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Murat Topal: "Satire soll anpieksen"

Heike Mund8. Januar 2015

Der Anschlag auf "Charlie Hebdo" wirft in den Medien erneut die Frage auf: Wie weit darf Satire gehen? Auch Kabarettisten sind verunsichert. Reine Provokation liege ihm fern, sagt Comedian Murat Topal im DW-Interview.

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Comedian Murat Topal
Bild: Katja Renner

Murat Topal schöpft seine Themen aus dem ganz normalen Leben. Der Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters ist gelernter Polizist und trat anfänglich nur nebenberuflich als Comedian auf. Doch der Erfolg brachte ihn endgültig auf den Pfad des Bühnenkünstlers. Mit ehemaligen Polizeikollegen engagiert er sich an Berliner Schulen im Anti-Gewalt-Projekt "Stopp Tokat".

DW: Sie sind gerade von einer Reise aus der Karibik zurückgekommen. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie hier mitbekamen, was für eine Dimension dieser Terroranschlag in Paris hat?

Murat Topal: Ich habe die ersten Bilder am Flughafen gesehen. Ich muss sagen - auch wenn es von der Dimension nicht ganz zu vergleichen ist - es hat bei mir tatsächlich ein ähnliches Gefühl hervorgerufen, wie damals der 11. September. Neben der Erschütterung und dem Mitgefühl für die Angehörigen dort kam sofort diese Sorge auf, was jetzt daraus resultieren wird. Und wie sich bestimmte Meinungs- und Stimmungsbilder wieder verschärfen werden - in Europa und speziell auch in Deutschland.

Haben Sie Sorge, dass jetzt gerade die Satiriker und Kabarettisten mit den verminten Themengebieten noch vorsichtiger sein müssen? Wie gehen Sie als professioneller Comedian damit um?

Es ist ja eine sehr individuelle Entscheidung, wie man damit umgeht. Ob man sich dem nun ausliefert und sagt, ich lasse mich da beschneiden und beschränken, obwohl das das falsche Signal wäre - oder weiterhin sein Ding macht. Das ist einfach auch eine andere Zeit. Wenn man ein bisschen in der Geschichte der Satire zurückgeht und bedenkt, wie das alles angefangen hat, war der Wirkungskreis früher überschaubarer.

Heutzutage, in Zeiten des World Wide Web, haben wir das Problem, dass Dinge und Meinungen unreflektiert und schnell verbreitet werden und so oft auch falsche Bilder entstehen, die in ihrem Wirkungsgrad auch in die falsche Richtung gehen können. Früher blieb das in einem Theater oder Club in einem geschützten Raum, wo es sich dann dosiert und bedachter nach außen verbreiten konnte.

Verschleierte Frau und eine Polizistin in Berlin 13.01.2013
Berlin-Kreuzberg: Zusammenleben der unterschiedlichsten KulturenBild: picture-alliance/dpa/F. Schuh

Sie waren in ihrem früheren Leben Polizist in Berlin-Kreuzberg. Ihre Erfahrungen stehen beruflich auf zwei Standbeinen. Wird im Satire- und Kabarettgewerbe zuviel unbedacht gesagt?

Insbesondere in meiner Zeit als Polizist war mein Credo auch, mich individuell auf das Gegenüber einzustellen. Das war für mich immer die größte Herausforderung, meinen Job im Rahmen meiner Möglichkeiten bestmöglich auszuüben. Was aber für meinen zweiten Beruf in Bezug auf Satire nicht bedeuten darf, dass man Dinge nicht mehr äußert. Das ist nun mal ein wichtiges, zu verteidigendes Recht der freien Meinungsäußerung.

Man sollte aber auch Satire kritisch beäugen, vor allem wenn es um reine Provokation geht. Nichtsdestotrotz darf es in einer freien demokratischen Gesellschaft nicht solche gewaltsamen Auswüchse an Reaktionen geben wie aktuell in Paris. Das ist durch nichts zu rechtfertigen. Meine Sorge ist, dass das tragischerweise in beiden Lagern wieder den falschen Kräften in die Hände spielen wird.

