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Politik

"Deutschland verfügt über das Potenzial"

Klaus Dahmann
12. Februar 2018

Der israelisch-iranische Konflikt habe nach den jüngsten Luftangriffen in Syrien eine neue Eskalationsstufe erreicht, sagt der Nahost-Experte Gil Murciano. Deutschland könnte vermitteln.

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Israel Air Force F-15
Bild: picture-alliance/AP/A. Schalit

DW: Herr Murciano, Israel hat am Wochenende eine mutmaßliche iranische Basis in Syrien bombardiert, ein israelischer Kampfjet wurde abgeschossen. Wird Syrien nun zum Schauplatz einer offenen Konfrontation zwischen Israel und Iran?

Gil Murciano: In Syrien entwickelt sich das Bürgerkriegschaos hin zu einer neuen Ordnung, in der der Iran die Früchte zu ernten und seinen Einfluss zu stärken versucht. Er will Marine- und Luftwaffenbasen in Syrien aufbauen und die Hisbollah stärken. Auf der anderen Seite haben die Israelis in den Zeiten des Chaos auf Nicht-Einmischung gesetzt, sehen sich aber nun mit einer neuen Situation konfrontiert, in der sie strategisch unterlegen sind. Zum ersten Mal stehen sie jenseits der Grenze ihrem Erzfeind Iran gegenüber, der sich anschickt, Syrien zu einer Operationsbasis gegen Israel auszubauen. Die Israelis ändern nun komplett ihre Politik und gehen weitaus höhere Risiken ein, um diese Dynamik der Ereignisse zu stoppen.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schließt weitere Militäraktionen nicht aus. Wie weit kann Israel gehen?

An diesem Wochenende haben wir Israels Bereitschaft gesehen, iranische Streitkräfte anzugreifen. Bisher haben die Israelis immer versucht, eine direkte Konfrontation mit den Iranern zu vermeiden. Das ist also nun eine neue Stufe. Und damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teufelskreis aus militärischen Aktionen und Reaktionen in eine offene Eskalation mündet. Aus israelischer Sicht ist nicht die Frage, ob eine nächste Eskalationsstufe kommt, sondern nur wann.

Deutschland Dr. Gil Murciano
Nahost-Experte Gil MurcianoBild: 2018 by SWP

Wie viele Streitkräfte in Syrien stehen denn derzeit unter Einfluss des Iran?

Was pro-iranische Milizen angeht, sprechen wir von 7000 bis 10.000 Kämpfern. Hinzu kommen einige hundert iranische Experten der Revolutionsgarde und der Spezialeinheit Al Kuds. Aber was die Israelis vor allem umtreibt, ist die Machtverschiebung zwischen dem Iran und dem gastgebenden Regime von Baschar al-Assad. Vor dem Bürgerkrieg konnte das Assad-Regime die Stärke des iranischen Einflusses in Syrien unter Kontrolle halten. Jetzt hängt sein Überleben vom Iran ab. Daher kann der Iran seine eigenen Interessen vorantreiben: Basen auf syrischem Territorium aufbauen, von denen später gegen Israel operiert werden kann, und iranische Militärs in die Strukturen der syrischen Armee integrieren, die sie dann später an die israelische Grenze führen können.

Aber ist das Assad-Regime wirklich bereit, Iran zu ermöglichen, von syrischem Territorium aus einen Krieg gegen Israel zu führen?

Oft scheint es so, als würden der Iran und das Assad-Regime mit einer Zunge sprechen. Aber es gibt da unter der Oberfläche durchaus Differenzen: Vor einigen Monaten kam ein iranischer Stabschef nach Syrien mit einer Liste von Forderungen, und zwar sowohl aus dem Wirtschafts- als auch dem Sicherheitsbereich. Da ging es unter anderem um Schürfrechte, Uranabbau, aber auch um den Bau von Operationsbasen. Die Syrer haben diese iranischen Forderungen erfolgreich blockiert. Das Assad-Regime versucht in dieser fragilen Situation die direkte Konfrontation mit Israel zu meiden und Irans Einfluss in Schach zu halten. Das versuchen die Russen im Übrigen auch.

Was ist denn Russlands Haltung im Konflikt zwischen Israel und Iran?

Die Russen lassen Israels Luftschläge zu, aber sie tolerieren auch Irans Aktivitäten in Syrien. Insgesamt versuchen sie, keine Partei zu ergreifen. Ihr Hauptinteresse ist, weiter das Assad-Regime darin zu unterstützen, eigene, unabhängige Kapazitäten aufzubauen. Die Russen haben nichts mehr zu gewinnen in Syrien, es geht ihnen um Schadensbegrenzung. In Zukunft, glaube ich, werden sie alles daran setzen, für niemanden Partei zu ergreifen.

Abgeschossener israelischer Kampfjet (10.02.2018)
Abgeschossener israelischer Kampfjet (10.02.2018)Bild: Getty Images/AFP/J. Guez

Kann Israel, im Falle einer direkten Konfrontation mit Iran in Syrien auf die Unterstützung der USA zählen?

In der Vergangenheit waren die Amerikaner ein wichtiger Faktor in Israels Politik gegenüber Syrien und dem Libanon. Heute sieht man, dass die USA, wann immer es um Syrien geht, abwesend sind. Die Amerikaner überlassen die Arena den Russen. Das ist einer der Gründe, aus denen Israel seit zwei Jahren eine aktive Diplomatie gegenüber Russland betreibt. Die US-Politik hat die Syrien-Frage nicht auf dem Schirm.

Können die Europäer als Vermittler auftreten?

Ich denke, dass die EU und in diesem Falle speziell Deutschland über ein einzigartiges Potenzial verfügen. Deutschland ist einerseits ein strategischer Verbündeter Israels, andererseits hat es Zugang zum Iran und genießt in gewissem Maße sein Vertrauen. Deutschland ist der einzige Akteur in der westlichen Welt, der Erfahrung darin hat, informelle Vereinbarungen zwischen Israel, dem Iran und der Hisbollah zu vermitteln. Ich meine hier den Gefangenenaustausch, bei dem Deutschland Hauptverhandler und Vermittler war. Es hat Know-how und Fähigkeiten - und ein riesiges Interesse daran, den Teufelskreis der Eskalation zu durchbrechen. Denn die Schockwelle eines dritten Kriegs in dieser Region würde auch jenseits des Mittelmeeres spürbar sein. Schließlich leben allein im Libanon 1,5 Millionen Flüchtlinge, die im Kriegsfalle an Europas Pforten klopfen würden.

Gil Murciano ist Nahost-Experte bei der deutschen Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Er hat jüngst eine Abhandlung zu Israel und Irans wachsendem Einfluss in Syrien veröffentlicht.