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Olympic Moments

Alexander Göbel

Der 5. September 1972 ist der dunkelste Tag in der Olympia-Geschichte. Palästinensische Terroristen verüben ein Attentat auf die israelische Olympiamannschaft. Aber: The Show must go on!

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Ein maskierter Terrorist auf einem Balkon der israelischen Mannschaftsunterkunft.
Terror im Olympischen DorfBild: AP

Als der elfte Wettkampftag der Sommerspiele 1972 zu Ende geht, wehen die olympischen Fahnen in München auf Halbmast. Sie signalisieren Trauer im ganzen Land. „Ein schwarzer Schleier legt sich über diese Olympischen Spiele“, kommentiert ein Radioreporter des Bayrischen Rundfunks am Abend. Und diesen Schleier sollte die Olympiastadt München so schnell nicht mehr loswerden.

Das Drama beginnt am 5. September 1972 um 4:10 Uhr am Morgen: Acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September klettern über den Zaun bei Tor 25A und betreten das Olympische Dorf. Mit Sturmgewehren bewaffnet haben die Geiselnehmer keine Mühe, die israelischen Sportler in ihrer Wohnung in der Conollystraße 31 zu überwältigen. Schnell wird klar, dass es sich bei den maskierten Männern nicht um Sportler handelt. Fernsehen und Hörfunk sind live dabei – das sollte sich als großer Fehler erweisen.


Olympisches Drama in Hörfunk und Fernsehen

Der Ringer Joseph Romano und sein Trainer Moshe Weinberg werden gleich zu Beginn der Aktion verwundet, beide sterben vor den Augen ihrer Sportskameraden noch im Olympischen Dorf an ihren Verletzungen. Staat neue Weltrekorde zu vermelden, müssen die Medien nun über ein blutiges Attentat berichten. Und auch darüber, dass die Geiselnehmer drohen, alle israelischen Athleten zu erschießen, sollte Israel nicht bis 12 Uhr mittags alle palästinensischen Gefangenen freilassen.

Ein Archivbild (AP Photo) vom 5. September 1972 zeigt einen arabischen Terroristen (mit hellem Hut) bei Verhandlungen mit dem Münchner Polizeichef Manfred Schreiber und dem damaligen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (2. von links)
Vergebliche Verhandlungen mit dem GeiselnehmernBild: AP

Es gelingt, das Ultimatum um weitere fünf Stunden bis 17 Uhr zu verlängern. Die Terroristen haben unterdessen selbst aus Radio und Fernsehen vom Aufmarsch der Polizei erfahren, die eine Befreiungsaktion plant. Man hatte es versäumt, den Terroristen den Strom abzustellen. Dann verlangen die Terroristen, nach Kairo ausgeflogen zu werden. Die deutschen Verhandlungspartner geben vor, zuzustimmen. Zwei Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes transportieren die Terroristen und ihre Geiseln zum nahe gelegenen Flugplatz Fürstenfeldbruck, wo eine Boeing 727 mit laufenden Triebwerken auf sie wartet.


Entscheidung am Flughafen

Die deutschen Polizeibehörden planen, die Terroristen am Flughafen anzugreifen, mit – wie sich später herausstellt – gemessen an der Zahl der Entführer zu wenigen Scharfschützen und schlecht ausgebildeten Polizisten auf den Dächern des Flughafens. Die angeforderten Panzerfahrzeuge kommen viel zu spät. Die Radioreporter melden atemlos: „Anruf aus Fürstenfeldbruck; Schießerei, die Polizei schießt zurück.“ Die Aktion ist schlecht vorbereitet – und endet nach zwei Stunden im Fiasko: Im Kugelhagel und im Feuer gezündeter Handgranaten sterben sämtliche Geiseln, ein unbeteiligter Polizist wird tödlich am Kopf getroffen. Die Untersuchung der bayerischen Polizei schließt nicht aus, dass einige der Geiseln versehentlich von der Polizei erschossen worden sind.


The Games must go on!

Trotz der Geiselnahme setzt das Internationale Olympische Komitee die Wettkämpfe zunächst fort – eine gespenstische Stimmung herrscht im Olympischen Dorf. Erst nach Protesten zahlreicher Teilnehmer und werden die Spiele für einen halben Tag unterbrochen. Nach einer Gedenkstunde im Olympiastadion läßt IOC-Präsident Avery Brundage sie fortführen – mit vier Worten hat er Geschichte geschrieben: The Games Must Go On! Die Spiele müssen weitergehen: Und sie gehen weiter – allerdings ohne die übrige israelische Mannschaft, die nach dem Attentat abreist. Ein dunkler Schatten liegt auf der Olympischen Idee. Und für die Bundesrepublik, die der Welt nach den Spielen von 1936 endlich ein anderes Deutschland präsentieren wollte, ist dieser Anschlag auf jüdische Menschen bis heute ein schwerer Schlag. Dennoch: Der Sport hat nicht vor politisch motivierter Gewalt kapituliert. Bundeskanzler Willy Brandt meldet sich am Abend nach der Geiselnahme im Bayrischen Rundfunk: „Es darf nicht sein, dass eine Gruppe rücksichtsloser Extremisten darüber bestimmen kann, ob große internationale Veranstaltungen stattfinden können oder nicht. Die heiteren Spiele sind zu Ende. Was das bedeutet, werden viele von uns noch gar nicht ermessen können. In diesen Stunden und Tagen haben wir uns nun neu zu bewähren.“

Trauer im Münchner Olympiastadion (AP Photo)
Flaggen auf Halbmast - Trauer im OlympiastadionBild: AP