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Mittelmäßiger Chef mit guter Mannschaft

Bernd Riegert, Brüssel26. Oktober 2004

Noch gibt es Streit um die künftige EU-Kommission. Dennoch soll an diesem Dienstag (26.10.) letztmals die scheidende Kommission unter Romano Prodi tagen. Was hat er erreicht, was nicht?

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Froh, dass seine Amtszeit vorbei ist: Romano ProdiBild: AP

In den letzten Monaten seiner Amtszeit wirkte EU-Kommissionspräsident Romano Prodi manchmal seltsam abwesend, linkisch und ziellos. Der gemäßigte linke Politiker Prodi, der 1999 nach seinem Rücktritt als italienischer Ministerpräsident nach Brüssel kam, hatte schon seit langem die innere Kündigung eingereicht. Er will 2006 eine neue Herausforderung suchen und seinem konservativen Erz-Rivalen Silvio Berlusconi das Amt des italienischen Regierungschefs abjagen.

Enttäuschte Hoffnungen

Frustriert verlässt Prodi die Kommandobrücke der EU, vor allem weil die Staats- und Regierungschefs der Union sein ehrgeiziges Lissabon-Projekt torpedierten. Wirtschaftsprofessor Prodi wollte Europa bis zum Ende des Jahrzehnts an die Wirtschafts- und Innovationskraft der EU heranführen. Doch die nationalen Regierungen blockten vielfach, wenn es darum ging, wirtschaftspolitsche Entscheidungen nach Brüssel zu verlagern. Besonders den deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder empfand Prodi als Bremser.

Macht verloren

Prodi in Berlin bei Gerhard Schröder
Nicht immer Grund zum Lächeln: Prodi mit SchröderBild: AP

Schröder seinerseits wollte an der Spitze der EU-Kommission einen Technokraten, der die 17.000 Beamten kompetent führen sollte. Prodi sah sich selbst nicht als bloßen Verwaltungschef, sondern als politischen Präsidenten, der Impulse gibt und die Richtung der Union bestimmt. Mit diesem Anspruch ist Prodi gescheitert. Gerhard Schröder, der beim Gipfeltreffen in Berlin als EU-Ratsvorsitzender 1999 selbst Prodi auf den Schild hob, hatte sich bei seiner Personalauswahl gründlich verschätzt. Obwohl Prodi drei Jahre lang von 1996 bis 1999 Italien mit harten Sparmaßnahmen auf die europäische Gemeinschaftswährung EURO vorbereitete, ließ er diese Führungsstärke in Brüssel vermissen. Bereits im Jahr 2000 beklagte er sich in einer Grundsatzrede, die damals 15 Regierungen bewegten sich zu langsam und würden über den Kopf der EU-Kommission hinweg entscheiden. Prodi versuchte mehrmals, die Handlungsmacht wieder an sich zu reißen. Richtig gelungen ist ihm das nie.

Erfolgreiche Kommissare

Dennoch fallen in seine Amtszeit auch große Erfolge, allen voran die gelungene Erweiterung um zehn Staaten im Mai 2004 und die Entscheidung, Beitrittsgespräche mit der Türkei zu empfehlen. Die vorzüglichen Verhandlungen hat Prodi aber vor allem einem seiner stärksten Kommissare, dem Deutschen Günter Verheugen zu verdanken. Ebenso steckt ein starker Kommissar - und nicht Prodi - hinter der großen Agrarmarktreform, der Österreicher Franz Fischler. Die Einführung des EURO-Bargeldes ist ebenfalls zu einer Erfolgsstory geworden, deren Grundlagen aber schon vor dem Antritt der Prodi-Kommission geschaffen wurden. Die Kommission hat wacker versucht, den EURO-Stabilitätspakt zu verteidigen. Sie hat sogar vor dem Europäischen Gerichtshof gewonnen. Trotzdem musste sie sich dem politischen Willen der EU-Finanzminister letztlich beugen. Seinem eigenen Währungskommissar fiel Romano Prodi 2002 in den Rücken, als der gelernte Ökonom den Pakt als "dumm", weil unflexibel, bezeichnete.

Neue Herausforderung

Die EU-Kommission, der ständig neue Kompetenzen übertragen wurden, hat in den letzten fünf Jahren eine Rekordzahl an Gesetzen vorgeschlagen. In Kartellfragen und bei der Durchsetzung der Wettbewerbsfreiheit im Binnenmarkt hat sie sich oft weit vorgewagt. Manche stöhnen über Überregulierung. Der Verbraucher hat profitiert. Prodi blieb zum Beispiel in der Krise um mit BSE-Erregern verseuchtem Fleisch standhaft und setzte sich gegen die Mitgliedsstaaten, die einen milderen Kurs verlangten, durch.

Der 65-jährige Romano Prodi will es jetzt noch einmal wissen und selbst wieder in den Kreis der Staats- und Regierungschefs vorstoßen, die ihm in den letzten Jahren so oft die kalte Schulter gezeigt haben. In Brüssel gilt die Faustformel: Eine gute Kommission, aber ein mittelmäßiger - weil zu schwacher - Präsident an der Spitze.