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Nationalismus und unkontrollierte Gewalt

Tatyana Vaksberg, Sofia / db9. März 2014

In Bulgarien werden Minderheiten zunehmend zum Ziel von Angriffen. Die nationalistische Haltung, die dahinter steckt, stützt sich auf das bulgarische Geschichtsverständnis, meinen Experten.

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Nationalistische Demonstranten in Bulgarien (Foto: BGNES)
Bild: BGNES

In der bulgarischen Hauptstadt Sofia wurde ein Mann gegen Kaution freigelassen, der des Mordes angeklagt ist und als Symbol für ethnisch motivierte Gewalt gilt. Dem Wachmann Petko Elenkow wird vorgeworfen, 2013 einen Jugendlichen aus der Minderheit der Roma erschossen zu haben, der angeblich über eine Mauer geklettert war, um in einem Kühlschranklager Altmetall zu stehlen. Elenkow streitet jegliches Fehlverhalten ab. Ein Jahr nach der Tat hat der Prozess immer noch nicht begonnen, und der 50-Jährige ist gegen eine Kaution von umgerechnet 2500 Euro auf freiem Fuß. Roma protestierten in den Straßen der Hauptstadt - darauf reagierten Nationalisten und Neonazi-Gruppen mit Gegendemonstrationen.

"In Bulgarien nimmt der Nationalismus zu", stellt Daniela Mikhaylowa fest. Sie ist die Vorsitzende der Initiative für Chancengleichheit, einer Nichtregierungsorganisation in Sofia. Die Gewalt habe neue Dimensionen erreicht - als Ergebnis "einer spezifisch nationalistischen Haltung, die sich schon viel zu lange unkontrolliert ausbreitet". Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen seien in Internetforen Kommentare zu lesen wie 'Sehr gut, das haben Roma verdient' - viele Bürger würden denken, das sei eine "natürliche und vielleicht sogar gerechtfertigte Reaktion".

Diskriminierung weitverbreitet

In Bulgarien leben laut Statistik etwa 400.000 Roma. Sie sind die größte Minderheit des Landes - aber nicht die einzige, die unter Hasstiraden und Diskriminierung leidet.

"Die Nationalisten richten sich gegen jene, die anders sind", meint Solomon Bali, Präsident des bulgarischen Ablegers der jüdischen Organisation B'nai B'rith. "Dazu gehören Muslime, Juden, Schwule und Flüchtlinge." Seit Jahren schon steige die Zahl der Angriffe, auch seien sie zunehmend aggressiver, meint Bali. Als Beispiele nennt er die Schändung des jüdischen Friedhofs von Kyustendil oder den Brand der Synagoge in Burgas.

Moschee in Sofia (Foto: BGNES)
Angriffe richten sich oft gegen MoscheenBild: BGNES

In den vergangenen Monaten gab es in Bulgarien mindestens ein Dutzend bewaffnete Angriffe auf afrikanische und asiatische Flüchtlinge. Im Februar bewarfen Nationalisten eine Moschee in Plowdiw mit Steinen. "Nur wenige dieser Fälle wurden strafrechtlich als ethnisch oder religiös motiviert verfolgt. In einem der Verfahren ging es um einen Rom, der Bulgaren beleidigt hatte", erinnert sich Krassimir Kanew, Vorsitzender des Bulgarischen Helsinki-Komitees.

Parlamentarische Unterstützung?

Bulgarien ist seit 2007 Mitglied der Europäischen Union. Die EU-Kommission legt immer noch regelmäßigMonitoring-Berichte über das Land vor, in denen vor allem Mängel im Bereich Korruption und Justiz wiederholt kritisiert wurden. Der Umgang mit Hetzkampagnen gegen Minderheiten in Bulgarien wurde bisher zwar nicht explizit thematisiert, aber inzwischen häufen sich die Fälle, die vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschrechte landen.

"In einem davon geht es um einen brutalen nationalistischen Angriff auf die Hauptmoschee im Zentrum von Sofia", erklärt Kanew. Im Mai 2011 kletterten Nationalisten über den Zaun, verprügelten den Wachmann und stürmten kurz vor dem Morgengebet in die Moschee. Sie bewarfen die Muslime mit Steinen und riefen: "Terroristen! Haut ab in die Türkei! Verschmutzt nicht unser Land!" Doch die Angreifer wurden lediglich wegen der Beleidigung eines Polizisten für schuldig befunden.

