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Nesthocker in Spanien

Cornelia Derichsweiler10. Oktober 2008

Während in Deutschland viele mit 18 Jahren „flügge werden“, wohnen viele Spanier mit 30 Jahren Zuhause. Das so weit verbreitete "Hotel Mama" hat nicht nur mit Bequemlichkeit, sondern auch mit finanziellen Nöten zu tun.

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Vier Sterne-Tafel an einem Hotel (09.10.2003/SCH413-161003)
Das "Hotel Mama" ist besser als jedes Sterne-HotelBild: dpa zb

Aufgebracht demonstrieren junge Spanier auf der Straße. Sie fordern ein eigenes Zuhause, eine bezahlbare Wohnung. Eine der Demonstrantinnen ist Beatriz. Die 27-Jährige arbeitet als Anwaltsgehilfin und lebt immer noch bei ihren Eltern. Eine eigene Wohnung kann sie sich nicht leisten.

Teure Selbstständigkeit

Frau an einem Geldausgabeautomaten
Das Geld reicht bei vielen nicht für Miete und LebensunterhaltBild: BilderBox

„Natürlich würde ich gerne allein leben“, erklärt Beatriz. Sie verdiene im Monat aber gerade so viel, wie sie für die Miete oder für die Rate ausgeben müsse, falls sie sich eine Wohnung kaufe. Da bleibe ihr gar nichts anderes übrig, als weiter bei ihren Eltern zu wohnen.

Beatriz fühlt sich dabei unwohl, beinahe wie ein kleines 15-jähriges Mädchen. Und womöglich ändert sich daran in den nächsten Jahren nichts. Die die 27-Jährige steht mit diesem Problem nicht allein da. Die Hälfte aller Spanier lebt in diesen Zeiten bis Mitte dreißig Zuhause bei den Eltern.

Generation „Mileuristas“

„Mileuristas“, also „Tausend-Euro-Verdiener“, nennt man diese Generation. Die jungen Leute versuchen, sich über Wasser zu halten, häufig mit befristeten Verträgen, die sie aneinander reihen. Wirklich auf eigenen Füßen stehen sie dabei nicht.

Die 32-jährige Ainoha ist eine von ihnen. Sie hat Biologie studiert und teilt sich mit drei anderen Schicksalsgenossinnen eine Wohnung. Sie wünscht sich eine der „Mileuristas“ zu sein. „Das Schlimme ist, ich verdiene noch weniger als 1000 Euro im Monat“, erklärt sie. Das hieße aber auch, dass sie keine Familie und keine Kinder haben könne. Sie könne sich nicht einmal eine eigene Wohnung leisten.

„Wie soll ich da Zukunftspläne schmieden?“, fragt Ainoha. Außerdem arbeite sie von morgens bis abends um das Geld für die Miete und den Strom zu verdienen. Das sei eine sehr prekäre Situation.

Weniger Nachwuchs

Eltern mit Kind beim Picknicken auf einer Wiese (Matthias Stolt )
Die Kinder in Spanien bleiben lange bei ihren ElternBild: dpa

Kein Wunder, dass Spaniens Geburtenrate zu den niedrigsten der Welt gehört. Sie liegt bei 1,3 Kindern pro Frau, genau wie in Deutschland. Viele junge Paare überlegen es sich heute sehr genau, ob sie sich den Nachwuchs leisten können.

Die Soziologin Maria Angeles Durán berichtet, dass Spanierinnen bis vor kurzem dafür gekämpft hätten, keine Kinder bekommen zu müssen, wenn sie nicht wollten. Jetzt sei es umgekehrt: Jetzt könnten sie oft keine Kinder haben, obwohl sie es schön fänden.

„Wir sind von einem Extrem ins andere gefallen“, sagt Maria Angeles Durán. Nicht selten bekämen Frauen in Spanien heute ihr erstes und einziges Kind mit 40 Jahren. Es dauere einfach ewig, bis sie sich auf dem Arbeitsmarkt irgendwie durchgesetzt hätten.

Alles fürs Eigenheim

Trotz dieser schwierigen Situation halten die Spanier an so manchen traditionellen Werten fest, zum Beispiel dem Eigenheim. 90 Prozent der Spanier leben auch heute noch in ihren eigenen vier Wänden. Und das, obwohl sich die Wohnungspreise in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt verfünffacht haben.

Der Grund dafür war ein beispielloser Immobilienboom. Dennoch kommt zum Beispiel auch für die 33-jährige Noelia nur eine eigene Wohnung in Frage. Selbst wenn sie sich dafür ein Leben lang verschulden müsste: „Beim Mieten gehört einem die Wohnung am Ende nicht einmal. Das wäre doch rausgeschmissenes Geld!“ Und für die Miete müsse sie praktisch das gleiche bezahlen wie für eine Hypothekenrate.

Noelia harrt lieber bei ihren Eltern aus, bis sie genügend Geld für eine eigene Wohnung hat. Ganz anders war es bei ihrer Mutter, die in jungen Jahren nicht früh genug das Elternhaus verlassen konnte. Sie war froh, dem strengen Vater und den strikten Regeln daheim entkommen zu können.

Geliebtes „Hotel Mama“

vollbesetzer Kinosaal
Ein Großteil des Gehalts geht in die FreizeitaktivitätenBild: dpa

Heute herrscht in den meisten spanischen Familien ein toleranteres Klima als zu jenen Zeiten. Und auch wenn die jungen Leute es auf dem spanischen Arbeitsmarkt schwer haben, so ist es doch ein offenes Geheimnis, dass viele das „Hotel Mama“ durchaus zu schätzen wissen.

Und die Eltern seien daran nicht ganz unschuldig, meint die Soziologin Maria Angeles Durán: „Wir haben die Generation unserer Kinder wahnsinnig verhätschelt. Kein Wunder, dass sie oft noch mit 30 Jahren Zuhause wohnen.“ Zwar verdienten die jungen Leute wenig Geld. Aber wenn sie bei ihren Eltern wohnten, könnten sie natürlich auch einen Großteil ihres Gehalts in Freizeitaktivitäten stecken.

Tatsache sei, dass sie heute einen sehr hohen Lebensstandard hätten, sagt die Soziologin. Und darüber hinaus wohnten sie sogar noch in einem Fünf-Sterne-Hotel. Wo sonst würde man ihnen die Strümpfe waschen und die Klamotten bügeln? Für diesen Service müssten sie woanders bezahlen.