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Nestwärme für Familien mit Aids

1. Dezember 2010

Familien mit Aids werden häufig ausgegrenzt. In Berlin hat sich deshalb ein Kindergarten auf die Arbeit mit HIV-positiven Kindern und Familien spezialisiert.

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Garten und Eingangstor der Kita 'Nestwärme' (Foto: DW)
Garten und Eingangstor der besonderen KitaBild: Svenja Pelzel

Antje Linnstedt leitet die Kita "Nestwärme" im Berliner Stadtbezirk Kreuzberg. Im Moment sitzt sie auf einem niedrigen Stuhl, an einem niedrigen Tisch, in einem der hellen, bunten Räume und malt. Lisa hat sich neben sie gekuschelt, malt auch. Lisa ist eine von 41 Mädchen und Jungen, die die Kita "Nestwärme" besuchen. Die Hälfte der Kinder hier ist HIV positiv oder hat HIV-positive Eltern. Ob auch Lisa dazu gehört, weiß außer den Erziehern niemand. "In unserem Alltag spielt das Thema Aids keine Rolle", sagt Linnstedt, "denn Kinder können mit dem Thema HIV nichts anfangen". Einen Schnupfen mit dicker Rotznase könnten die Kleinen verstehen, aber Viren im Blut seien zu wenig greifbar und erlebbar.

Das einzige, was in der Kita "Nestwärme" anders ist: Alle Kids wissen, dass sie beim kleinsten Wehwehchen sofort ein Pflaster auf die Wunde machen müssen. Das allerdings ist kein Problem, denn die Kinder lieben Pflaster und finden es super, dass sie in ihrer Kita immer sofort eines bekommen. Sie hinterfragen diese Anweisung nicht.

Unsicherer sind dagegen...

Kita-Leiterin Antje Linnstedt (Foto: DW)
Kita-Leiterin Antje LinnstedtBild: Svenja Pelzel

...vor allem neue Eltern, in deren Familie keiner Aids hat. Antje Linnstedt und ihr Team könnten die Ängste der Neulinge jedoch schnell zerstreuen und freuen sich, dass die Hälfte ihrer Kids aus gesunden Familien kommt: "Genau das haben wir uns gewünscht, als wir die Kita vor zehn Jahren gegründet haben, dass wir nicht nur betroffene Eltern und Kinder betreuen, sondern dass sie hier auch Kontakt zu anderen Familien bekommen." Denn häufig leben die Betroffenen isoliert, haben schlechte Erfahrungen gemacht und sich zurückgezogen.

In die Kreuzberger Kita kommen die Kinder deshalb aus ganz Berlin. Mit zwei Kleinbussen werden sie jeden Morgen von Vereinsmitarbeitern abgeholt und am Nachmittag wieder nach Hause gefahren. Finanziert wird der Fahrdienst ausschließlich durch Spendengelder. Vor allem dieser Service ist für die oft kranken Eltern eine große Erleichterung. Viele sind nicht mehr berufstätig, leben von Hartz IV und verbringen viel Zeit bei Ärzten. Für Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln quer durch die Stadt zu einem besonderen Kindergarten haben sie weder Zeit noch Kraft.

Veränderte Klientel

Seit zehn Jahren gibt es den Verein "Nestwärme" und seine Kita. Am Anfang kamen die Kinder hauptsächlich aus dem Drogenmilieu. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda haben die Betroffenen von der Einrichtung erfahren. Mittlerweile arbeitet der Verein eng mit dem Virchow-Klinikum in Berlin-Mitte zusammen, das Familien mit Kindern, bei denen HIV diagnostiziert wird, weiter vermittelt. In der Regel stammen sie aus Osteuropa und Afrika.

Im Schnitt reisen im Jahr knapp zehn kranke Kinder nach Deutschland ein, so die Schätzungen des Robert-Koch-Institutes. Sie haben sich in der Regel schon bei der Geburt mit dem HIV-Virus angesteckt. In Deutschland ist das dank moderner Medikamente und Kaiserschnittmethoden kaum noch der Fall, es sei denn die Aids-Erkrankung der Mutter ist vor der Geburt unbekannt.

Migranten mit Aids sind häufig doppelt bestraft, werden in ihrer "Community" regelmäßig ausgegrenzt. Für Martin Quente, pädagogischen Leiter von "Nestwärme e.V." ist das jedoch kein Migrationsproblem, sondern ein Aufklärungs- und damit Bildungsproblem. Regelmäßig organisiert Quente deshalb Infoabende für die Kita-Eltern, aber auch für Interessierte aus der Kreuzberger Nachbarschaft. Immer wieder stellt er an solchen Abenden fest, wie erschreckend wenig manche Menschen über Aids wissen, welche Vorurteile sich hartnäckig halten: "Es gibt wirklich noch Leute, die denken, dass Aids durch Händedrücken und durch Anfassen übertragbar ist."

Mit Klebstoff gegen Aids

Neulich hat Martin Quente wieder von einem besonders krassen Fall gehört. Eine Familie hatte sich durch einen dummen Zufall geoutet. Sofort haben die Nachbarn alles herumerzählt, irgendwann wusste jeder Bescheid, sogar in der Schule der Kinder. Als im gesamten Häuserblock niemand mehr mit den Familienmitgliedern reden wollte, ein Unbekannter sogar die Wohnungstür mit Klebstoff verschmierte, haben sie aufgegeben und sind aus dem Viertel weggezogen.

Solche Geschichten zeigen Martin Quente und Antje Linnstedt, dass die Kita "Nestwärme" und die Aufklärung durch den Verein dringend benötigt werden. Allerdings wünschen sich beide, dass ihre Arbeit irgendwann überflüssig wird, weil HIV-positive Kinder und Familien in jeder deutschen Kita willkommen sind.

Autor: Svenja Pelzel
Redaktion: Kay-Alexander Scholz