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Neubeginn?

7. Oktober 2004

- Umstrittene Regierungsbildung in Ungarn und Attacken der Opposition

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Budapest, 7.10.2004, PESTER LLOYD, deutsch

Der neue Ministerpräsident der linksliberalen Koalitionsregierung, Ferenc Gyurcsány, wurde vergangene Woche mit voller Unterstützung der Abgeordneten der zwei Regierungsparteien in sein Amt gewählt. Seine Regierung, zu der zehn frühere Mitglieder der Medgyessy-Regierung sowie sieben "neue" Gesichter gehören, legte (...) den Amtseid ab.

Ein Dutzend Oppositioneller stimmte bei der Wahl gegen Gyurcsány, die Mehrheit der Konservativen aber nahm an der Abstimmung erst gar nicht teil. Der Fidesz (Bund Junger Demokraten – MD) betrachtet den sozialistischen Politiker (der nie ins Parlament gewählt worden war) als einen quasi illegitimen Regierungschef mit zweifelhaftem Hintergrund, ihn aufs Schärfste zu bekämpfen, sei das Gebot der Stunde.

Gyurcsány gab in seinem Exposé über das Regierungsprogramm vor dem Parlament ein mehr oder weniger realistisches Bild über die Lage des Landes und betonte die Kontinuität in Bezug auf die Vorgängerregierung. Er versprach ein schwungvolles, auf Ausgleich bedachtes Regieren, das dem Druck seitens diverser Interessengruppen jedoch keinen Raum bieten werde. Der neue Premier gab zu, dass die regierende Partei "zu viel ausgegeben habe." Zwar wolle man vor allem den Schwachen helfen, doch werde es so schnell nicht für alle berechtigten Ansprüche die nötigen Ressourcen geben. Bei den sozialen Versprechen standen die Hilfe für junge Paare beim Erwerb ihrer ersten Wohnung und das Schaffen neuer Arbeitsplätze an erster Stelle.

"Ein Land, in dem sich Millionen Menschen als Verlierer betrachten, kann kein Gewinner in der EU sein", so Gyurcsány, der wiederholt betonte, dass er einen größeren Beitrag der Erfolgreichen zugunsten der weniger Glücklichen erwarte. Der Premier wandte sich entschlossen gegen die wiederkehrende Behauptung der Opposition, wonach sich das Land in einer Wirtschaftskrise befindet. Das Wachstum von jährlich 4 Prozent, das Steigen der Lohneinkommen um 24 Prozent und das der Renten um 18 Prozent innerhalb zwei Jahren zeige ein anderes Bild. Nichtsdestotrotz wolle man sparsam wirtschaften, um den Beitritt zur Eurozone 2010 nicht zu gefährden. In der Außenpolitik werde man auf den Erfolgen der Medgyessy-Regierung aufbauen: statt – wie früher die Konservativen – Spannungen zu verursachen, sei man für eine aktive Nachbarschaftspolitik und wolle die ungarische Nation von 15 Millionen Menschen (also inklusive der Minderheitenungarn in den Nachbarländern) im Rahmen der EU wieder vereinigt sehen.

Während Gyurcsány die Opposition nur sehr gemäßigt und indirekt kritisierte, erfolgte seitens des Fidesz-Bürgerbunds von der ersten Stunde an ein erbarmungsloser Frontalangriff. Fraktionsführer János Áder bezeichnete das Regierungsprogramm als ein "armseliges Schriftstück". Er bezichtigte Gyurcsány, seinem Vorgänger Medgyessy "hinterhältig in den Rücken gefallen zu sein", um dessen Posten übernehmen zu können. Zu dem Argument, dass der Milliardär Gyurcsány nicht in Versuchung geraten würde, sich zu bereichern, meinte der Oppositionssprecher, dass man dem Fuchs nicht abgewöhnen könne, Hühner zu stehlen. Áder warnte davor, dass der Rest des Staatseigentums Gefahr laufe, durch den Privatisierungsdrang der Regierung, der "Beutepartei", verschleudert und von den neu-alten Akteuren der politischen Szene einkassiert zu werden.

Der Fidesz unternahm auch einen Versuch, den neuen Premier zu diskreditieren. Der Presse wurde ein Geheimdokument zugespielt, wonach Gyurcsány mit dem inhaftierten Finanzmann Attila Kulcsár in Kontakt stehen soll. Nachdem nichts Belastendes gegen Gyurcsány vorgelegt werden konnte, schlug dieser Versuch vorerst fehl. (fp)