1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Neue Wege im Kampf gegen Drogen

Sara Sahriari / AD28. Oktober 2012

Die Kokapflanze ist Heilmittel- und Drogenlieferant zugleich. Nachdem Bolivien in der Vergangenheit Kokafelder zerstören ließ, will sie jetzt die Koka-Produktion durch ihr Programm der "sozialen Kontrolle" einschränken.

https://p.dw.com/p/16XXO
Eine Frau erntet Koka-Blätter in Bolivien (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"In diesem Teil von Cochabamba ist das Kokablatt die Haupteinnahmequelle ganzer Familien - auch andere Produkte werden angebaut, aber für diese gibt es kaum einen Absatzmarkt," sagt Marcela Lopez Vazquez, eine ehemalige Gewerkschaftsführerin der Kokabauern, die gegen die Ausrottung der Kokapflanzen ankämpft. "Es ist eine heilige Pflanze und eine natürliche Lebensgrundlage in ihrem Urzustand. Für uns handelt es sich hier nicht um eine Droge."

Das kleine, spitz zulaufende Blatt wächst auf einem hohen Strauch, der schon seit Tausenden von Jahren in Bolivien kultiviert wird. In Bolivien wird Koka auf der Straße und sogar in Supermärkten verkauft. Die Pflanze gilt als mildes Energietonikum nach einem anstrengenden Arbeitstag - und als Heilmittel für alle möglichen Krankheiten.

Demnächst sollen sogar noch mehr Kokaprodukte entwickelt werden. Der bolivianische Präsident Evo Morales betreibt eine Politik, die die Kokapflanze an sich fördert, aber das Kokaprodukt Kokain unterbinden will. Er ermutigt seine Landsleute, mehr Kokaprodukte für die Absatzmärkte herzustellen - bislang sind dies Salben, Colagetränke und Kuchen aus Kokamehl.

Trotzdem ist das Kokablatt eben jener Rohstoff, aus dem die Droge Kokain gewonnen wird. Deshalb sind Bolivien und andere Andenstaaten wie Peru und Kolumbien bereits seit Jahrzehnten im Visier des von den USA angeführten "Drogenkrieges" .

Koka und Kokain

Koks-Blätter nach dem Regen (Foto: DW)
Die Kokapflanze wurde in Bolivien auch für medizinische Zwecke verwendetBild: Sara Shahriari

Die USA wollten die drastische Zunnahme an Drogensucht und Gewalt im eigenen Land durch die Zerstörung der Quelle der Drogenproduktion bekämpfen und drängten Bolivien zur deutlichen Drosselung der Kokaproduktion. In Bolivien wollte man dies durch die Eliminierung des Koka-Anbaus in der zentral gelegenen Region Cochabamba erreichen - sowohl durch die Zerstörung von Kokafeldern als auch durch den Anbau alternativer Nutzpflanzen.

Letztere Strategie erwies sich als wenig erfolgreich, da die Bauern mit diesen Nutzpflanzen keine mit Koka vergleichbaren Verkaufspreise erzielten. Wegen der Wirtschaftskrise flohen viele von ihnen aus dem Hochland nach Cochabamba. Sie wehrten sich gegen die Versuche bolivianischer Regierungstruppen, ihre Kokafelder zu zerstören. Die Gewerkschaften der Kokabauern wurden immer stärker. Mit Straßenblockaden und teilweise gewalttätigen Massendemonstrationen setzten sie sich gegen die Soldaten zur Wehr.

Während dieser Phase des Konflikts konnte sich der junge Kokagewerkschaftsführer Evo Morales profilieren. Seine Wahl zum Präsidenten von Bolivien und sein Amtsantritt 2006 signalisierten eine Wende.

