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Das Oben-Unten-Gefälle

Luna Bolívar Manaut (stl)26. November 2006

Chile ist im weltweiten Vergleich eines der Länder mit den größten sozialen Ungleichheiten. Wie unterschiedlich die Lebenswelten der Chilenen sein können, zeigen drei Beispiele.

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Armenviertel
Armut gibt es auch im VorzeigelandBild: DW/Luna Bolivar

Laut Weltbank ist Chile nach Brasilien das Land mit der größten Kluft zwischen Arm und Reich in ganz Lateinamerika, weltweit liegt es unter den ersten zehn Staaten mit den größten sozialen Ungleichheiten. Das ist auch ein Grund dafür, weshalb Chile nicht in die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aufgenommen wurde.

Gema, die Frau des "Carretonero"

Gema
GemaBild: DW/Luna Bolivar

In Santiago de Chile ist die geographische Höhe ein Indikator für Wohlstand. Die reichsten Viertel liegen oben an den Hängen der Berge, die die Stadt umgeben. Die Armen wohnen unten. Dort kann man Leute wie Gema treffen. Sie hatte von der Regierung eine Wohnung zugeteilt bekommen, 18 Quadratmeter für sechs Personen. Lange hielt sie es dort nicht aus. Nach weniger als einem Jahr kehrte sie wieder in das Barackendorf zurück, das sie eigentlich für immer verlassen hatte. Es ist eine Ansammlung von kärglichen Hütten, zusammengehämmert aus Wellblech, Holzplatten und Kartons.

"Ich musste zurückkommen, denn mein Sohn Luisito bekam epileptische Anfälle. Der Arzt sagte, es sei wegen dem Stress. Dort wohnten böse Leute, ich musste ihn immer zu Hause behalten. Hier ist keine Gefahr, dass sie ihn verprügeln oder dass sie mit Pistolen herumlaufen", sagt Gema. So gesehen ist das Leben hier im Slum doch angenehmer. Seit sie wieder zurück sind, hat Luisito keine Anfälle mehr.

Hütten eines Armenviertels in Santiago
Hütten eines Armenviertels in SantiagoBild: DW/Luna Bolivar

Eine durchschnittliche Miete liegt in Chile bei rund 200 Euro. 43 Prozent der Haushalte von Santiago hat pro Monat jedoch nur rund 450 Euro zur Verfügung. 8,5 Prozent davon verdienen sogar nur die Hälfte.

"Mein Mann ist 'Carretonero'", sagt Gema. Er durchsucht den Müll nach Brauchbarem. Er verkauft das, was andere wegwerfen. Damit kommt er auf knapp 90 Euro im Monat. Gema möchte, dass ihre Söhne eine Ausbildung bekommen, zumindest sollen sie eine Schulausbildung abschließen. Doch allein die Busfahrkarte für ihre vier Söhne zu der Schule kostet etwa 85 Euro im Monat. Es gibt eine Schule in der Nähe, doch für die werden pro Monat und Kind 35 Euro monatlich fällig.

Doch zum Glück gibt es "Onkel Luis" und seine Leute. Luis Castro Ampuero ist Leiter der Organisation "Los Pino". Die holen die Kinder ab, bringen sie in die Schule und besorgen ihnen Schulbücher, Hefte und Stifte. "Onkel Luis" wurde bislang von der Kindernothilfe unterstützt. 40 Prozent seiner Mittel kamen von der deutschen Organisation. Doch Ende 2006 ist erst einmal Schluss mit dem Geld aus Deutschland. Das Projekt läuft aus, eine künftige Finanzierung ist noch nicht in Sicht.

Ricardo, der Betriebswirt

Die Mittelklasse ist keinesfalls frei von Geldsorgen in Chile. Ricardo hat eine Wohnung von 110 Quadratmetern im Zentrum Santiagos, die er langsam abbezahlt. Er hat zwei Kinder, ein Auto und nimmt sich jedes Jahr die 15 Tage Urlaub, die ihm laut Gesetz zustehen. Ricardos Kinder sind auf Privatschulen gegangen und haben danach studiert. Fast 270 Euro pro Kind und Monat kostet eine durchschnittliche Privatschule. Für die öffentliche Universität werden monatlich rund 220 Euro fällig. Der Preis ist jedoch abhängig vom Fach. Je mehr Prestige das hat, umso teurer ist es.

Einen Großteil seines Lebens hat Ricardo mehr als zehn Stunden am Tag gearbeitet. Mehrfach musste er sich verschulden. Der Hauptgrund war die Krebserkrankung seiner Frau. Auch das Gesundheitswesen hat in Chile seinen Preis. Keine Versicherung, ob gesetzlich oder privat, erstattet die Kosten im Krankheitsfall zu 100 Prozent. Die Ausnahme sind Personen, die weniger als 200 Euro im Monat verdienen.

Patricia, die Botschaftsmitarbeiterin

Das westliche Stadtzentrum von Santiago de Chile
Das westliche Stadtzentrum von Santiago de ChileBild: npb

Patricia arbeitet als Sicherheitsexpertin in der US-Botschaft. Ihr Ehemann ist Versicherungsagent. Die beiden wohnen im Viertel Lo Barnechea, oben an den Hängen der Berge. Sie gehören zu den privilegierten 11,3 Prozent der Bewohner von Santiago, die keine Geldsorgen haben.

Mit ihren beiden Kindern wohnen sie in einem 240 Quadratmeter-Haus auf einem 1000 Quadratmeter großen Grundstück. Patricia und ihr Mann haben jeweils ihr eigenes Auto und sie haben eine Hausangestellte. Die Kinder sind auf die Redland School gegangen, eine Privatschule, die 550 Euro im Monat kostet, danach folgte die Privatuni.

"Als unsere Kinder so alt waren, dass sie selbst in den Urlaub fahren konnten, haben mein Mann und ich mit dem Reisen angefangen. In der Regel verbringen wir pro Jahr drei Wochen in Europa und danach bleiben wir hier in der Gegend", sagt Patricia.

Patricia findet die Privatisierungen der vergangenen Jahre gut. Der Staat sei ein schlechter Geldverwalter. "Natürlich sollte nicht alles in private Hände gegeben werden. Jemand muss sich um die Menschen mit niedrigem Einkommen kümmern", sagt sie. Mit ihrer Meinung steht sie nicht allein. Für sie ist der Staat so etwas wie ein "Heim für Bedürftige".

"Ich finde, dass man heute weniger Leute mit schmutzigen Kleidern sieht, die auf der Straße betteln", glaubt Patricia. Gema ist sie sicher noch nie begegnet, die war weder in Patricias Wohngegend, noch hat sie jemals das Zentrum der 6-Millionen Stadt Santiago betreten, so wie die meisten Armen. Sie verlassen so gut wie nie ihre Viertel.