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Mord an der eigenen Tochter?

Sonja Jordans25. September 2015

Weil sie ihre Tochter getötet haben sollen, muss sich ein Elternpaar aus Pakistan seit Freitag vor dem Landgericht im hessischen Darmstadt verantworten. Die Eltern duldeten nicht, dass das Mädchen einen Freund hatte.

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Darmstadt Prozess Ehrenmord
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Als Shazia K. ihr jüngstes Kind sieht, brechen bei ihr alle Dämme. Unter Tränen steht sie von ihrem Stuhl auf, hält ihrem Kind beide Arme entgegen und schluchzt jämmerlich. Verzweifelt versucht sie, über die Anklagebank hinweg zu ihrer Tochter Kontakt aufzunehmen. Doch die 14-Jährige würdigt ihre Mutter kaum eines Blickes, huscht nur verängstigt zu ihrem Platz im Zeugenstand.

Im vollbesetzten Gerichtssaal des Landgerichts im hessischen Darmstadt trifft die 14-Jährige nach Monaten der Trennung wieder auf ihre Eltern – und zeigt ihnen die kalte Schulter. Für ihre Mutter offensichtlich unverständlich. Doch wer weiß, was die 14-Jährige erlebt hat, versteht ihre Reaktion. Denn vor ihr sitzen nicht nur ihre Eltern, sondern auch die mutmaßlichen Mörder ihrer Schwester.

Die 14-Jährige soll erzählen, wie sie die letzten Tage im Leben ihrer Schwester erlebt hat. Heimtückischer Mord aus niedrigen Beweggründen nennt sich in Juristensprache das, was sich in der Nacht des 28. Januar 2015 in der Wohnung einer Hochhaussiedlung des Darmstädter Stadtteils Kranichstein zugetragen haben soll.

Seit Monaten schwelender Streit

Monate schon hatten Shazia K., ihr Ehemann Asadullah sowie die 19 Jahre alter Tochter Streit. Die junge Frau hatte einen Mann kennengelernt, Student, "aus gutem Hause" wie es heißt. Weil sich die jungen Leute heimlich trafen und SMS schrieben, gab es immer wieder Ärger. Die streng religiösen Eltern, einst selbst per arrangierter Ehe in Pakistan zusammengeführt, duldeten die Freundschaft ihrer Tochter nicht. Treffen ohne Verlobung? Undenkbar nach den streng religiösen Regeln der Eltern. Die Tochter, aufgewachsen in Darmstadt, widersetzte sich den Wertvorstellungen ihrer Eltern, traf sich mit ihrem Freund. Lange ging das nicht gut.

Als die Mutter herausgefunden hatte, dass sich ihre Älteste mit dem ebenfalls aus Pakistan stammenden Studenten traf, verbot sie nach Absprache mit ihrem Mann weitere Treffen. Da die Tochter dies jedoch weiterhin ignorierte, kam es laut Staatsanwaltschaft am 28. Januar dieses Jahres zu der unvorstellbaren Tat: Nachdem die Mutter dafür gesorgt haben soll, dass ihr jüngeres Kind die Nacht bei der Tante verbringt, soll der Vater gegen zwei Uhr nachts ins Zimmer seiner Tochter gegangen sein, sich auf die Schlafende gesetzt und sie mit bloßen Händen erwürgt haben. Danach hätten die Eltern die Leiche ihrer Tochter angekleidet, mithilfe eines Rollstuhls aus dem Hochhaus geschafft und an einem nahegelegen Freizeitzentrum "die Böschung runtergekippt", wie es die Staatsanwaltschaft schonungslos beschreibt.

Landgericht Darmstadt Foto: Christoph Schmidt/dpa
Der Prozeß findet vor dem Landgericht Darmstadt stattBild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt

Wer die angeklagte Mutter im Gerichtssaal erlebt, kann sich kaum vorstellen, dass diese kleine zarte Frau mit den verweinten Augen und den gebeugten Schultern an solch einer Tat beteiligt gewesen sein soll. Die dunklen, langen Haare mit einem hellrosafarbenen Kopftuch locker bedeckt, blickt sie nur auf den Tisch vor sich und schluchzt. Nicht mal ihren auf Armeslänge von ihr entfernt sitzenden Ehemann schaut sie an. "Das alles nimmt meine Mandantin sehr mit", betont denn auch ihr Verteidiger in einer Sitzungspause.

