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"Versagen bei der Verfolgung von NS-Verbrechen"

9. Juli 2015

Im Auschwitz-Prozess von Lüneburg haben Nebenkläger-Anwälte die deutsche Justiz kritisiert und ein höheres Strafmaß gefordert. Der Strafrechtler Nestler sprach von einem jahrzehntelangen Versagen der Justiz.

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Oskar Gröning im Prozess (Foto: dpa/picture alliance)
Bild: picture-alliance/dpa/R. Hartmann

Im Prozess gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning vor dem Landgericht Lüneburg sagte der Strafrechtsprofessor Cornelius Nestler in seinem Plädoyer, was er seit Jahren beobachte, sei ein "Trauerspiel". Als Vertreter der Nebenklage erklärte Nestler, es handele sich um eine "Geschichte der Nicht-Verfolgung". Die Mandanten der Nebenklage hätten ihren Anwälten immer wieder die Frage gestellt, warum erst jetzt, 71 Jahre nach den ihm zur Last gelegten Taten, der Prozess gegen Gröning stattfinden konnte.

Nestler: Verweigerungshaltung der Justiz

Gröning hätte auch nach damals geltender Rechtslage schon in den 1970er Jahren angeklagt werden können, sagte Nestler. Die Ermittlungen gegen den ehemaligen SS-Unterscharführer seien aber von der anfangs zuständigen Frankfurter Staatsanwaltschaft mit teils "grotesken" juristischen Argumentationen eingestellt beziehungsweise später nicht wieder aufgenommen worden. Erst die Übernahme des Falls durch die Staatsanwaltschaft in Hannover 2014 habe es eine Wende gegeben, die zum aktuellen Prozess in Lüneburg geführt habe.

"Auschwitz war ein Ort, an dem man nicht mitmachen durfte", schloss Nestler sein Plädoyer. "Herr Gröning hat mitgemacht, und deswegen wird er wegen Beihilfe zum Massenmord verurteilt werden. Viel zu spät, aber nicht zu spät."

Nebenkläger-Vertreter: Strafmaßforderung zu milde

Nebenkläger-Anwalt Christoph Rückel nannte die von der Staatsanwaltschaft geforderten dreieinhalb Jahre Haft "nicht akzeptabel". Die Juristin Suzan Baymak-Winterseel forderte im Namen von zwei Nebenklägern eine Verurteilung wegen "Mordes in Mittäterschaft in 300.000 Fällen". Ein konkretes Strafmaß verlangte sie wie die anderen fünf am Mittwoch zu Wort gekommenen Nebenkläger-Vertreter aber nicht.

Der inzwischen 94-jährige Gröning ist der Beihilfe zum Mord an mindestens 300.000 Juden angeklagt, die von Mai bis Juli 1944 aus Ungarn in das NS-Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort in die Gaskammern getrieben wurden. Gröning wird vorgeworfen, Spuren der Massentötung verwischt zu haben, indem er half, an der Bahnrampe in Auschwitz-Birkenau Gepäck wegzuschaffen.

Der Angeklagte räumte eine "moralische Mitschuld" am Holocaust ein. Durch seine Tätigkeit habe er "dazu beigetragen, dass das Lager Auschwitz funktionierte", hatte Gröning durch seine Anwältin erklären lassen. Eine direkte Beteiligung an den Morden streitet er ab.

Zahlreiche Auschwitz-Überlebende und ihre Nachfahren beteiligen sich als Nebenkläger an dem Prozess gegen Gröning in Lüneburg.

qu/kle (dpa, afp, epd)