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Nazis in Nordafrika

12. Juni 2009

Der Holocaust ist in vielen arabischen Ländern ein Tabuthema. Das aktuelle Buch von Boualem Sansal ist deswegen verboten. Darin taucht ein deutscher Nazi nach dem Zweiten Weltkrieg in Algerien unter.

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Sahara in Algerien
Bild: picture-alliance/ dpa

Boualem Sansal wohnt eine halbe Autostunde östlich von Algier, in Boumerdes. Wie überall im Land sieht man auch hier zahlreiche Baukräne, die algerische Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren erholt dank der gestiegenen Weltmarktpreise für Erdöl und Gas.

Für den Schriftsteller Sansal reine Fassade. "Staatspräsident Bouteflika hat es geschafft, Algerien nach außen das Image eines wirtschaftlich aufstrebenden Landes zu verpassen“, kritisiert er, „doch im Inneren sieht es komplett anders aus. Bouteflika ist dabei, eine umfassende Diktatur zu installieren, wie in Tunesien. Es gibt keine politischen Freiräume mehr. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit immer noch sehr hoch, und der Aufschwung nutzt nur einer kleinen Elite."

Kritik unerwünscht

Porträt Boualem Sansal
Boualem SansalBild: MERLIN

Wegen kritischen Worten wie diesen darf Sansal seine Bücher in Algerien bislang teilweise nicht veröffentlichen. Auch sein jüngster Roman, „Das Dorf des Deutschen“, steht auf der roten Liste. Die Hauptfigur ist ein deutscher Nazi namens Hans Schiller, der in Auschwitz an Massenmorden beteiligt war und nach 1945 über verschlungene Wege bei der algerischen Befreiungsarmee landet.

Da Schiller international als Kriegsverbrecher gesucht wird, lässt er sich in Algerien nieder, gründet eine Familie. Seine beiden Söhne, die er schon früh nach Frankreich schickt, wissen nichts über die Vergangenheit des Vaters. Erst als der Altnazi und seine algerische Ehefrau in den 1990er Jahren in Algerien einem Terroranschlag zum Opfer fallen, kommt nach und nach die Wahrheit ans Licht.

Der Roman "Das Dorf des Deutschen" berührt Gründungsmythen und tief sitzende Tabus der algerischen Gesellschaft. Das Idealbild einer linken, antifaschistischen und moralisch sauberen Befreiungsarmee soll möglichst nicht angetastet werden. Dabei ist klar, dass auch in den Reihen der ALN gefoltert und gemordet wurde und in Einzelfällen für Ausbildungszwecke oder heikle Missionen auch Alt-Nazis rekrutiert wurden.

Geschichte wird ausgeblendet

Soldaten der Algerischen Nationalen Befreiungsarmee (ALN) 1960
Soldaten der Algerischen Befreiungsarmee 1960Bild: dpa

Doch eine öffentliche Debatte über die dunklen Seiten der Vergangenheit sei bislang nicht erwünscht, kritisiert Boualem Sansal und beschreibt den algerischen Umgang mit der eigenen Geschichte als „infantiles Wegschieben der Tatsachen“. "Stellen Sie sich vor, in Deutschland kommt ein Regime an die Macht, welches das Reden über die Vergangenheit, über den zweiten Weltkrieg verbietet!“, sagt er, „ich meine: die Geschichte ist ein Ganzes, man muss sie ganz lesen oder gar nicht."

Boualem Sansal fordert, dass seine Landsleute und die Araber generell sich endlich aktiv mit dem Holocaust befassen, dass sie sich der Frage stellen, warum mehrere hochrangige Nazi-Verbrecher in arabischen Ländern Zuflucht fanden, statt ihre gerechte Strafe zu bekommen. Nur wenn man diese Fragen offen diskutiere, sagt er, könne man der Bedrohung durch neue Totalitarismen wirksam entgegentreten. Zum Beispiel der Bedrohung durch gewaltbereite Islamisten.

Autorin: Martina Sabra

Redakteurin: Elena Singer