Virtuelle Maßanfertigung
2. Februar 2010Fließbandarbeit im Kleinen – Mutter Genofewa verpackt ein Jersey-Shirt nach dem nächsten, Tochter Anna schreibt mit einem Kugelschreiber die Adressen ihrer Kunden auf die Päckchen. Es sind die letzten Arbeitsschritte für einen erfolgreichen Internetverkauf des Familienunternehmens "Anna Friday".
Die fertig adressierten Päckchen stapeln sich an diesem Freitag Abend im Atelier der Mode-Designerin Anna Friday, eine Maisonette-Wohnung im Berliner Stadtteil Wedding. Gemeinsam mit ihrer Mutter versucht die 28-Jährige mit dem Bestell-Rekord seit Gründung ihres kleinen Online-Shops fertig zu werden: 400 Kunden haben im Januar bei ihr eingekauft – in den Monaten davor waren es in Regel gerade einmal um die 100.
Mit dem Internet zum perfekten Kleidungsstück
Nach ihrer Ausbildung zur Mode-Designerin kam es für die gebürtige Polin nicht in Frage, einfach nur standardisierte Konfektionsgrößen zu entwerfen. "Ich hab nun mal ein unverschämtes Talent, was Schnitte betrifft", sagt Anna Friday. Und dieses Talent habe sie nicht verschwenden wollen, indem sie Massenware produziert. Jeder Kunde sollte ein perfekt sitzendes Kleidungsstück bekommen.
Für diese Überzeugung hat sich Anna Friday ein aufwendiges Konzept überlegt. In ihrem Internetshop präsentiert sie ihre Schnitte und Entwürfe. Sobald sich eine Käuferin für ein Kleidungsstück entscheidet, beginnt eine ausführliche Email-Korrespondenz. Da Anna Friday Maßanfertigungen liefert, müssen sich ihre Kunden selbst ausmessen und ihr die persönlichen Maße schicken.
"Ich versuche mir dann auch immer den Charakter der Käufer vorzustellen, um dann die richtigen Maße und die individuellen Änderungen zu entscheiden." Formuliert eine Kundin eher zurückhaltend, entwirft sie beispielsweise ein eher weites Kleidungsstück, anstatt ein engansitzendes. "Es ist schon oft vorgekommen, dass ich zwei verschiedene Kundinnen mit exakt denselben Maßen hatte und trotzdem völlig anders entschieden habe – einfach nur aufgrund der Emails."
Online-Geschäfte spannen die ganze Familie ein
Das geht in der Regel gut. Nur fünf Prozent ihrer Käufer schicken die Kleidung zurück. Der große Rest wird hingegen oftmals Stammkunde – auch weil ein Kleidungsstück selten mehr als 50 Euro kostet. Was mit der Träumerei einer jungen Mode-Designerin begann, ist heute ein gestandenes Familienunternehmen. Mutter Genofewa macht die Buchhaltung und den Versand, Annas Cousinen, beide gelernte Schneiderinnen, helfen beim Nähen.
Auch dieses Familienunternehmen funktioniert nur mit Hilfe des Internets. Während ihre Eltern weiterhin in Berlin wohnen, lebt Anna mit ihrem Mann derzeit bei ihrer Cousine in der Nähe von Danzig. Hier hat sie sich eine eigene Produktionsstätte aufgebaut. Zwar pendelt sie regelmäßig zwischen ihrem Berliner Atelier und ihrer kleinen Näh-Fabrik hin und her, doch ohne Internet wäre sie aufgeschmissen: "Meine Mutter kümmert sich ja um die ganzen Bestellungen, deswegen chatten wir täglich. Und mit meiner Laptop-Kamera kann ich ihr dann auch die neuesten Entwürfe zeigen."
Virtueller Künstlermarkt
Anna Fridays Internetshop befindet sich auf dem Online-Marktplatz "DaWanda". Hier tummeln sich außer ihr zahlreiche weitere Modedesigner, Schmuckhersteller und Künstler. Anna Friday hat hier sozusagen ihren Marktstand, das heißt eine eigene Seite mit ihrer Kollektion. Und noch ein Vorteil hat diese Internet-Plattform: Sie stellt Anna ein zuverlässiges Bestell- und Kaufsystem zur Verfügung – so muss sie sich nicht mit dem Programmieren von komplizierten Internetseiten herumschlagen.
Der Online-Marktplatz und ihre Maßanfertigung haben dafür gesorgt, dass Anna Fridays Verkäufe stetig steigen. Doch eins ist der gelernten Mode-Designerin schon heute klar: Egal, wie groß ihr Unternehmen einmal noch werden wird, dem Internet will sie die Treue halten. Denn nur mit Hilfe der virtuellen Kommunikation kann sie auch weiterhin ihre Kleidung nach Maß weltweit verkaufen.
Autorin: Nadine Wojcik
Redaktion: Manfred Götzke