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NATO kämpft um das Vertrauen der Afghanen

22. Februar 2010

Afghanistans Präsident Hamid Karsai hat erneut seine Unterstützung für die Großoffensive gegen die Taliban geäußert. Die Bevölkerung findet es aber schwierig, der NATO und der eigenen Regierung zu vertrauen.

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ISAF-Soldaten in Afghanistan (Foto: AP)
Mit Waffen die Herzen der Menschen gewinnen?Bild: AP

Es war das erste Mal, dass sich das afghanische Parlament am Samstag (20.02.2010) nach der Winterpause trifft. Präsident Hamid Karsai steht am Rednerpult und hält das Foto eines kleinen Mädchens hoch. "Sie ist eine von uns", ruft er ins Plenum. "Sie ist 8 Jahre alt und auf dem Weg ins Krankenhaus, um die Leichen ihrer 12 getöteten Familien-Mitglieder abzuholen", sagt der Präsident und hält das Foto direkt in die Kameras. Das Haus der Familie, so Hamid Karsai, sei vor einer Woche, gleich zu Beginn der Operation Mushtarak, von einer fehlgeleiteten Rakete der NATO-Truppen getroffen worden. "Die Taliban, die Hez-e-Islami und die anderen bewaffneten Gruppen, die uns bekämpfen, müssen wissen, dass sie eine große Mitschuld an diesem Leid tragen", betont Karsai.

"Überall wird geschossen und gekämpft"

ISAF-Soldaten (Foto: AP)
15.000 ISAF-Soldaten kämpfen in der Provinz HelmandBild: AP

15.000 Soldaten der NATO-geführten ISAF und der afghanischen Armee kämpfen derzeit in der südafghanischen Provinz Helmand, um die beiden Taliban-Hochburgen Marjah und Nad Ali unter staatliche Kontrolle zu bringen. Vor allem im Distrikt Marjah leisten die Kämpfer der Taliban und ihre Verbündeten erbitterten Widerstand. Sie haben Sprengfallen und Minen versteckt, schließlich war die Offensive schon Wochen vorher angekündigt worden, um die Zivilbevölkerung zu warnen.

Jan Mohammad ist trotzdem erst jetzt mit seiner Familie aus der Kampfzone in ein Flüchtlingslager in der Provinzhauptstadt Lashkar Gah geflohen. "Sie schießen mit Helikoptern und Flugzeugen auf unsere Dörfer. Sie zerstören unsere Ernte. Wir bauen Schlafmohn und Weizen an", erzählt der Flüchtling. Der Mann ist sich sicher: Wenn die Offensive drei Monate dauert, was die Regierung nicht für unwahrscheinlich hält, dann bleibt von den Dörfern und der Ernte nichts mehr übrig.

Im Zelt nebenan schildert ein anderer Mann seine Erlebnisse – auch er ist ein Flüchtling im eigenen Land. "Wir sind auch aus Marjah geflohen, da wird überall geschossen und gekämpft. Alle Straßen sind gesperrt. Wir sind zu Fuß geflohen", sagt Haji Abdul Rahim.

ISAF-Beteuerungen

US-General Stanley McChrystal (Foto: dpa)
Stanley McChrystal will die ISAF-Wahrnehmung in der Bevölkerung verändernBild: picture-alliance/dpa

US-General Stanley McChrystal, der Oberbefehlshaber der ISAF, wird nicht müde zu betonen, dass die gesamte Mission der Zivilbevölkerung dient: "Wir reden mit Menschen auf allen Ebenen. Wir sprechen mit den Stammesältesten und wir sprechen mit den Menschen in den Dörfern. Wir sprechen mit Politikern auf allen Ebenen". McChrystal erklärte, die ISAF versuche so offen und transparent zu sein wie möglich. Die ISAF rede nicht nur viel, sondern höre vor allem auch zu. "Das haben wir auch getan, als wir die Strategie für Operation Mushtarak entworfen haben. Wir haben die Menschen vorher gefragt, was sie sich erhoffen", sagte der General. Die ISAF arbeite daran, dass die Bevölkerung sie anders wahrnimmt.

Die Provinz Helmand ist paschtunisches Stammesland. Die Paschtunen sind tief religiös und konservativ, aus ihnen sind in den frühen 1990er Jahren die Taliban hervorgegangen. Die Offensive soll einen Keil zwischen die Kämpfer und die Zivilisten treiben. Mitläufer sollen ihre Waffen niederlegen. Aber die größte afghanische Volksgruppe hat seit dem Sturz der Taliban am meisten unter der Gewalt gelitten. Viele Paschtunen halten die ausländischen Truppen für fremde Besatzer und die Regierung Karsai für korrupt.

Zentrales Problem: Korruption

Eine Hand mit afghanischer Währung (Foto: AP)
Korruption ist Afghanistans großes ProblemBild: AP

Marc Sedwill, der zivile Repräsentant der NATO in Afghanistan, ist sich bewusst, dass die militärische Offensive das Vertrauen der Bevölkerung nicht gewinnen kann. Er bezeichnet die Korruption als ganz großes Problem, das für den Vertrauensverlust der Menschen ausschlaggebend ist. Für die Afghanen sei es entscheidend, dass sie ihrem lokalen Polizeichef, ihrem Gouverneur und ihrem Staatsanwalt vertrauen können. "Wenn wir in Regionen wie Helmand operieren, dann ist es absolut wichtig, dass diese Leute sauber sind und der Bevölkerung dienen. Sonst kann sich kein Staat entwickeln", sagt Sedwill.

Frieden scheint nur möglich, wenn die Mehrheit der Afghanen an die Regierung Karsai glaubt und auch bereit ist, für diese Regierung Opfer zu bringen.

Autorin: Sandra Petersmann
Redaktion: Natalia Karbasova / Thomas Latschan