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Massenmord

25. Januar 2011

Mit Hilfe deutscher Forscher ist es gelungen, weitere Lücken in der Geschichte des "Großen Terrors" 1937 in der Sowjetunion zu schließen. Sie bewerten diese Zeit unter Stalin als bürokratisch organisierten Massenmord.

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Sowjetische Menschen hinter Gitter. Ein Bild aus dem Historischen Museum in Tomsk. (Foto: DW)
KPdSU billigte Terror gegen Hunderttausende MenschenBild: Evgeniya Sayko

Der Befehl "Nummer 00447" kam am 31. Juli 1937 - das Politbüro des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) hatte ihn gebilligt. Mit diesem Befehl des Volkskommissars des Inneren, Nikolai Jeschow, begann der so genannte "Große Terror" von 1937 in der Sowjetunion: Kriminelle, Mitglieder religiöser Gemeinschaften, ehemalige Mitglieder politischer Parteien, Gegner der Bolschewisten, Kosaken und Kulaken, wie die selbständigen Bauern bezeichnet wurden, und alle anderen, die als antisowjetische Elemente galten, wurden verfolgt.

Straf- und Arbeitslager in der Sowjetunion. Gulag Workuta (Foto: dpa)
Viele Gefangene überlebten die Lagerhaft nichtBild: picture-alliance/dpa

Der stalinistische Terror dauerte von August 1937 bis November 1938. Urteile wurden von sogenannten Troikas gesprochen, bestehend aus dem lokalen Parteichef, einem Vertreter der Volkskommissariate des Inneren (NKWD) und einem Staatsanwalt. Nach heutigen Schätzungen fielen allein dem "Großen Terror" etwa 800.000 Menschen zum Opfer. Etwa die Hälfte von ihnen wurde erschossen, die anderen über lange Zeit inhaftiert. Viele der Gefangenen starben in den Lagern. Bis heute tappte die Aufarbeitung der sowjetischen Geschichte im Dunkeln über die genauen Gründe dieses Befehls.

Neue Erkenntnisse

Wissenschaftler des Deutschen Historischen Instituts (Moskau), der Ruhr-Universität (Bochum) sind zusammen mit Kollegen in Russland und der Ukraine nun den bislang offenen Fragen dieses Ereignisses nachgegangen. War der "Große Terror" in der UdSSR 1937 beispielsweise tatsächlich, wie manche Forscher glauben, darauf zurückzuführen, dass die Machthaber einen Krieg erwarteten und vorher "antisowjetische Elemente" beseitigen wollten? "Es waren möglicherweise doch eher innenpolitische und wirtschaftliche Gründe für diese Riesenaktion, was es eigentlich noch schlimmer macht", meint Marc Junge, Mitglied des Forscherteams. Stalins Terror könne auch als Beispiel für ein sogenanntes Social Engineering angesehen werden, sagt der Wissenschaftler Michael Ellman. Beim Aufbau des Sozialismus seien bestimmte soziale Gruppen unterstützt, andere vernichtet worden.

In der Sowjet-Ukraine habe die Operation darauf abgezielt, die Kulaken endgültig auszulöschen, womit bereits in den Jahren von 1929 bis 1930 begonnen worden sei, erläuterte der Leiter des SBU-Archivs, Serhij Kokin, Mitverfasser des Buches "Der Große Terror in der Ukraine. Kulaken-Operation 1937-1938". Ihm zufolge ist durch die Forschungen deutlich geworden, wie das Zentrum in Moskau damals mit den Regionen zusammengearbeitet hatte, darunter auch mit der NKWD-Leitung in Kiew. Vieles habe auch von den NKWD-Vertretern vor Ort abgehangen.

Schreckliche Entdeckung

Portrait von Bernd Bonwetsch (Foto: DW)
Bernd Bonwetsch: Ergebnis ist MassenmordBild: DHIM

Besonders erschreckte die deutschen Forscher, wie genau die Ermordung vieler Menschen geplant gewesen sei. "Das wichtigste, was wir herausgefunden haben, ist die wirklich bürokratische Organisation dessen, was man im Ergebnis Massenmord nennen müsste", sagte Bernd Bonwetsch, ehemaliger Leiter des Deutschen Instituts in Moskau und Mitglied des Forscherteams. Die Wissenschaftler hätten nicht gewusst, dass dieser Terror tatsächlich auch gegen die kleinen Leute gerichtet gewesen sei, sagt Junge. "Das war eine echte Entdeckung - wie der Terror groß wurde. Der Terror gegen die Elite war eine schlimme Sache, aber gelitten haben auch die einfachen Bauern, die einfachen Geistlichen, Kleinkriminellen", so Junge.

Zugang zu Geheimdienstarchiv in Kiew

Das Ergebnis der fünfjährigen Arbeit der Forscher sind mehrere umfangreiche Bücher, die in deutscher, russischer und ukrainischer Sprache herausgegeben wurden. "Ehrlich gesagt waren wir uns nicht sicher, dass wir diese Arbeit abschließen werden können", sagte Bonwetsch.

Logo des ukrainischen Geheimdienstes SBU (Foto: DW)
Ukrainischer Geheimdienst öffnet Forschern sein ArchivBild: DW

Hauptproblem für die Historiker war der Zugang zu Dokumenten. Das Archiv des Föderalen Sicherheitsdienstes Russlands (FSB) blieb den deutschen Wissenschaftlern verschlossen. "Aber wir haben am Ende vier Regionen gefunden, in denen die Dokumente vom Geheimdienstarchiv an die örtlichen Archive abgegeben worden sind", berichtete der Forscher Marc Junge. Das seien Archive in Twer, Perm, Jaroslawl und anderen Städten gewesen. Unschätzbare Unterstützung habe man auch seitens der Ukraine erhalten. Junge betonte, die Arbeit in der Ukraine sei sehr wichtig gewesen, weil der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) den Forschern vollen Zugang zu Dokumenten in seinem Archiv in Kiew ermöglicht habe.

Autor: Roman Goncharenko / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Nicole Scherschun