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Problem Antisemitismus

Cornelia Rabitz17. September 2008

Noch immer ist Antisemitismus in Deutschland und anderen europäischen Ländern weit verbreitet. Häufig geht er mit Ressentiments wie Fremdenfeindlichkeit und Abneigung gegenüber sozialen Randgruppen einher.

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Geschändeter Friedhof in Frankreich (Quelle: AP)
Hakenkreuze auf jüdischen Gräbern in Frankreich: Antisemitismus ist immer noch ein Problem in EuropaBild: AP
Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin
Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität BerlinBild: TU Pressestelle

Es gibt sie noch immer, die Mythen und Vorurteile über reiche Juden, über eine jüdische Weltverschwörung sowie Stereotype über das Aussehen von Juden. Kurzum: die ganze Bandbreite sozialer, rassistischer und kultureller Abwertung. Wo Antisemitismus grassiert, sind einfache Erklärungsmuster und rechtsradikale Denkmuster nicht weit und das Selbstwertgefühl wird auf fragwürdige Weise gesteigert. "Der Antisemitismus verbindet Menschen, schafft Bande. Wir zeigen jedes Jahr in unseren Studien, dass Zusammenhänge bestehen zwischen Nationalstolz und Antisemitismus", sagt der Sozialpsychologe Andreas Zick und verweist auf Untersuchungen der Universität Bielefeld im Projekt "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit". Dort werden seit 2002 in regelmäßigen Abständen repräsentative Personengruppen zu ihren Einstellungen befragt. Die Forscher kommen zum Ergebnis, dass Antisemitismus zwar eine Randerscheinung, aber gleichzeitig ein Phänomen der gesellschaftlichen Mitte ist – häufig verbunden mit Vorurteilen gegenüber anderen Minderheiten und keineswegs beschränkt auf bildungsferne oder sozial schwache Schichten.

Weit verbreitete Vorurteile

Wolfgang Benz, Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, bestätigt dies: "Das macht die Sache so schwierig, nicht zuletzt deshalb, weil der Bürgermeister, der Rechtsanwalt, der Apotheker in irgendeiner Kleinstadt sich behaglich zurücklehnt und sagt: 'Wir sind keine Antisemiten, dieses und jenes darf nicht sein'. Und beim nächsten Glas Bier ist man sich einig, dass alle Albaner stehlen, dass alle ehemaligen Bürger Jugoslawiens Diebe, Lügner und Betrüger sind und dass man es nicht hinnehmen kann, dass sich hier Türken ansiedeln oder gar eine Moschee bauen."

Ein Jude wird von Nazis schikaniert (Quelle: AP)
Ein alter jüdischer Mann wird von Braunhemden schikaniert. Judenfeindlichkeit erreichte unter der Herrschaft der Nazis ihren traurigen Höhepunkt.Bild: AP

Aus den vorliegenden Daten der Bielefelder Projektgruppe geht hervor: Ganze vier Prozent der Befragten zeigen sich immun gegen jede Form antisemitischer Klischees. Mehr als zehn Prozent glauben immer noch, Juden hätten zu viel Einfluss. Und immerhin fast sieben Prozent erklären, die Juden seien durch eigenes Verhalten mitschuldig an ihrer Verfolgung während der NS-Zeit.

Neue Art des Antisemitismus

Mehr als die Hälfte betonen, sie seien es leid, immer wieder von deutschen Verbrechen an den Juden zu hören, sind mithin Befürworter eines Schlussstrichs unter die Vergangenheit. Seit einiger Zeit ermitteln die Wissenschaftler zudem eine neue Spielart des Antisemitismus: Die zunehmende Kritik an Israel, die dem Staat das Existenzrecht abspricht und unzulässige Vergleiche zieht. Beliebt ist das Argument: Was Israel heute den Palästinensern antut, ist nichts anderes, als was die Nationalsozialisten den Juden angetan haben. Viele äußern auch Zweifel an der Loyalität deutscher Juden, glauben, dass diese sich stärker mit Israel verbunden fühlten als mit Deutschland.

Wesentlicher Teil des Rechtspopulismus

Natürlich ist nicht jede Kritik an Israel antisemitisch, betonen die Forscher, es komme immer auf das "wie" an, also darauf, ob diese Kritik mit Pauschalisierungen und Vorurteilen verbunden werde. Man müsse Agitation von berechtigter Kritik trennen. Doch antisemitische Vorurteile gibt es nicht nur in Deutschland. Noch im Laufe dieses Jahres soll eine Umfrage zum Antisemitismus in acht europäischen Ländern gestartet werden. "Was wir beobachten ist: Antisemitismus ist ein wesentlicher Teil des Rechtspopulismus. Wir haben viele rechtspopulistische Bewegungen in Europa, die alle auf den Antisemitismus zurückgreifen. Also hier haben wir tatsächlich ein europäisches Phänomen", stellt der Sozialpsychologie Andreas Zick vorerst fest. Er fordert daher eine gemeinsame europäische Strategie im Umgang mit dem Antisemitismus. Zick: "Die gilt es aber zu finden in Bezug auf alle Vorurteile. Ich glaube, damit haben wir in Europa erst angefangen."