, die Verhandlungen für einen WTO-Beitritt bis zum Jahr 2008 abzuschließen", sagte auch der russische Wirtschaftsminister Gref. Allerdings standen die gespannten Beziehungen zur Europäischen Union einem Beitritt bisher entgegen. Obendrein kann sich Putin vorstellen, eine Alternative zur Welthandelsorganisation zu schaffen. "Wir brauchen mehrere Finanz-Zentren und Währungsreserven", sagte Putin. Alle Länder müssten die Abhängigkeit vom US-Dollar verringern. Als alternative Währungsreserve nannte er den Rubel. Es sei notwendig, den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank insgesamt zu reformieren, so Putin.

DW-WORLD.DE/Russisch, 11.6.2006, Fokus Ost-Südost