"Das Unvermögen staatlicher bulgarischer Einrichtungen, Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen, wird ausgenutzt, um aus verfolgten Minderheiten politische und soziale Feindbilder zu machen", erklärt Hristo Iwanow, Direktor des bulgarischen Instituts für Rechtsinitiativen.

Eine Synagoge in Bulgarien (Foto: BGNES)
Experten kritisieren die verzerrte Darstellung der Geschichte in BulgarienBild: BGNES

Viele der staatlichen Institutionen werden von der EU-feindlichen Partei Ataka beeinflusst, die mit fast neun Prozent der Wählerstimmen erstmals 2005 ins Parlament einzog. Heute steht ein Ataka-Abgeordneter der parlamentarischen Ethik-Kommission vor, und die Partei hat einen Vertreter in der Kommission zum Schutz vor Diskriminierung. "Es ist nicht wirklich überraschend, dass ihre Beschlüsse oft eher Diskriminierung unterstützen, anstatt sie zu bekämpfen", meint Kanew.

Erschreckender Fremdenhass

Im Hinblick auf den wachsenden Fremdenhass in Politik und Gesellschaft schätzt B'nai B'rith, dass etwa 30 Prozent der Wähler gerne "eine eher monoethnische Bevölkerungsstruktur hätten", meint Solomon Bali.

Es gibt in der Tat einen deutlichen Trend, dass Stadtviertel nach Bevölkerungsgruppen eingeteilt sind, schreibt Petya Kabakchiew, Vorsitzende der Soziologischen Fakultät der Universität Sofia. Die Hälfte der bulgarischen Bürger möchte, dass in ihrer Nachbarschaft weder Roma, noch Menschen mit afrikanischen, arabischen oder chinesischen Wurzeln leben, so Kabakchiew. Weniger als 30 Prozent der Befragten würden in einer Firma arbeiten wollen, in der Roma zum Führungspersonal gehören. Aber mehr als 70 Prozent hätten kein Problem damit, wenn Roma als Reinigungskräfte in ihrem Unternehmen arbeiten.

"Möglich wird eine so offen geäußerte nationalistische und fremdenfeindliche Rhetorik durch das Geschichtsverständnis und den Geschichtsunterricht in den Schulen", erklärt Hristo Iwanow. Noch vor einem Jahrzehnt präsentierte sich Bulgarien als Land mit einem einmaligen "ethnischen Modell" der Toleranz. Es wurden immer zwei Beispiele angeführt: 1943 retteten Politiker - Hand in Hand mit der Orthodoxen Kirche - alle 50.000 Juden, die auf dem Gebiet des heutigen Bulgarien lebten. Kurz nach der politischen Wende 1989 führte man in Bulgarien die Rechte der türkischen Minderheit wieder ein, die das kommunistische Regime vorher abgeschafft hatte.

Anderes wird dagegen verschwiegen. Viele Bulgaren leugnen etwa die Rolle des Staates bei der Deportation mazedonischer und griechischer Juden in Konzentrationslager. Juden, die das überhaupt nur erwähnen, "werden als undankbar beschimpft", sagt Bali.

Auch die Verfolgung der muslimischen Minderheit im 20. Jahrhundert wird von den meisten Bulgaren ignoriert. Diese negativen Episoden der bulgarischen Vergangenheit werden nicht in den Geschichtsbüchern erwähnt. "In den Schulen und in der öffentlichen Diskussion ist die bulgarische Geschichte immer noch die Geschichte der Mehrheit. Für die Sichtweise der Minderheiten gibt es kaum Platz", kritisiert Iwanow.

Die Geschichtsschreibung sei im Muster der "Wir gegen sie"- Konfrontation gefangen. "So sollen wir uns kollektiv als Opfer verschiedener Verbrechen fühlen, mit der Option, entweder unsere Nachbarn zu fürchten oder auf Rache zu hoffen."