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Nachbesserungen für "Stuttgart 21" gefordert

1. Dezember 2010

Aus "Stuttgart 21" soll "Stuttgart 21 plus" werden. Nach dem Schlichterspruch von Heiner Geißler soll der umstrittene Tiefbahnhof in Stuttgart zwar gebaut werden, aber mit deutlichen Veränderungen im Konzept.

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Heiner Geißler (M.), Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (links) und Brigitte Dahlbender, die Vorsitzende des BUND Baden-Wuerttemberg (rechts) bei der Verkündung des Schlichterspruchs (Foto: dapd)
Das Medieninteresse war enorm - nicht nur bei der Verkündung von Geißlers SchlichterspruchBild: dapd

Im Konflikt um "Stuttgart 21" hat Schlichter Heiner Geißler für die Fortsetzung des Bahnprojekts plädiert, allerdings mit Auflagen. Er begründete dies am Dienstag (30.11.2010) zuerst mit den Unsicherheiten bei Planung und Finanzierung eines Alternativkonzepts. Zudem wäre ein Abbruch des Bahnprojekts zu teuer. Allerdings sollten die Schwachpunkte im Konzept von "Stuttgart 21" beseitigt werden, sagte der Schlichter und sprach davon, nun "Stuttgart 21 plus" zu realisieren.

"Stuttgart 21 plus" soll Gegner besänftigen

'Stuttgart 21'-Bahn-Vorstand Volker Kefer im Gespräch mit Gegner Hannes Rockenbauch (Foto: dpa)
Der offene Dialog in der Schlichtung hat das Verhältnis zwischen Befürwortern und Gegnern spürbar entkrampftBild: picture-alliance/dpa

Das Votum des Schlichters enthält weitreichende Vorschläge für ein verbessertes Bahnhofs- und Verkehrskonzept. Er nannte es "Stuttgart 21 plus". Dieses "plus" wird die Bahn voraussichtlich deutlich mehr Geld kosten. So regte Geißler an, die freiwerdenden Gleisflächen möglichen Grundstücksspekulationen zu entziehen.

Gegner und Befürworter seien darin einig, die Areale einer Stiftung zu überschreiben. Notwendig sei eine Frischluftschneise für die in einem Talkessel liegende Landeshauptstadt. Bei der Nutzung der Flächen müssten Ökologie, Familien- und Kinderfreundlichkeit beachtet werden. Auch der Schlossgarten müsse weitgehend unangetastet bleiben.

Reaktionen kamen umgehend

Nach Geißlers Stellungnahme machten sich im Stuttgarter Rathaus einige Projektgegner lautstark bemerkbar. Sie hatten bis zuletzt darauf gehofft, das ungeliebte Vorhaben noch stoppen zu können. Sie wollen auch in Zukunft weiter gegen das Projekt demonstrieren und kündigten umgehend Proteste an. Die Beführworter zeigten sich indes zufrieden. Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) sagte, die von Geißler geforderten Auflagen und Verbesserungsvorschläge würden keine großen Mehrkosten verursachen. Er gehe davon aus, dass das Projekt gut geplant sei. Die Gegner sehen das indes ganz anders. Sie rechnen mit Mehrkosten von 500 Millionen Euro.

Die öffentliche Schlichtung hatte acht Verhandlungstage gedauert, in denen die gegenseitigen "Faktenchecks", also die Fach- und Sachfragen, im Mittelpunkt standen. Die Debatten waren live und in voller Länge in Fernsehen und Internet übertragen worden. Geißler sprach von einem "Stuttgarter Modell", das beispielgebend für andere Großprojekte dieser Art sein könne.

Unvereinbare Positionen

Die deutschlandweit einzigartige Schlichtung war angeregt worden, um einen Ausweg aus der Auseinandersetzung um das Bahnprojekt zu finden. Da gab es die Befürworter eines neuen, unter die Erde verlegten Stuttgarter Hauptbahnhofs. Und da gab es die Gegner des Projekts, die den bestehenden Kopfbahnhof erhalten und ausbauen wollten. Neben dem 4,1 Milliarden teuren Bahnhofsneubau ging es in der fünfwöchigen Erörterung auch um die rund 2,9 Milliarden Euro teure Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Damit will die Bahn bis etwa 2020 die Fahrzeit von Stuttgart nach Ulm auf 28 Minuten halbieren. Damit verspricht sich die Bahn zudem eine bessere Anbindung an das internationale Schienennetz.

