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West Eastern Divan Orchestra

23. Juli 2010

Im August bricht das West Eastern Divan Orchestra zu einer Lateinamerika-Tournee auf. Geprobt wird dafür in Sevilla. Zuvor waren einige Musiker noch bei einem Workshop. Zwischen Musik und Politik – eine Begegnung.

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Geiger Michael Barenboim vom West Eastern Divan Orchestra (Foto: G. Ausserhofer)
Michael BarenboimBild: G. Ausserhofer

In der Bibliothek ist es eng und stickig heiß. Ein Ventilator dreht sich träge. Die Tür zum Garten ist geöffnet, aber die Luft steht förmlich im Raum. Vier junge Leute proben hier im Kulturzentrum Bahnhof Rolandseck gerade ein Beethoven-Streichquartett. Unter den strengen Augen und Ohren eines unbestechlichen Lehrers: Chaim Taub – jahrzehntelang Konzertmeister beim Israel Philharmonic Orchestra – hat es sich nicht nehmen lassen, auch in diesem Jahr in der Nähe von Bonn einen Workshop abzuhalten. Taub ist mittlerweile 85, seine Schüler sind zwischen 20 und 25 Jahren alt. Chaim Taub lässt nichts durchgehen, immer wieder wird an Details gefeilt, müssen einzelne Takte oder Phrasen wiederholt werden. Manchmal singt er mit, klopft rhythmisch auf den Tisch und gelegentlich gibt es so etwas wie Lob: "You are close" - "Ihr seid nah dran", sagt er dann.

Mitglieder des West Eastern Divan Orchestra beim Auftritt im Bahnhof Rolandseck
Musik vor Kunst: Mitglieder des "Divan" beim Auftritt im Bahnhof RolandseckBild: Giovanni Ausserhofer

Ein Zeichen setzen

Aus einem anderen Raum erklingen unterdessen Oboe, Klarinette und Fagott. Auch hier wird an einem Kammermusik-Programm getüftelt und gefeilt. Im idyllischen Rolandseck proben die Musiker für einen Auftritt vor deutschem Publikum, in wenigen Tagen aber reisen sie nach Sevilla, wo ihr Orchester – das West Eastern Divan Orchestra – sich traditionell im Sommer trifft, bevor es auf Tournee geht. Die Mitglieder des "Divan" kommen aus verschiedenen Ländern des Nahen Ostens, aus Deutschland und der Türkei – sie sind so etwas wie musikalische Botschafter für Dialog und Verständigung. Ihr Orchester ist auch ein humanitäres Projekt, 1999 gegründet von zwei Persönlichkeiten, die ein Zeichen für Toleranz setzen wollten: Daniel Barenboim, weltberühmter Pianist und Dirigent, und der palästinensische Literaturwissenschaftler Edward Said haben jungen Musikern aus Israel, arabischen Ländern und Palästina Möglichkeiten eröffnet, die diese zuvor nicht hatten. Mit vielen Konzerten und auf Tourneen durch die ganze Welt hat das Orchester seither gezeigt, welches musikalische Potential in einer Region verborgen liegt, die sonst nur negative politische Schlagzeilen macht. Gemeinsames Musizieren, ins Gespräch kommen, sich gegenseitig zuhören – das ist freilich mehr als eine musikalische Herausforderung.

Auf hohem Niveau

Michael Barenboim – Sohn des Orchestergründers – ist 24 und Konzertmeister. Er hat sein Musikstudium in Rostock fast beendet und ist gerade dabei, eine Karriere als Geiger zu starten. Für ihn steht die musikalische Qualität im Vordergrund. Und zugleich: "Wir haben keinen politischen Auftrag, aber eine Idee. Wir hören den Geschichten des anderen zu. Das ist besser als Panzer und Raketen." Man spürt, dass die Musiker ihr Orchesterprojekt nicht mit politischen Diskussionen und Ansprüchen überfrachten wollen. Das Musizieren ist die Hauptsache, sagt auch Guy Braunstein, im Hauptberuf Erster Konzertmeister bei den Berliner Philharmonikern: "Wir machen beim Niveau keinen Kompromiss. Wir sind kein semi-professionelles Orchester, das ein bisschen kratzt und gut im Fernsehen aussieht wegen der Politik. Nein, das Wichtigste ist die höchst mögliche Qualität."

Musiker aus dem West Eastern Divan Orchestra im Arp-Museum
Musiker aus dem West Eastern Divan Orchestra im Arp-MuseumBild: Jürgen Hube

Musik und Politik

Die Probleme des Nahen Ostens bleiben gleichwohl spürbar. Auch Musik findet nicht im luftleeren Raum statt. "Wir befinden uns ja nicht außerhalb der Realität", meint Michael Barenboim. Und Guy Braunstein weiß: "Natürlich gibt es manchmal schwierige und komplizierte Situationen. Letztes Jahr haben wir eine Reise gemacht, Ende 2008, Anfang 2009. Gleichzeitig war die israelische Militär-Operation im Gazastreifen. Manche Orchestermitglieder haben Familie und Freunde dort. Und sie müssen 2000 Kilometer weit weg sitzen und musizieren. Das ist schwierig. Sehr schwierig."

Spannendes Projekt

Fagottistin Zeynep Koyluoglu
Fagottistin Zeynep KoyluogluBild: G. Ausserhofer

Wer beim West Eastern Divan Orchestra mitmachen will, muss nicht nur sehr gut sein, sondern auch Probespiele bestehen. So wie die türkische Fagottistin Zeynep Koyluoglu. Die 24jährige steht kurz vor ihrem Studienabschluss an der Musikhochschule Hannover und ist noch nicht so lange dabei. "Mich haben die Leute hier im Orchester interessiert. Es gibt bei uns verschiedene Religionen und Kulturen. Und eigentlich sind wir uns ja geographisch sehr nah." Der "Divan" ist für sie ein spannendes Projekt, das ihr vor allem musikalisch viel bringt. Sie entwickelt sich weiter mit ihrem Instrument, an das sie eher zufällig gekommen ist und dessen dunkle Tonfarbe sie so liebt. Bei Daniel Barenboim kann sie enorm viel lernen: "Er hat eine unglaubliche Energie, er ist nie müde, er kann ein Chopin-Konzert-Recital machen, am nächsten Tag eine Oper dirigieren, danach eine Bruckner-Sinfonie, dazu jeden Tag Probe und Konzerte – er ist unglaublich."

Das Kammermusik-Konzert wird ein fulminanter Erfolg – weitere intensive Probenarbeit wartet schon auf Zeynep und ihre Kollegen. In Sevilla, und dann in Südamerika. Vier lange Wochen.

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Gudrun Stegen