Bolivien "verstaatlicht" seine Drogenpolitik

Bolivien verwies 2008 die amerikanische Drogenbekämpfungsbehörde des Landes und zog sich 2011 aus einem UN-Abkommen zurück, das das Kokablatt in seiner ursprünglichen Form als Betäubungsmittel bezeichnet. So wurde ein Prozess in Gang gesetzt, der zur Verstaatlichung der Drogenpolitik des Landes führte.

Diese Maßnahmen stießen auf viel Kritik aus den USA. Gleichzeitig verdeutlichten diese Änderungen, dass neue Strategien nötig waren - wie beispielsweise das bolivianische Regierungsprogramm "soziale Kontrolle", das 2008 mit Unterstützung der Europäischen Union startete. Das Ziel ist, durch die Zusammenarbeit mit Kokagewerkschaften den Kokaanbau zu reduzieren. Die Gewerkschaften sollen ihren starken Einfluß geltend machen und jedem registrierten Bauern dabei helfen, sich beim Anbau von Koka auf ein kleines Stück Land zu beschränken - einen sogenannten Cato.

Die ehemalige Kokagewerkschaftsführerin Lopez Vasquez steht nun wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Aber während sie damals für das Recht, Koka anzupflanzen, kämpfte, unterstützt sie nun ein Programm, das mit Hilfe von sozialer Kontrolle den Kokaanbau eingrenzen soll. Sie sagt, es sei zwar nicht einfach gewesen, dieses Programm einzuführen, doch mittlerweile hätten viele Leute nach langen Jahren voller Konflikte die Idee angenommen, in Frieden auf einem Cato ihr Koka anzupflanzen­.

"Es war schwierig, den Leuten dieses Programm näher zu bringen, denn von sozialer Kontrolle hatten sie zuvor noch nie etwas gehört," sagte sie. Trotz dieser Herausforderung haben die Gewerkschaften mittlerweile die Verantwortung für die Kontrolle ihrer Mitglieder übernommen.

Gleichzeitig werden auch Satellitenüberwachung und ein Bauernregistrierungssystem eingesetzt, um den Handel mit Koka zu kontrollieren. Nach wie vor werden Kokapflanzen zerstört, die außerhalb der vereinbarten Felder oder in zu großer Zahl angebaut werden. Doch jetzt bekämpfen die Gewerkschaften diese Maßnahmen nicht mehr.

Porträt von Marcela Lopez Vazquez, Gewerkschaftsführerin in Bolivien (Foto: DW)
Marcela Lopez Vazquez: "Koka ist eine heilige Pflanze"Bild: Sara Shahriari

Die Produktion von Koka geht zurück

Wer heutzutage über die Schotterstraßen in der grünen Cochabamba Kokaregion wandert, kann sich gar nicht mehr vorstellen, dass hier einst ein harter Kampf um die Kokapflanze tobte.

Irma Cornejo sitzt mit ihrer alten Mutter Rosa auf der Terrasse ihres einfachen Holzhauses. Diese Familie von Kokabauern hat in den letzten Jahren einen Frieden erlebt, den sie vor der Einführung der sozialen Kontrolle nicht kannte. Cornejo erinnert sich noch allzu gut daran, wie Drogenbekämpfungstruppen der Regierung ihren Bruder niederschlugen.

"Jetzt ist es ruhiger", sagte Cornejo."Die Kinder lernen die Gewalt nicht mehr kennen, mit der ich mich auseinandersetzen musste, sie ist ganz einfach nicht mehr da."

Die bolivianische Regierung hat jetzt 200 Quadratkilometer für den Kokaanbau freigegeben, eine Fläche, die ihrer Meinung nach der Nachfrage nach legal genutztem Koka entspricht. In Wirklichkeit wird jedoch wesentlich mehr angebaut - und einiges davon landet in der Produktion illegaler Drogen. Aber immerhin scheint die soziale Kontrolle diese Überschussproduktion zumindest einzudämmen. Der aktuelle UN-Drogenbericht zeigt, dass sich die Kokaanbaufläche in Bolivien zwischen 2010 und 2011 um zwölf Prozent verringert hat.