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"Monocle"-Ranking: Tokio, Wien, Berlin und München vorn

Antje Binder db
2. Oktober 2017

Tokio ist laut einer neuen Studie die lebenswerteste Stadt der Welt. Aber auch Berlin und München schneiden im Ranking des Magazins "Monocle" gut ab. Chefredakteur Tyler Brûlé erklärt, was die Städte so besonders macht.

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Tyler Brûlé
Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

DW: Was macht eine Stadt lebenswert? Nach welchen Kriterien sind Sie bei Ihrem Städte-Ranking vorgegangen?

Jayson Tyler Brûlé: Bei unseren Studien über die Lebensqualität ist einer der wichtigsten Faktoren für uns, dass eine Stadt frei von Spannungen ist. Das heißt, der öffentliche Nahverkehr funktioniert, die Datenkommunikation funktioniert, das Leben in der Stadt ist praktisch reibungslos. Für ein tolles Leben braucht es ein Maximum an Erlebnissen am Tag. Das heißt, man sollte morgens in einen Fluss oder See springen können, dann locker zur Arbeit pendeln, wo man eine schöne Arbeitsumgebung hat – und das gleiche sollte man tun können, wenn man von der Arbeit kommt.

Eine spannungsfreie Stadt braucht eine gute Infrastruktur und Mobilität, egal ob Schienen oder Radwege. Und es muss auch möglich sein, aus der Stadt in die Welt zu reisen – all diese Faktoren spielen eine Rolle.

Wien ist in Ihrem Ranking an erster Stelle der lebenswertesten Städte in Europa. Was macht Wien so besonders?

Wien ist interessant. Die Stadt hat sich auch schon im letzten Jahr gut geschlagen. Vor 100 Jahren, also etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts, hatte Wien mehr Einwohner als zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Die Größe stimmt. Die Stadt erlaubt den Einwohnern aufzuatmen. Und sie hat eine unglaubliche Geschichte.

In diesem Jahr haben wir uns aber auch genauer als zuvor angeschaut, was eine Stadt Start-ups bietet. Das ist eine wichtige, entscheidende Zeit in Europa, wenn man an den Brexit denkt.

Wenn Leute darüber nachdenken, wo sie wohnen wollen, sind weitere Überlegungen ausschlaggebend: Wie einfach ist es, ein tolles Büro oder Atelier zu finden? Könnte ich dort meine Träume erfüllen, wenn ich beschließe, eine Stadt wie London zu verlassen? "Monocle" ist eine internationale Zeitschrift, wir haben Europa und die Welt im Blick.

Skyline Berlin (Foto: picture-alliance/R. Schlesinger)
Preiswert, locker, beweglich - alles Faktoren die Berlin lebenswert machen, sagt Tyler BrûléBild: picture-alliance/R. Schlesinger

Was macht Berlin lebenswert?

Berlin haben wir uns ein wenig aus der Brexit-Perspektive angeschaut. Welche Städte werden sich zu neuen europäischen Hauptstädten entwickeln? Nicht nur zu Finanz- oder Technologiezentren, sondern zu Orten, an denen Menschen leben möchten. Auch wenn die Preise steigen, sind eine tolle Wohnung oder auch ein Büro in Berlin immer noch relativ preiswert zu bekommen. Was uns noch an Berlin gefiel, ist, dass man die Dinge dort teilweise ziemlich locker nimmt – Behörden kommen nicht sofort vorbei, wenn Läden etwas länger aufbleiben. Uns hat das gefallen, dieser Schneid, dass man beweglich bleibt. Denn ich denke, auch das macht eine moderne Stadt aus.

Sie erwähnen auch öffentliche Orte, die jedem in Berlin zugänglich sind. Warum ist das etwas Besonderes?

In Berlin erleben wir, wie Bewohner und Besucher bestimmte Gegenden in der Stadt übernommen haben. Natürlich gab es in Berlin immer diese leichte Zügellosigkeit. Plötzlich gibt's da einen Park: Da ist ein Abrissgebäude und ehe man sich versieht, ist aus dem Nichts ein Schrebergarten entstanden – das, finde ich, muss man feiern. Wird sich die Zivilgesellschaft auflösen, weil ein paar Leute sich den Sommer über an Wochenenden dort aufhalten, wenn die Bauarbeiten ruhen? Wohl eher nicht.

