1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Nach dem Weltuntergang

Christina Bergmann, Washington, D. C.5. November 2004

Die spannende Präsidentschaftswahl ist zu Ende. Letztlich ging es dann doch schneller, als alle vorher erwartet hatten. Die Nation ist wieder zum Alltag übergegangen. Der Bürgerkrieg ist ausgeblieben.

https://p.dw.com/p/5odo

Nach der Bibel ist Armageddon der mythische Ort, an dem die bösen Geister die Könige der ganzen Erde für einen großen Krieg versammeln. Die Wahl am 2. November, so sagten es viele Beobachter hier in den USA voraus, sollte die Armageddon-Wahl werden. Der Tag, an dem die gespaltenen amerikanische Nation aufeinander trifft, um Krieg zu führen. Krieg über Abtreibung und Homosexuellen-Ehe, Stammzellenforschung, Präventivschläge, Mindestlöhne und verlorene Arbeitsplätze.

Ausgefochten mit Wahlmaschinen, von denen nicht sicher war, dass sie in der Hitze der Schlacht auch funktionieren würden.

Tagelang hatten die Fernsehsender der Nation die Teilnehmer der Schlacht für diesen Krieg gerüstet. Sie überboten sich gegenseitig mit Sondersendungen, Analysen, Spekulationen.

Und dann kam der große Tag. Millionen Amerikaner machten sich auf den Weg. Schließlich war es die „wichtigste Wahl ihres Lebens“, das hatte ihnen der Herausforderer bis ganz zum Schluss eingebläut: die alles entscheidende Schlacht. Und es wurde spannend. Jeder Bundesstaat wurde erbittert umkämpft, bis zum Morgen des nächsten Tages. In Ohio schließlich wurde die letzte Schlacht geschlagen.

Und dann, als die Sonne aufging, gab der Herausforderer auf. Er gestand seine Niederlage ein. Der Sieger lächelte.

Zwanzigtausend Rechtsanwälte, darauf vorbereitet, den Krieg auf dem Papier weiter zu führen, sahen sich an, zuckten die Schultern – und mussten sich wieder andere Einkommensquellen suchen. Die Experten an der Börse rechneten kurz und wandten ihren Blick dann wieder anderen Spekulationsobjekten zu. Tausende Journalisten, ausgeschwärmt in alle Teile des Landes, klappten ihre Laptops zu – und hatten nichts mehr zu berichten. Denn Demonstrationen und Straßenschlachten – sie fanden nicht statt.

Leicht übernächtigt kehrte die Nation zum Alltag zurück. Hier mit ein bisschen Frust, dort mit großer Zufriedenheit. Und wer jetzt den Fernseher anschaltet, der erfährt wieder das, was die Nation wirklich bewegt: Wie es im Prozess gegen den Mann steht, der seine schwangere Frau umgebracht haben soll. Und dass Elizabeth Edwards, die Frau des Mannes, der Vizepräsident werden wollte, an Brustkrebs erkrankt ist.

Armageddon hat stattgefunden – und Amerika hat es überstanden. Und wie es sich für ein richtiges Happy End gehört, hat der neue alte Führer der Neuen Welt versprochen, Milde walten zu lassen und sich auch um die Verlierer zu kümmern.