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African Spelling Book

Monika Hoegen24. November 2006

Entwicklungshilfe wendet sich immer mehr neuen Mitteln und Formen zu. Ein Beispiel dafür ist das "African Spelling Book". Es macht aus kenianischen Straßenkindern junge Video-Filmer.

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Buchstaben im Setzkasten
Wie man das Alphabet in Nairobis Slums buchstabiert, zeigt ein ungewöhnliches Entwicklungshilfe-ProjektBild: Illuscope

Elizabeth hat sich das T ausgesucht: T wie Tradition. In ihrem Videofilm erzählt sie die Geschichte ihrer Urgroßmutter, die mit 105 Jahren noch im Dorf Kiabu lebt. Elizabeths Film ist Teil eines ungewöhnlichen Videoprojekts: das "African Spelling Book" vereint 21 Kurzfilme, je einer ist einem Buchstaben des Alphabets gewidmet. Zusammengestellt wurde das "Buch" von 70 Jungen und Mädchen aus Slums der kenianischen Hauptstadt Nairobi.

Vor kurzem noch hätte sich Elizabeth nicht träumen lassen, mit einer Videokamera umgehen und ihren eigenen Film produzieren zu können. Elizabeth lebte auf der Straße. Von zuhause war sie weggelaufen, zur Schule ging sie nicht. "Ich bin ein Mädchen und da hat man mit vielen Problemen zu kämpfen. Ich kann schwanger werden, nicht wie die Jungs. Aber jetzt, nachdem ich all diese Dinge gelernt habe, das Filmen und die Videographie, jetzt bin ich glücklich."

Das andere Leben zeigen

Das Projekt der Nichtregierungsorganisation AMREF (African Medical and Research Foundation), die bereits seit 1957 in Nairobi besteht, hat das Leben vieler Straßenkinder verändert. Auch das von Henry, 16 Jahre alt. "Ich lebte sieben Jahre auf der Straße, ich tat eigentlich nichts. Denn wenn man auf der Straße lebt, dann hängt man nur so rum, nimmt Drogen, schnüffelt Klebstoff und raucht Zigaretten. Als die Leute von AMREF kamen, brachten sie einen Fußball mit. Wir spielten und hatten Spaß. Dann nahmen sie uns mit in ein Hotel zum Mittagessen. Ich fühlte mich gut, denn das hätte ich mir nicht leisten können. Ich habe einfach vom Abfall gegessen."

Zum Joggen gezwungen

Nachdem Henry und die anderen von AMREF Kleidung und Essen bekommen hatten, wurden sie langsam an das Videofilmen herangeführt. Zum ersten Mal konnten sie mit der Kamera ihre eigenen Geschichten erzählen, konnten zeigen, wie es in ihrem Alltag aussieht - etwas, das im Fernsehen meist nicht gezeigt wird. Davon, dass viele arme Kinder gezwungen sind, zu joggen, weil sie sich kein Transportmittel leisten können, aber ständig auf der Suche nach Essen oder einem Gelegenheitsjob sind, erzählt ein Film. Ein anderer berichtet von der schweren Arbeit einer Frau im Dorf. Auch eine scheinbar so einfache und doch ungewöhnliche Umfrage unter den Menschen im Slum ist im African Spelling Book zu sehen: Was ist ein Afrikaner? - wollte ein Jungfilmer zum Beispiel wissen.

Die Arbeit mit der Kamera, das Geschichtenschreiben und das Nachdenken über die eigene Situation und die Bedingungen im Slum hat die Sichtweise der Straßenkinder verändert. So wie viele andere entschied sich auch Elizabeth, wieder in die Schule und zurück zu ihrer Familie zu gehen. "Was mich dazu gebracht hat, mich von meinen Eltern zu trennen war, dass ich immer dies und das wollte. Doch sie konnten sich das nicht leisten." Deshalb entschied sie sich, auf der Straße zu leben. "Sie haben mich geschlagen. Aber es war nicht ihr Fehler, es war, weil sie nichts machen konnten, sich nichts leisten konnten." Sie war nicht das einzige Kind. "AMREF hat uns unterstützt, gab uns Essen, Kleidung, Spiele, Videotapes. Jetzt genieße ich das alles. Man hat keine Zeit mehr, um mit den Eltern zu streiten."

Nicht weglaufen!

Niko, 17 Jahre alt, denkt genauso. Er hatte für seinen Film den Buchstaben M gewählt - M wie Mutter. Mit ihr lebt er heute wieder zusammen. "Ich möchte andere ermutigen , die von zuhause weglaufen. Sie sollten das nicht tun. Sie sollten lieber etwas aus ihrem Leben machen."

Für Niko, Elizabeth und Henry hat die bessere Zukunft schon begonnen. Sie wurden ausgewählt, das African Spelling Book auf dem ersten weltweiten Kongress über Kommunikation für Entwicklung in Rom vorzustellen. Sie, die vor kurzem noch von Drogen und Abfall auf der Straße leben, konnten nun ihre Geschichten vor der internationalen Öffentlichkeit erzählen. Und sie lernten Rom kennen - eine Stadt, in der sie keine Slums und keine Straßenkinder zu sehen bekamen.

Wunderschön sei das, so befand Henry, aber eine kritische Anmerkung zu dem Kongress hatte er doch. Denn da, so sagte der junge Filmer, der jetzt Journalist werden will, seien all diese wichtigen Experten zu sehr unter sich geblieben.