Der Prinzessinnengarten in Berlin
Urban Gardening in Berliner PrinzessinnengartenBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Wir möchten Bürgermeister, Städteplaner und Vermieter bestärken, sich anzuschauen, wie Dinge in anderen Städten gemacht werden. Berlin steht vor vielen Herausforderungen, aber es bietet auch vielfältige Gelegenheiten.

München ist auch auf der Liste, könnte aber kaum unterschiedlicher sein als Berlin. Wie erklärt sich das?

Die Konnektivität, also wie gut man sich eine Stadt erschließen kann, war einer der Hauptfaktoren unseres Lebensqualitäts-Rankings. Da ist München hervorragend aufgestellt, hauptsächlich durch den Flughafen. Von diesem wirklich außergewöhnlichen Flughafen erreichen Sie jeden Ort der Welt; hier möchte man seine Reise beginnen und beenden.

Uns gefiel auch die Nähe zur Natur. Nicht nur zu Seen, wie es sie in Berlin gibt, sondern die bayrische Voralpenlandschaft und die Nähe zu den Alpen. Aktuell wird München auch ein wenig missverstanden: Alle denken, Start-ups, Jugend und Energie gibt es nur in Berlin. Aber den Technologie-Boom, Zentren für Mobilität und Transport, das hat Berlin nicht – das hat München. Dort gibt es auch eine Menge kreative Energie.

Eine Herausforderung der Städte im deutschsprachigen Raum ist allerdings die 6-Tage-Woche. Und deswegen hat Tokio besser abgeschnitten im Ranking, weil es eben rund um die Uhr geöffnet ist.

Tokio, Wolkenkratzer
Tokio: die 24-Stunden-Stadt Bild: picture-alliance/dpa/K.Mayama

Ich denke, diese mitteleuropäischen Städte stehen vor der Herausforderung zu erkennen, dass nicht alle Menschen von 9:00 bis 17:00 arbeiten. Wir sollten nach Tokio blicken als Beispiel einer Rund-um-die-Uhr-Stadt, die ja nicht laut sein muss, sondern sehr gelassen sein und trotzdem funktionieren kann, keine Unruhe stiftet und dennoch immer pulsiert. Wenn deutsche, österreichische, schweizerische und sogar dänische Städte mithalten wollen, müssen sie sich an asiatischen Vorbildern orientieren.

Wie sieht die lebenswerte Stadt der Zukunft aus?

Sie hat etliche Herausforderungen zu meistern, bietet aber hoffentlich noch mehr Chancen. Einerseits wollen Städte sich auf die Jugend und die Eltern konzentrieren, aber wir sollten uns Japan mit seiner alternden Bevölkerung anschauen. Die große Herausforderung für Europa wird nicht sein, wie wir mit unseren Kleinkindern umgehen, sondern mit unseren Senioren, von denen dann viele älter als 90 oder 100 sind. Diese Menschen dürfen wir nicht vergessen, wenn wir über Konnektivität nachdenken. Sie werden sehr wichtig sein und ich denke, dass ist ein großes Problem und eine riesige Herausforderung.

Wir müssen uns auch auf flexiblere Zeiten einstellen. Ob man nun früher anfängt zu arbeiten oder später aufhört – Service- und Einzelhandelssektor müssen sich anpassen.

Wie gestalten wir eine bezahlbare Lebensumwelt? Das ist die wichtige Frage – nicht nur für die gewählten Politiker sondern auch für Privatleute. Es ist wie bei einer guten Party, da wollen Sie auch nicht nur eine Alters- oder Bevölkerungsgruppe. Zu einer tollen Party gehören alle möglichen Leute – und genau das macht auch eine gute Stadt aus.

Tyler Brûlé ist ein kanadischer Medienunternehmer, Journalist und Designer. Er ist Gründer und Chefredakteur des englischsprachigen Businessmagazins "Monocle", das jedes Jahr ein Ranking der Städte mit der höchsten Lebensqualität veröffentlicht. 

Das Interview führte Antje Binder.