"Unehrenhaftes Verhalten"

In ihrer Einlassung, die Shazia K. von ihrem Anwalt vortragen lässt, bezeichnet sie sich auch als stets unterdrückte Frau, die ihrem Ehemann zu gehorchen hatte und keine eigene Meinung haben durfte. Selbst einen Deutschkurs habe der strenge Ehemann ihr verboten. Auch von den Streitereien mit ihrer Tochter berichtet der Anwalt in der Einlassung seiner Mandantin. "Unehrenhaft" sei das Verhalten der Tochter gewesen, zudem sei sie "nächtelang" fort geblieben, habe sich respektlos den Eltern gegenüber verhalten und sogar ihr Kopftuch abgelegt. "Fassungslos" ist das Wort, das immer wieder fällt, wenn Shazia K. ihre Gefühle beschreibt.

Eines Tages habe die Shazia K. im Briefkasten Post von der Polizei gefunden: Die 19-Jährige Tochter der Familie sei beim Diebstahl von Kondomen erwischt worden. "Da war klar, es gab sexuelle Kontakte", sagt der Verteidiger. Shazia K. zeigte den Brief ihrem Mann. "Da rastete er aus," lässt sie durch ihren Anwalt mitteilen. Immer wieder habe es seitdem Streit gegeben. So auch in der Tatnacht - die 19-Jährige soll ihren Vater sogar geschlagen haben, berichtet die Mutter weiter. Als es ruhiger geworden sei, habe sie eine Tablette genommen und sei zu Bett gegangen. Irgendwann sei sie wach geworden. Wieder hätten Vater und Tochter gestritten. Sie habe vermitteln wollen, so die Angeklagte, aber ihr Mann habe sie fortgeschickt. Kurz darauf habe sie gesehen, wie er auf der schlafenden Tochter gesessen und ihr den Hals zugedrückt habe. "Ich wollte schreien, aber es ging nicht." Auch dazwischen gehen habe die an Rheuma erkrankte Frau nicht können.

Nach der Tat habe ihr Mann sie gezwungen, die tote Tochter anzukleiden und mit ihm aus dem Haus zu schaffen. An der Tat selbst sei die nicht beteiligt gewesen. Hilflos habe die Mutter mit ansehen müssen, wie ihr geliebtes Kind getötet wurde, weil es "Schande" über die Familie gebracht hatte.

Mutter hatte das Sagen

Doch die 14 Jahre alte zweite Tochter des Paares gewährt andere Einblicke in das Familienleben. Auf die Frage des Gerichts, warum sie zwar ihren Vater, nicht aber ihre Mutter im Gefängnis besucht habe, antwortet sie. "Weil ich Mama nicht mehr sehen möchte". Das Gericht ist verwundert, hakt nach. "Ich will sie nicht sehen", sagt das Kind mit bebender Stimme. "Papa war lieber als Mama."

Darmstadt Prozess Ehrenmord
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Die Mutter habe zu Hause "das Sagen" gehabt habe. Sie sei sehr streng gewesen und habe die Kinder oft geschlagen. "Ohrfeigen, und auch gegen den Kopf", sagt die 14-Jährige, die inzwischen mit niemandem mehr aus der Familie Kontakt hat. Auch soll die 41 Jahre alte Mutter ihre Kinder mit einem Stock angegangen sein, die Hand der älteren Tochter auf eine heiße Herdplatte gedrückt haben. Dies habe die 19-Jährige vor ihrem Tod erzählt.

Während sein Kind erzählt, sitzt der mit angeklagte Vater tränenüberströmt an seinem Platz. Er schaut immer wieder zu seiner Tochter hinüber, doch das Mädchen erwidert seinen Blick nicht. Es tue ihm leid, er wünschte, er könne die Tat ungeschehen machen, hatte der 51-Jährige Deutsche pakistanischer Herkunft kurz zuvor verlauten lassen. Er liebe seine Kinder, auch die tote Tochter. Dass er sein 19 Jahre altes Kind erwürgt haben soll, hatte er bereits Monate zuvor bei der Polizei eingeräumt.

"Mama hat uns weggeschickt"

Im Beisein ihrer Anwältin berichtet seine 14-Jährige Tochter unterdessen, dass an jenem Abend, als ihre Schwester starb, eigentlich ihre Cousine bei ihr habe übernachten wollen. "Doch Mama hat uns weggeschickt, sie wollte, dass wir bei meiner Tante übernachten." Mehrfach habe sie nachgefragt, aber ihre Mutter sei hart geblieben. "Meine Schwester würde ihre Ruhe brauchen, hat sie gesagt", so das Mädchen.

Als sie vom Tod der 19-Jährigen erfuhr, habe sie "zuerst gedacht, sie hat Selbstmord gemacht"" berichtet die Zeugin. "Wegen dem Stress zu Hause." Dann aber habe ihr die Tante berichtet, die Schwester sei "an Blinddarm" gestorben. Die bittere Wahrheit erfuhr das Kind, das seit der Tat in therapeutischer Behandlung ist, erst später. Der Prozess wird am 2. Oktober fortgesetzt.