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Monat der Entscheidungen für Italien

Martin Schrader25. November 2004

Italiens Regierung steckt in einer Krise: Die Koalition von Ministerpräsident Berlusconi ist über dessen Steuerpläne tief zerstritten, von Neuwahlen ist die Rede. Zudem droht ihm eine Verurteilung wegen Korruption.

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Auf Roms Straßen: Pinocchio-Nase als RegierungskritikBild: AP

Silvio Berlusconi hat es weit gebracht in seinem Leben. Vom Nachtclub- und Kreuzfahrtsänger stieg der 68-Jährige auf zu einem der reichsten Unternehmer Italiens, zum Herrscher über ein Medien-Imperium und schließlich auch zum Ministerpräsidenten des Landes, das nach dem Zweiten Weltkrieg keiner so lange regiert hat wie er. Doch das Pendel des Erfolges droht jetzt mit Schwung zurückzuschlagen, und der Dezember könnte für Berlusconi ein Monat der Entscheidungen werden: Zum einen ist in dem seit vier Jahren gegen ihn laufenden Korruptionsprozess ein Urteil zu erwarten; zum anderen muss die Regierung den Streit um eine geplante Steuerreform beilegen, wenn sie diese zum Jahreswechsel verabschieden will.

Gewagtes Versprechen

Gianfranco Fini neuer Außenminister in Italien
Gianfranco Fini neuer Außenminister in ItalienBild: AP

Feierlich und vor laufenden Kameras hatte Berlusconi vor der Wahl 2001 seinen "Vertrag mit den Italienern" unterschrieben. "Weniger Steuern für alle", hieß es darin - das war Dreh- und Angelpunkt seines Regierungsprogramms. Jetzt droht er zum Gefangenen seiner eigenen Versprechen zu werden. Denn seine Steuerreform ist in der Koalition umstritten. Sie hat mittlerweile zu einer handfesten Regierungskrise geführt. Vor allem der neue Außenminister und Chef der Nationalen Allianz, Gianfranco Fini, will die Reform nicht mittragen.

Berlusconis Steuerpläne nutzen besonders den Reichen, wie der Italien-Experte Roman Maruhn von der Universität München im DW-WORLD-Interview sagt: "Je höher das Einkommen, desto größer fallen bei Berlusconis Reform die Steuererleichterungen aus."

Drohung

Berlusconi drohte im November wiederholt mit Neuwahlen, sollten die Koalitionspartner seine Reform blockieren. Berlusconi versuche damit, seine Regierungspartner zu disziplinieren, sagt Maruhn. Da es Berlusconi an einer Richtlinienkompetenz, wie sie zum Beispiel der deutsche Bundeskanzler habe, fehle, greife er nun zu diesem Mittel, um seine Koalition hinter sich zu zwingen. Maruhn hält es jedoch für unwahrscheinlich, dass es kurzfristig zu Neuwahlen kommen wird. "Das wäre katastrophal für die Koalition", sagt Maruhn, "sie ist in Umfragewerten so schwach wie lange nicht mehr. Wahlen wären für sie überhaupt nicht interessant." Die Zeitung "Corriere della Sera" meldete am Montag (22.11.), die Regierungskoalition liege laut Meinungsumfragen in der Wählergunst etwa fünf Prozentpunkte hinter der oppositionellen Mitte-Links-Allianz.

Ein Platzen von Berlusconis Steuerreform scheint darum wahrscheinlicher als eine Neuwahl - zumal die Reform offensichtliche Schwächen aufweist. Die Finanzierungslücken sind so groß, dass er selbst vor kuriosen Vorschlägen zu ihrer Schließung nicht Halt macht. Anfang November hieß es sogar aus der Regierung, man wolle eine Steuer auf SMS-Nachrichten erheben. Berlusconi hat sich in eine Zwickmühle manövriert: Entweder er bricht seine Steuer-Versprechen oder er muss seine Drohung gegen die Koalitionspartner entschärfen.

Vorwurf: Bestechung

Weiterer Ärger droht dem Ministerpräsidenten von der Justiz. Noch vor Weihnachten soll in einem Mammut-Prozess, in dem Berlusconi wegen Korruption angeklagt ist, ein Urteil gefällt werden. Die Staatsanwaltschaft fordert acht Jahre Haft für den Angeklagten und lehnte eine Bewährungsstrafe bereits ab. Berlusconi soll vor Beginn seiner Amtszeit als Regierungschef Richter bestochen haben, um den Verkauf des staatlichen Lebensmittelkonzerns SME an einen Rivalen zu verhindern.

Bei einer Verurteilung könnte Berlusconi zwar in Berufung gehen. Trotzdem wäre sein Image nach Einschätzung Maruhns stark angeschlagen, vor allem aus Sicht der europäischen Nachbarn. "Welcher Regierungschef in Europa wird schon wegen Korruption verurteilt?", so Maruhn. "Wir dürfen nicht vergessen, dass in der EU hohe Anforderungen an Regierungsmitglieder gestellt werden."

Exil

Bettino Craxi ehemaliger Ministerpräsident
Bettino Craxi (Archiv)Bild: AP

Berlusconi wäre nicht der erste italienische Regierungschef, der unehrenhaft aus Amt und Würden scheidet. 1994 wurde in Italien ein Geflecht von illegaler Parteienfinanzierung und Bestechung aufgedeckt, in das der damalige Ministerpräsident Bettino Craxi tief verstrickt war. Craxi floh ins Exil nach Tunesien, wo er am 19. Januar 2000 starb.