Gegner des Bahnhofprojekts Stuttgart 21 schützen sich im Schlosspark vor den Wasserwerfern der Polizei (Foto: dapd)
Der Polizeieinsatz vom 30. September führte mit dazu, das Schlichtungsverfahren einzuberufenBild: picture alliance/dpa

Bis zuletzt standen sich die Positionen von Befürwortern und Gegnern des Bahnprojekts unvereinbar gegenüber. In ihren Plädoyers zogen beide Streitparteien im Stuttgarter Rathaus grundverschiedene Schlüsse aus den Gesprächen. Die Gegner forderten einen Bau- und Vergabestopp sowie eine direkte Entscheidungsmöglichkeit der Bürger bei "Stuttgart 21". Die Befürworter betonten, die Vermittlungsgespräche hätten geholfen, die Stärken des Projektes transparent darzustellen. Ein Schlichtungsverfahren wollten sie auch bei künftigen Großprojekten zur Regel machen. Eine Alternative zu "Stuttgart 21" gebe es aber nicht.

Die Gegner des Projekts nutzten die Abschlusssitzung der Schlichtungsgespräche für eine Abrechnung mit dem Bahnprojekt. Sie führten finanzielle, geologische, ökologische, städtebauliche und verkehrspolitische Bedenken gegen das Bauvorhaben ins Feld.

"Ein Kompromiss ist nicht möglich"

'Stuttgart 21' sei ein Jahrhundertprojekt, aber eines "des vergangenen Jahrhunderts", sagte der Grünen-Landtagsabgeordnete Werner Wölfle. Zwar sei man sich mit den Projektträgern darin einig, mehr Personen vom Auto und Flugzeug auf die Schiene bekommen zu wollen, allerdings nicht über die Mittel, wie das zu erreichen sei. Nach Ansicht des Architekten Peter Conradi ist ein Kompromiss zwischen 'Stuttgart 21' und dem Alternativkonzept 'Kopfbahnhof 21' nicht möglich: "Darin sind wir uns einig", sagte er.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) bezeichnete die Tieferlegung des Hauptbahnhofs als "enorm wichtig" für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Er verglich die Chancen der Stadt Stuttgart durch die freiwerdenden Gleisflächen in der Innenstadt mit den Chancen Berlins durch die ehemaligen Mauerflächen. Er versprach, dass in Stuttgart keine "seelenlose Architektur" entstehen werde.

Die Bahn zieht Lehren aus "Stuttgart 21"

Der Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) kündigte an, ein Forum für das Bahnprojekt einzurichten, wo Bürger ihre Sorgen und Wünsche einbringen könnten. Für die Bebauung der freiwerdenden Gleisflächen solle eine gemeinnützige Stiftung eingerichtet werden, um Spekulationen zu verhindern, so wie es Geißler empfahl. Deren Beschlüsse sollten nur mit einer Dreiviertelmehrheit des Stadtrates verhindert werden können.

Ein Schild mit der Aufschrift 'Vorsicht Grube!' hängt am Bauzaun vor dem alten Stuttgarter Hauptbahnhof (Foto: dapd)
Auch Bahnchef Grube war Zielscheibe der Kritik durch die ProjektgegnerBild: AP

Der Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn AG, Volker Kefer, sagte, die Bahn wolle künftig an ähnlichen Vermittlungsgesprächen festhalten: "Wir glauben, dass ein gesellschaftlicher Konsens bei Großprojekten möglich ist." Kefer resümierte, das Projekt "Stuttgart 21" sei durchgeplant, finanziert und könne bis 2019 oder 2020 realisiert werden. Das von den Projektgegnern vorgebrachte Alternativprojekt "K 21"sei zwar technisch machbar, jedoch nicht durchgeplant, geschweige denn durch ein Planfeststellungsverfahren gegangen. Auch die Finanzierung der Kosten von über drei Milliarden Euro sei nicht sichergestellt. Eine Realisierung würde zudem einen Zeitverzug bis 2035 bedeuten.

Stuttgarter Schlichtung geht in die Geschichte ein

Gegen "Stuttgart 21" wird seit Monaten heftig protestiert. Die im Internet und im Fernsehen übertragene Schlichtung hat für Deutschland eine historische Bedeutung, weil noch nie in solcher Offenheit über ein Infrastrukturprojekt debattiert worden war. Dieses Verfahren war angeregt worden, nachdem bei einem Polizeieinsatz zur Einrichtung einer Baustelle für "Stuttgart 21" über hundert Menschen verletzt worden waren.

Autor: Rolf Breuch (afp, dapd, dpa, rtr)
Redaktion: Sabine Faber/Reinhard Kleber