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Neue Schutzhülle für Reaktor in Tschernobyl

Alexander Sawitzki / Markian Ostaptschuk26. April 2012

Der Beton-Sarkophag über dem zerstörten Reaktor des Atomkraftwerks Tschernobyl ist längst einsturzgefährdet. Nun soll eine neue Schutzhülle ein Jahrhundert lang für Sicherheit sorgen.

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Blick auf das AKW Tschernobyl (Foto: Mikhail Fomichev/Ria Nowosti)
AKW TschernobylBild: picture-alliance/dpa

Genau 26 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl beginnen die Bauarbeiten über dem zerstörten vierten Block des stillgelegten Atomkraftwerks im Norden der Ukraine. Bisher wird dieser nur notdürftig durch einen in den ersten Monaten nach dem Unglück errichteten Beton-Sarkophag gesichert.

Bei dem GAU im April 1986 war es zu einer Kernschmelze und einer Explosion gekommen. Mehrere Tonnen radioaktives Material waren dabei freigesetzt worden. Auslöser der Katastrophe waren ein fehlgeschlagenes Experiment und gravierende Konstruktionsmängel des sowjetischen Reaktors vom Typ RBMK. Die Zahl der Toten infolge der Tschernobyl-Katastrophe ist bis heute strittig. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehen von 4000 tödlichen Krebserkrankungen unter den Helfern infolge der Strahlenbelastung aus. Umweltorganisationen wie Greenpeace bezeichnen dies als Verharmlosung. Sie gehen von einer Zahl aus, die zehnmal so hoch ist.

Block 4 des AKW Tschernobyl nach der Explosion im April 1986(Foto: AP)
Block 4 des AKW Tschernobyl nach der Explosion im April 1986Bild: AP

Schutzhülle soll 100 Jahre halten

Der bestehende Sarkophag gilt bereits seit den 1990er Jahren als einsturzgefährdet. Die neue Schutzhülle soll mindestens 100 Jahre halten. Für deren Bau wurde das Konsortium Novarka gegründet. Ihm gehören die französischen Unternehmen Vinci und Bouygues, die deutschen Firmen Nukem und Hochtief sowie mehrere ukrainische Unternehmen an. 2007 erhielt Novarka von der ukrainischen Regierung den Zuschlag zum Bau der Schutzhülle. Die Gesamtkosten für das Projekt sollen rund eine Milliarde Euro betragen. Ein Großteil der Gelder des internationalen "Chernobyl Shelter Fund (CSF)" stammt aus der EU. Auch die USA, Kanada, Japan, die Ukraine und andere Länder beteiligen sich an den Kosten.

Die Schutzhülle soll über den bestehenden Sarkophag geschoben werden
Die Schutzhülle soll über den Sarkophag geschoben werden

Die neue Schützhülle über dem Unglücksreaktor wird eine Spannweite von 257 Metern und eine Höhe von 109 Metern haben. Ihr Gewicht wird 29.000 Tonnen erreichen. Wegen der hohen Strahlenbelastung vor Ort ist der Aufbau direkt über dem alten Sarkophag nicht möglich. Deshalb wird die Schutzhülle auf einem Nachbargelände gefertigt. Sie soll dann über den bestehenden Sarkophag geschoben werden. Die Fertigstellung ist für Sommer 2015 geplant. Doch die Schutzhülle könnte, so hofft der ukrainische Premierminister Mykola Asarow, früher fertig werden. "Wir wollen das Problem in eineinhalb Jahren lösen", sagte Asarow vor Journalisten.

Ungewissheit bei der Entsorgung

Vor dem Bau der Schutzhülle sei der bestehende Beton-Sarkophag erst einmal stabilisiert worden, teilte die Verwaltung des stillgelegten Atomkraftwerks mit. Ihr zufolge soll nach Fertigstellung der neuen Schutzhülle das radioaktive Material aus dem zerstörten Reaktor geborgen und entsorgt werden.

Dies hält der ukrainische Atomexperte Wolodymyr Usatenko allerdings für fraglich. Bis heute habe niemand auch nur die geringste Vorstellung davon, welche Gefahren das Atomkraftwerk und dessen zerstörter Block 4 tatsächlich berge, meint der Experte. "Die Angaben zum verbliebenen Kernbrennstoff im vierten Reaktor sind nach der Havarie gefälscht worden, genauso wie die gesamte Datenbank zur Lage im AKW“, beklagte Usatenko im Gespräch mit der DW. Alle Pläne für die weitere Absicherung des Atomkraftwerkes würden deshalb auf unklaren Daten basieren, meint er.

Werden die Probleme nur zugedeckt?

Tatsächlich habe man zunächst nur den bestehenden Sarkophag stabilisieren und das radioaktive Material aus dem zerstörten Block entfernen und entsorgen wollen, berichtete Juri Kostenko, ehemaliger Umweltminister und Chef der ukrainischen Delegation bei den Verhandlungen mit den G7-Ländern in den 1990er Jahren. Damals begannen die Gespräche über eine weitere Absicherung des Unglücksreaktors. Die Ukraine allein habe dazu weder die Mittel noch die Technologie, sagte er im Gespräch mit der DW. "Letztendlich hat sich alles dahingehend entwickelt, dass man jetzt alle Probleme faktisch mit einer neuen Schutzhülle nur zudecken will", so Kostenko.

Portrait von Jurij Kostenko (Foto: Jurij Kostenko)
Juri Kostenko sieht keine endgültige ProblemlösungBild: Jurij Kostenko

Der Plan der Konstrukteure geht allerdings davon aus, dass die neue Schutzhülle es ermöglichen wird, in einem weiteren Schritt auch den alten Sarkophag zu entfernen. Auch die darin noch befindliche radioaktive Masse soll dann beseitigt werden können, ohne dass Strahlung in die Umwelt gelangt.