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Politik

Moskaus Wege durch Nahost

5. Februar 2018

In Syrien zeigt sich Russland als robuste Macht. Die Probleme sind aber zu komplex, als dass sie einseitige Allianzen zuließen. Moskau muss seinen Weg in der Region noch finden.

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Syrien Putin ordnet Rückzug an - Besuch auf Militärbasis
Bild: picture alliance/ dpa/TASS/M. Klimentyev

Sie könnten erhobenen Hauptes zurück in die Heimat kehren, hatte der russische Präsident Wladimir Putin jenen Soldaten erklärt, die er im Dezember vergangenen Jahres, rund zwei Wochen vor Weihnachten, zurück in die Heimat verabschiedete. "Sie kehren als Sieger in Ihre Heimat zurück zu Ihren Angehörigen", wandte er sich damals auf der russischen Luftwaffenbasis Hamaimim in der Provinz Latakia an die Militärangehörigen, die von dort zurück nach Hause flogen. Ein Großteil der Arbeit sei getan, erklärte er damals - fügte aber warnend hinzu: "Wenn die Terroristen in Syrien noch einmal ihren Kopf erheben, dann werden wir ihnen einen Schlag versetzen, wie sie ihn zuvor noch nicht erlebt haben."

Nun haben mutmaßlich Dschihadisten der Gruppe "Komitee zur Befreiung der Levante" in der Region Idlib einen russischen Kampfjet abgeschossen. Der Angriff setzte Putin unter Zugzwang: Umgehend flog die russische Luftwaffe verheerende Angriffe auf die Stellungen der Dschihadisten.

Der Abschuss dürfte Moskau aber auch klar gemacht haben, wie prekär die Lage in Syrien immer noch ist, ja mehr noch: dass sie, nach dem türkischen Einmarsch auf die kurdische Enklave Afrin, weit unübersichtlicher und explosiver ist als noch im vergangenen Dezember.

Denn Moskau muss nicht mehr nur dschihadistische Gruppen militärisch in Schach halten. Ebenso muss es die PYD besänftigen, die wichtigste politische Vertretung der syrischen Kurden. Deren Vertreter sind erbost, dass Moskau - wahrscheinlich nach vorhergehender Absprache - die Region um Afrin geräumt hat, damit die türkische Armee im Verbund mit der so genannten Freien Syrischen Armee dort ungehindert einmarschieren kann.

Syrien Abschuss Russischer Kampfjet Suchoi Su-25 in der Provinz Idlib
Der Abschuss eines russischen Kampfjets in der Provinz Idlib setzt Moskau unter ZugzwangBild: Getty Images/AFP/O. Hajkadour

Zwischen Kooperation und Entfremdung

Dass Russland bereit ist, die Kurden - die es auf der Friedenskonferenz in Sotschi Ende Januar unbedingt dabei haben wollte - dem schwierigen, aber ausbaubaren Verhältnis zur Türkei zu opfern, zeigt vor allem eines: Russland ist bemüht, sich im Nahen Osten als verlässlicher Bündnispartner zu präsentieren. "Russland hat zugelassen, dass die türkische Operation starten konnte, um so die zerbrechliche Allianz zu erhalten, die Putin mit der Türkei und Iran geschlossen hat", schreibt der Polit-Analyst Mehmet Ozalp in der Zeitung "The Conversation".

Mit der Entfremdung von den - bislang vor allem von den USA unterstützen - Kurden zahlt Russland einen hohen politischen Preis; um die bis vor einiger Zeit noch so schwierigen Beziehungen zur Türkei zu konsolidieren. Die hatten sich im November 2015 massiv verschlechtert, nachdem das türkische Militär ein russisches Kampfflugzeug abgeschossen hatte. Doch offenbar ist Russland willens, diesen Preis zu zahlen. Und zwar aus mehreren Gründen.

Russland braucht den Dialog

Anders als Russland hat die Türkei seit Ausbruch des Krieges in Syrien entschieden auf einen Sturz Assads hingearbeitet. Das hat Russland, Assads Schutzmacht, zu verhindern gewusst. Doch im Laufe des Krieges hat Ankara Kontakte zu ganz unterschiedlichen Gruppen der syrischen Opposition geknüpft - Kontakte, auf die Russland nun, da der Krieg in weiten Teilen Syriens abgeklungen ist, zurückgreifen möchte.

Denn nur im Dialog mit der Opposition ließe sich Syrien befrieden. Eben darauf versuche Moskau hinzuarbeiten, sagt der Syrienexperte André Bank vom GIGA-Institut für Nahost-Studien in Hamburg im Gespräch mit der DW. Zugleich wolle Putin vorerst aber auch Assad an der Macht halten. "Denn das ist Voraussetzung dafür, dass Russland seinen Einfluss in dem Land weiter behält."

Syrien Proteste in Afrin gegen türkischen Militäreinsatz
Demonstration in Afrin gegen den Einmarsch der Türkei. Hat Moskau Ankara den Weg freigemacht?Bild: Getty Images/AFP/D. Souleinman

Allerdings gehe es Russland bei seinem Einsatz für Assad nicht um diesen persönlich, heißt es in einer Analyse des Online-Magazin Al Monitor. Vor allem wolle man beweisen, dass man ein verlässlicher Partner sei. Auf Grundlage dieses Rufes hoffe Moskau, nach und nach immer weitere Bündnispartner in der Region zu gewinnen.

Fragwürdige Nullsummenlogik

Offen ist, wie Russland seine eigenen Interessen und die seiner - derzeitigen oder womöglich künftigen - Partner in Einklang bringen will. Verschiedentlich wird die Vermutung geäußert, Moskau wolle den Konflikt um Afrin als Hebel nutzen, um die beiden NATO-Partner Türkei und USA auseinanderzutreiben.

Doch eine solche Nullsummenlogik - Verluste des Gegners kommen immer der eigenen Seite zugute - könnte sich auf Dauer als Sackgasse erweisen. Denn sowohl die USA als auch die Kurden waren, teils direkt, teils indirekt, Partner Russlands im Kampf gegen dschihadistische Gruppen in Syrien. Den Kampf gegen sie hat sich Russland einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur Tas zufolge jeden Tag rund umgerechnet 2,8 Millionen US-Dollar kosten lassen. Insofern dürfte Moskau das Engagement der Kurden gegen die Dschihadisten langfristig entgegenkommen. Allein die hohen Kriegskosten lassen vermuten, dass es in Moskaus Interesse liegt, langfristig freundliche Beziehungen zu den großen Akteuren in der Region zu pflegen - einschließlich der USA.

Offene Fragen

Hinzu kommt, dass auch die Partnerschaft zu Iran Moskau langfristig vor Probleme stellen würde. Einem Bericht der Zeitschrift Foreign Policy zufolge will Iran nicht nur seinen in den vergangenen Jahren erkämpften Einfluss in Syrien behalten, sondern seine dortigen Waffenpartner zumindest teilweise zu einer schlagkräftigen Miliz nach Art der libanesischen Hisbollah ausbauen. Deren Feinde, so Foreign Policy, stünden fest: Israel und die USA. Ob Russland bereit ist, seine Beziehungen zu Israel und den USA denen zu einem solchen Geschöpf zu opfern, ist zweifelhaft. Moskau muss also auch sein Verhältnis zu Teheran klären. Russlands Wege durch Nahost sind in vielerlei Hinsicht noch offen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika