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Verbalattacke auf Merkel

8. Dezember 2014

Bundeskanzlerin Angela Merkel erntet nach ihrem Reformruf an Frankreich und Italien scharfe Kritik aus beiden Ländern. Berlin bemüht sich um Entspannung. Am Mittwoch entscheidet Paris über weitere Reformpläne.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel sitzt im Bundestag bei der Debatte zum Kanzleretat. (Foto: Reuters/S. Loos)
Bild: Reuters/S. Loos

"Maul zu, Frau Merkel. Frankreich ist frei", twittert der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon. Der 63-Jährige, der 2012 als Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich für Furore gesorgt hatte, übte bereits in der Vergangenheit scharfe Kritik an Merkels Politik und warf ihr eine "engstirnige und sehr dogmatische Politik" vor. Auf Twitter forderte er Merkel dazu auf, sie solle sich besser um die "Armen" und die ruinierte Infrastruktur in Deutschland kümmern.

Frankreichs Finanzminister Michel Sapin betonte, die Regierung in Paris setze ihre Reformen für Frankreich um und "nicht, um diesem oder jenem europäischen Politiker eine Freude zu machen". Sapin verwies dabei auch darauf, dass Merkels Äußerungen im Zusammenhang mit dem Parteitag ihrer CDU in dieser Woche in Köln gesehen werden müssten. "Wir machen Reformen", hob Sapin im Sender France 5 hervor. "Ich sage auch manchmal Dinge über Deutschland. Ich sage zum Beispiel, dass ich gerne hätte, dass in Deutschland mehr investiert wird."

"Merkel belebt Deutschenfeindlichkeit"

Die Regionalzeitung "Le Journal de la Haute-Marne" aus dem ostfranzösischen Chaumont ruft zu gemäßigten Tönen in der deutsch-französischen Freundschaft auf. "Angela Merkel spricht laut aus, was viele Deutsche - und auch viele Franzosen - über die Unfähigkeit Frankreichs zu tiefgreifenden Reformen denken. Die Realität unserer Haushaltdefizite gibt ihr Recht" und meint, "Merkel belebt damit eine unterschwellige Deutschenfeindlichkeit wieder, die es in der französischen Gesellschaft gibt." Die konservative Tageszeitung "Le Figaro" kommentiert, Frankreich versacke, die Reformen ließen auf sich warten, und Valls denke an die Regionalwahlen 2015. "Man kann Merkels Irritationen gut verstehen."

Auch aus Italien tönen gereizte Stimmen. Jeder müsse erst einmal sein eigenes Haus in Ordnung bringen, bevor er anderen Lektionen erteile, sagte der Staatssekretär beim italienischen Regierungschef Matteo Renzi, Graziano Delrio, in einem Fernsehinterview. Kritik kam auch vom Europastaatssekretär Sandro Gozi. Die italienische Regierung habe es sich nie erlaubt, anderen EU-Ländern ein Zeugnis auszustellen, «und wir verlangen den gleichen Respekt». Merkel solle sich auf interne Probleme wie fehlende Investitionen konzentrieren.

Derweil bemüht sich Merkels Kanzleramtssprecher Steffen Seibert, um Entspannung zwischen Berlin und Paris. Deutschland habe schon mehrfach "großen Respekt" über beide Länder ausgedrückt, die erhebliche Reformanstrengungen in Europa leisteten, sagte der Regierungssprecher. Zu Mélenchons Twitter-Botschaft äußerte er: Für den französischen Politiker gelte die Meinungsfreiheit. "Ansonsten könnte man sich fragen, ob eine andere, freundlichere Formulierung möglich gewesen wäre." Es handele sich um "keinen ernsthaften Beitrag zur Debatte, wie wir alle den Stabilitäts- und Wachstumspakt einhalten".

Entspannung zwischen Berlin und Paris?

In Deutschland wird befürchtet, dass das wirtschaftlich angeschlagene Frankreich wichtige Reformen nicht umsetzt und nicht genug unternimmt, um das Defizit abzubauen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte Ende November darauf verzichtet, Strafen gegen Frankreich und Italien zu verhängen, obwohl diese die EU-Stabilitätsvorgaben nicht einhalten. Brüssel gab vielmehr Frankreich, Italien und fünf weiteren Ländern noch bis Anfang März Zeit, um ihre Haushaltsprobleme in den Griff zu bekommen. Frankreichs Finanzminister Sapin fügte hinzu: "Wir machen Reformen." Die sozialistische Regierung in Paris legt am Mittwoch ein neues Reformgesetz für die Wirtschaft vor. Dieses sieht unter anderem die Ausweitung verkaufsoffener Sonntage vor und eine Liberalisierung bei den sogenannten geschützten Berufen und bei Fernbussen.

Die EU-Kommission habe bei Frankreich und Italien das Risiko einer Verletzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts festgestellt und bei Strukturreformen Handlungsbedarf diagnostiziert. "Das ist die Kommission und nicht Deutschland", fügte er hinzu. Deutschland wisse, dass ein Reformprozess Mut erfordere und wie etwa in Italien innere Schwierigkeiten mit sich bringe. Die Kanzlerin habe mehrfach ausgedrückt, dass sie den Reformkurs unterstütze. Mit dem "Jobs Act" habe Italien einen "wichtigen ersten Schritt" zur Reform seines Arbeitsmarktes gemacht. "Man muss nicht die Bundesregierung überzeugen, sondern man muss die Europäische Kommission überzeugen."

Merkel hatte in einem Interview mit der Tageszeitung "Welt am Sonntag" die bisherigen Reformanstrengungen als unzureichend bemängelt. Die EU-Kommission habe "deutlich gemacht, dass das, was bis jetzt auf dem Tisch liegt, noch nicht ausreicht", sagte Merkel und hob hervor: "Dem schließe ich mich an."

pab/det (dpa, afp, rtr)