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Aufklärung gegen außenpolitische Rücksicht

Jeanette Seiffert9. Juli 2014

Im Streit um die Befragung Snowdens im NSA-Untersuchungsausschuss wollen die Grünen das Bundesverfassungsgericht einschalten. Mit völlig offenem Ausgang, meint der Verfassungsrechtler Martin Morlok.

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Prof. Martin Morlok. Foto: dpa/lnw.
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Die Opposition im Deutschen Bundestag will den Whistleblower Edward Snowden unbedingt in Deutschland befragen, die Bundesregierung will das verhindern. Die Grünen haben eine Klage beim Bundesverfassungsgericht angekündigt. Wie könnte die denn konkret aussehen?

Martin Morlok: Der NSA-Untersuchungsausschuss müsste gegen die Bundesregierung ein so genanntes Organstreitverfahren anzetteln mit dem Ziel, festzustellen, dass die Regierung ein Recht des Untersuchungsausschusses verletzt. Die Regierung hat ganz grundsätzlich die Pflicht, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um das Informationsinteresse des Ausschusses zu befriedigen. Normalerweise haben wir das Problem, dass der Ausschuss Akten aus dem Regierungsbereich haben will und die Regierung sagt: Nein, kriegt ihr nicht, die sind geheim. Oder es geht darum, dass man keine Aussagegenehmigung für Beamte bekommt. Da ist der Fall relativ klar, da hat der Untersuchungsausschuss starke Rechte gegenüber der Regierung.

Und wie stehen die Erfolgsaussichten einer Klage in diesem Fall - ist es wirklich vorstellbar, dass das Verfassungsgericht die Bundesregierung dazu zwingt, Snowden zu laden?

Hier liegt der Fall etwas anders: Der Ausschuss kann natürlich Snowden laden, aber die Frage ist: Wie kommt er zu uns ins Land? Als US-amerikanischer Staatsbürger braucht er kein Visum. Aber die Amerikaner suchen Snowden ja mit Haftbefehl, es gibt ein Auslieferungsabkommen mit der Bundesrepublik, und er wird natürlich nicht kommen, wenn ihm die Auslieferung an die USA droht.

Aber in diesem Abkommen gibt es auch Ausnahmeklauseln, und eine davon besagt: Bei politischen Straftaten wird nicht ausgeliefert. Und da hat man natürlich einen großen Interpretationsspielraum, ob das, was man Snowden vorwirft, eine politische Straftat ist: Die Amerikaner werden das verneinen, aber wenn man will, kann man das natürlich auch so sehen, dass seine Enthüllungen einen bewussten politischen Akt darstellten, um gegen die Abhörpraktiken der Amerikaner vorzugehen - gerade, weil er damit an die Öffentlichkeit gegangen ist.

Die deutsche Regierung wird bei dieser Frage sicher auch in Rechnung stellen, ob die Einladung an Snowden zum Untersuchungsausschuss die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten belastet. Und da haben wir wieder ein eigenes Problem: Wer ist verantwortlich für die Pflege der auswärtigen Beziehungen? Üblicherweise sagt man: Das ist das Vorrecht der Regierung. Aber auf der anderen Seite hatten wir in der jüngsten Vergangenheit die Tendenz, dieses Monopol der Regierung im außenpolitischen Bereich zurückzudrängen. Das heißt, dass das Parlament auch in der Außenpolitik eine stärkere Rolle spielt - man denke nur an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit der Euro-Rettung. Und gerade weil sich die Öffentlichkeit völlig zu Recht über die Aktivitäten der US-amerkanischen Geheimdienste in Deutschland aufregt, ist es schon auch ein Interesse des Deutschen Bundestages, dass man das richtig aufklärt.

Wenn sie mich also nach den Erfolgsaussichten fragen, so ist es für mich völlig offen, wie das Bundesverfassungsgericht das beurteilt, wenn das Aufklärungsinteresse gegen außenpolitische Rücksichtnahme steht. Das ist eine ganz neue Konstellation, aber dafür haben wir ja ein Verfassungsgericht, um über solche neu auftauchenden Rechtsfragen zu entscheiden.

Gab es denn vergleichbare Fälle aus der Vergangenheit, von denen man auf den aktuellen schließen könnte?

Wir haben eine ganze Reihe von Verfahren mit Untersuchungsausschüssen gehabt, ich habe auch selbst welche betrieben. Da ging es aber meistens um die Frage der Geheimhaltungsrechte der Bundesregierung. Zu der Frage, was den Spielraum der Regierung bei der Festlegung von außenpolitischen Interessen betrifft, gab es meines Wissens aber noch kein Verfahren dieser Art - vermutlich auch, weil es eben eine jahrzehntelange Tradition gibt, dass man sagt: Das soll die Regierung machen. Aber wir sind seit eine paar Jahren dabei, das Parlament hier stärker ins Spiel zu bringen.

Martin Morlok ist Professor für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie und stellvertretender Direktor des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Das Interview führte Jeanette Seiffert.