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Meeresspiegel schwankt - auch natürlich

Fabian Schmidt29. Juli 2015

Der Siegener Wissenschaftler Sönke Dangendorf hat die natürlichen Schwankungen des Meeresspiegels neu berechnet. Mit dem Ergebnis: Nicht nur die Erderwärmung verändert den Pegel. Seine Erklärung im DW-Interview.

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Wattwanderung bei Sonnenuntergang (Foto: Fotolia).
Ebbe und Flut kommen zweimal täglich - natürliche Meeresspiegeländerungen folgen viel längeren ZeitläufenBild: Fotolia/Undine Aust

Deutsche Welle: Der Meeresspiegel in der Nordsee steigt ja seit gut 100 Jahren konstant an, immer so zwischen einem und anderthalb Millimeter pro Jahr - mit sinkender Tendenz. Müsste er nicht eigentlich viel schneller steigen, wenn wir doch eine globale Erderwärmung haben?

Nein, das würde ich so nicht sagen. Richtig ist, dass der Meeresspiegel seit etwa 1900 im Mittel um 1,5 Millimeter pro Jahr angestiegen ist. Allerdings handelt es sich hier um den regionalen Meeresspiegelanstieg, und der ist sehr stark durch natürliche Schwankungen überlagert. Die können dazu führen, dass der Meeresspiegel über mehrere Jahrzehnte mal höher oder niedriger ist. Er muss also nicht generell der globalen Erwärmung folgen und es ist auch nicht ungewöhnlich, dass sich der Anstieg in den letzten Dekaden nicht signifikant beschleunigt hat.

Dazu haben sie gerade eine Studie in "Nature Communications" veröffentlicht, in der es genau um die Frage geht, wie stark natürliche Zyklen und menschengemachte Einflüsse den Meeresspiegelanstieg beeinflussen. Was ist denn dabei herausgekommen?

Sönke Dangendorf (Foto: Sönke Dangendorf).
Sönke Dangendorf schätzt den natürlichen Anteil der Pegeländerungen auf über 45 ProzentBild: Sönke Dangendorf

Wir haben uns die regionalen Pegel der Nordsee angeschaut - wie stark der Meeresspiegel angestiegen ist und wie groß die kausale Unsicherheit dieses Anstiegs ist. Wenn man wissen möchte, wie stark der Meeresspiegel durch menschengemachte Einflüsse im vergangenen Jahrhundert gestiegen ist, kann man einen Trend an die Daten anlegen. Dieser Trend hat allerdings eine hohe Unsicherheit, weil durch natürliche Schwankungen am Anfang oder Ende der Messreihe sehr hohe oder niedrige Werte auftreten können.

Diese kausale Unsicherheit haben wir statistisch erfasst, um den maximal möglichen Anteil natürlicher Schwankungen zu errechnen. Wenn man diesen maximalen Anteil dann mit den beobachteten Trends vergleicht, kann man schauen, ob der beobachtete Meeresspiegelanstieg schon außerhalb dieser natürlichen Schwankungen liegt - oder ob die beobachteten Schwankungen größer oder kleiner sind als der Trend.

Wie können Sie denn feststellen, welcher Anteil des Anstiegs natürlich und welcher menschengemacht ist?

Theoretisch kann man das mit Klimamodellen tun. Bei diesen Modellen kann man die unterschiedlichen Parameter vorgeben - zum Beispiel die Treibhausgasemissionen oder einzelne natürliche Schwankungen, wie die Sonnenzyklen oder Vulkanismus. Wenn man beispielsweise einen einzelnen Parameter konstant hält, sagen wir die Treibhausgase, kann man die natürlichen von den anthropogenen - den menschengemachten - Faktoren abgrenzen.

Dies ist allerdings für die Nordsee noch nicht möglich, da wir den regionalen Meeresspiegel mit Klimamodellen in der Nordsee noch nicht genau genug beschreiben können. Deshalb haben wir einen statistischen Ansatz gewählt, bei dem wir nicht eins zu eins separieren können, was natürlich und was anthropogen ist. Aber wir können sagen, wie groß natürliche Schwankungen maximal werden können, um dann den Mindestbeitrag angeben zu können, den die Menschen ausmachen.

Und mit welchem Ergebnis?

Wir können regional durchaus schon anthropogene Anteile sehen. Das wird aber hier und dort durch vertikale Landbewegungen, etwa durch Plattentektonik überlagert. Deswegen ist der anthropogene Anteil am regionalen Meeresspiegel noch recht unsicher.

Wir können aber global sagen - und da sind die Daten etwas robuster - dass wohl mindestens 45 Prozent des beobachteten Meeresspiegelanstiegs seit 1900 auf anthropogene Ursachen zurückzuführen ist.

Der größere Anteil am Anstieg wäre dann ja natürlichen Zyklen zuzuschreiben…

…dieser Anteil wurde bisher unterschätzt. Man ist bisher in den Berechnungen davon ausgegangen, dass die natürlichen Schwankungen nicht länger andauern können, als wenige Jahre. Jetzt konnten wir herausfinden, dass das auch einige Dekaden oder Jahrhunderte andauern kann. Jedoch kennen wir die genaue Phase dieser Variabilität nicht. Daher können wir nur den Mindestanteil angeben, der auf menschliche Einflüsse zurückzuführen ist.

Müsste dann nicht am Ende eines solchen Zyklus der Anstieg wieder schneller erfolgen?

Theoretisch ist das so. Wenn wir jetzt in einer negativen Phase wären - mit eher niedrigen natürlichen Werten - dann müsste es später wieder ansteigen. Allerdings wissen wir aktuell wie gesagt nicht, in welcher Phase wir uns befinden.

Was wirkt denn sonst noch auf den Meeresspiegel?

Der Meeresspiegel wird zum einen durch die Dichte des Wassers beeinflusst. Wenn die Erde sich erwärmt, dehnt der Ozean sich aus. Zudem kann dem Ozean Masse hinzugefügt werden - etwa durch das Abschmelzen von Gletschern oder Eischilden auf Grönland und der Antarktis. Aber auch durch Veränderungen der Wassermassen, die an Land in Flüssen und Seen gebunden sind.

Wenn Sie sich jetzt die Pegel der Nordsee ansehen, und die Rechenmodelle aus der Klimaforschung dagegen halten, sehen Sie dort eine Diskrepanz zwischen den Modellen und den empirischen Messdaten?

Das würde ich nicht sagen. Die Projektionen, die für das kommende Jahrhundert und die Jahrhunderte danach genannt werden, basieren auf ganz anderen Zuständen als sie im vergangenen Jahrhundert beobachtet wurden. Die Treibhausgasemissionen werden zum Teil als deutlich erhöht angenommen und in dem Fall wird sich das Klima auch stark ändern und damit auch der Meeresspiegel. Insofern besteht da keine Diskrepanz.

Würden Sie eine Prognose wagen, in welche Richtung die Reise geht?

Ich würde mich an den Zahlen orientieren, die im Bericht des Weltklimarates IPCC angegeben werden. Da liegt man bis zum Ende dieses Jahrhunderts zwischen 30 Zentimetern und einem Meter - je nachdem, welches Szenario für die Entwicklung der Treibhausgasemissionen gewählt wird.

Der Ingenieur Dr. Sönke Dangendorf forscht und lehrt am Forschungsinstitut für Wasser und Umwelt der Universität Siegen am Lehrstuhl für Hydromechanik, Binnen- und Küstenwasserbau.

Das Interview führte Fabian Schmidt.