Läuft Satire, weil sie per se böse sein und weh tun will, nicht Gefahr, dass sie bei Menschen unterschiedlichen Glaubens falsch ankommt?

Ich selber bin ja auch als Moslem auf die Welt gekommen (1975 in Berlin/Anmerk. der Red.), kann aber trotzdem mit Satire gut umgehen. Sicherlich muss man die Sachen nicht alle toll finden, aber letztendlich habe ich immer noch diesen sogenannten Alltagsverstand, um die nötige Distanz dazu zu haben. Die öffentliche Wahrnehmung tendiert aber dahin, dass man alle möglichen Religionen auch öffentlich kritisieren darf, nur nicht den Islam. Und das ist natürlich nach diesen schrecklichen Ereignissen in Paris wieder so.

Ich habe da natürlich sehr große Sorge, was das jetzt für Auswüchse haben und was es vorantreiben wird. Ich glaube, wir haben mittlerweile das Problem, dass man diesen Terrorismus mit einer der Weltreligionen gleichsetzt. Ich spüre auch so eine Verzweiflung, insbesondere bei Menschen meiner Generation, die keine Notwendigkeit gesehen haben, sich damit auseinanderzusetzen. Wir haben uns immer als friedliebende Europäer gesehen und dieses Land als unsere Heimat empfunden. Und auf einmal wird der Glauben instrumentalisiert: Was ist jetzt mit meiner Identität als Deutscher und Muslim? Das bedeutet, in einen großen Konflikt zu geraten, den man selbst nicht hatte.

Fühlen Sie sich nicht mehr sicher?

Ich habe festgestellt, dass ich, seit ich Kinder habe, nicht mehr so unbedarft bin. Das ist eigentlich eine tragische Entwicklung, weil man sich fragt: Wo geht das denn hin? Wobei das immer noch ein Unterschied ist, wenn man Dinge als Künstler nicht anspricht oder ob man das aus Sorge um seine Kinder tut. Was soll ich als Vater machen? Soll ich meinen Kindern sagen, dass sie nicht sagen dürfen, dass ihr Opa aus der Türkei kommt und sie einen muslimischen Background haben? Oder gibt man ihnen einen noch europäischeren Spitznamen, damit das nicht auffällt?

Entertainer Murat Topal bei Dreharbeiten
Bühnenprofi Murat Topal schlüpft gern in die Rollen von starken TypenBild: picture-alliance/dpa/B. Settnik

Wie gehen sie damit bei der Vorbereitung Ihrer Comedy-Programme um? Haben Sie einen inneren Schiedsrichter, der klar sagt: Das geht jetzt zu weit! Das ist kein Fair Play mehr, sondern eine Grenzverletzung?

Ich verurteile und richte über keinen Kollegen. Es gibt Kollegen, die in ihren Äußerungen wesentlich schärfer und härter sind. Meine Herangehensweise ist die: Ich gehe soweit, wie ich es selbst als Zuschauer auch ertragen würde. Und ich persönlich ertrage eine ganze Menge. Aber ich versuche immer einen Weg zu finden, der niemanden nachhaltig kränkt. Man muss die Leute anpieksen. Aber das ist eine Gabe und eine Fähigkeit, die man auch beherrschen muss. Was mir fern liegt, ist die reine Provokation, die nur auf das Reizen und Verletzen des Gegenübers angelegt ist.

Ich bin ja nun Deutscher, auch wenn man von vielen nicht so wahrgenommen wird. Aber als reiner "Bio-Deutscher" bin ich nicht gefordert, jeden Tag auf die Straße zu gehen und gegen Rechtsradikale zu demonstrieren. Ich frage mich, ob man als Moslem da immer Stellung beziehen muss. Da wird gerade nach solchen Terroranschlägen schnell gesagt: Die muslimische Gemeinschaft muss sich stärker dagegenstellen. Aber wir sind von diesen gewaltbereiten Menschen genauso bedroht wie alle anderen auch.