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"Mit uns wird es in der Außenpolitik keine Hakenschläge geben"

Das Gespräch führte Christian F. Trippe8. August 2005

Bei einem Wahlsieg der Union könnte die FDP den neuen Außenminister stellen. Im Interview mit DW-TV erläutert Guido Westerwelle, Spitzenkandidat der Liberalen, was sich in der Außenpolitik ändern würde.

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DW-TV: Herr Westerwelle, Sie sind 43 Jahre alt, von Beruf Rechtsanwalt, stammen aus dem Rheinland und führen die FDP nun seit vier Jahren. Schon vor diesem Wahlkampf haben Sie Ihre Partei festgelegt auf ein Bündnis mit CDU und CSU, auf ein Bündnis also mit Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Als wir beide Jugendliche waren, da hat in Deutschland eine sozialliberale Regierung regiert, 13 Jahre lang. Diese Option wollen Sie nicht mehr – warum die enge Bindung an die Konservativen?

Journal Interview

Guido Westerwelle: Weil die Zeiten sich verändert haben. Und die Sozialdemokraten sich maßgeblich verändert haben. Und zwar zu ihren Ungunsten. Wir haben in den letzten Jahren von Rot-Grün erlebt, dass SPD und Grüne eine wirtschaftsfeindliche Politik gemacht haben. Sie haben Schlüsseltechnologien aus Deutschland herausgeschickt – man denke nur an die Bio- und Gentechnologie. Sie haben immer mehr Abgaben beschlossen - man denke nur an das Dosenpfand. Sie haben immer mehr Bürokratie beschlossen – man denke nur an diese Diskussion über das Antidiskriminierungsgesetz. All das hat uns in diese wirtschaftliche Misere gebracht. All das ist verantwortlich für die Massenarbeitslosigkeit. Und nur mit einem echten Kontrastprogramm kommen wir aus diesen Schwierigkeiten wieder heraus.

Nun macht Ihnen Ihr möglicher Koalitionspartner aber nicht nur Freude – CDU und CSU wollen die Mehrwertsteuer erhöhen um zwei Prozent. Sie sind strikt dagegen. Was gilt denn nun für den Wähler einer bürgerlichen Regierung: Steuern rauf oder bleibt es, wie es ist?

Ja, die Wähler können entscheiden, welchen Part sie in einer Koalition stärken wollen: Den Teil, der auf Steuererhöhungen setzt - oder den Teil, der sagt, wenn der Staat zu wenig Geld hat, dann kann er nicht die Taschen der Bürger als Selbstbedienungsladen betrachten. Wir sind der Überzeugung, Steuersenkungspolitik ist das beste Beschäftigungsprogramm. So haben es unsere Nachbarländer gemacht, so wollen wir es auch nachmachen. Und dementsprechend bleibt es für FDP dabei: Ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem – das schafft Kaufkraft, bringt Investitionen und dementsprechend auch neue Arbeitsplätze nach Deutschland.

Hand aufs Herz: Würden Sie denn Koalitionsverhandlungen scheitern lassen an der Mehrwertsteuerfrage?

Die Argumente der FDP sind so gut, dass ich optimistisch genug bin, dass wir uns durchsetzen können. Wir sagen ja nicht nur, wir wollen keine Mehrwertsteuerhöhung. Sondern auch, wie man niedrigere, einfachere und gerechtere Steuersätze konkret bezahlen kann. Nicht nur durch Wirtschaftsaufschwung. Sondern auch, indem man beispielsweise die Bürokratie zurückfährt. Wir sagen auch, wo. Indem man die Subventionen streicht – wir sagen ganz konkret wie. Und indem man die steuerlichen Ausnahmetatbestände auch zurückführt beziehungsweise abschafft. Und auch diese Antwort lassen wir nicht weg.

Die FDP tritt für Steuersenkungen ein. Was auf den ersten Blick dagegen spricht, ist die katastrophale Lage der Staatshaushalte. Wie wollen Sie denn die Staatsfinanzen wieder in Ordnung bringen?

Nur durch Steuersenkungen werden wir die Staatsfinanzen wieder in Ordnung bringen, denn nur durch Steuersenkungen gibt es wieder mehr Beschäftigung, weniger Arbeitslose, also auch wieder mehr Steuerzahler! Allein jeder Arbeitslose kostet in Deutschland den Staat zurzeit an direkten Zuwendungen 19.600 Euro. Das heißt, wenn es uns gelingen würde, durch eine Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung eine Million Arbeitsplätze zu schaffen – das ist uns zuletzt bei Schwarz-Gelb in den 1980er Jahren gelungen - sind das knapp 20 Milliarden Euro, die der Staat wieder in den Händen hat. Und das kann er dann auch ausgeben für Bildung, für Wissenschaft, für Kunst und Kultur: also die Dinge, die das Leben in Deutschland lebenswert machen und die die Zukunft unseres Landes bedeuten.

Ein weiterer Punkt, wo es nicht richtig rund läuft: Die Liberalen möchten die allgemeine Wehrpflicht aussetzen, CDU und CSU halten unbedingt daran fest. Wie geht das weiter?

Wir wissen, was unsere europäischen Nachbarn und alle unsere militärischen Verbündeten längst getan haben. Wir haben veränderte Lagen in der Welt - die lassen sich eben nicht mehr mit einer Wehrpflichtigenarmee beantworten, sondern da braucht man professionelle Einsatzkräfte. Das geht nur mit Berufssoldaten beziehungsweise freiwilligen, verpflichteten Soldaten. Und dementsprechend halte ich es für eine Frage der Zeit, dass uns die Umstände – auch übrigens die Umstände der mangelnden Wehrgerechtigkeit – dazu zwingen werden, den Übergang in Richtung Freiwilligenarmee zu gehen.

Lesen Sie auf der zweiten Seite u.a., warum Westerwelle gegen einen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat ist und wie er zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr steht.

Die FDP hat eine lange außenpolitische Tradition und es könnte sein, dass sie auch wieder den nächsten Außenminister stellt. Was würde dann anders werden als unter Rot-Grün?

Wir werden die Kontinuität achten, das ist eine Selbstverständlichkeit, wenn es um die europäische Idee geht, wenn es um die Freundschaft geht mit unseren Verbündeten, wenn es darum geht, dass man international gute nachbarschaftliche Beziehungen pflegt. Wir werden aber – anders als Rot-Grün – die Achsenbildung nicht fortsetzen. Also die Idee "Paris-Berlin-Moskau", das ist aus unserer Sicht ein Fehler. Übrigens, weil auch die anderen europäischen Staaten immer mehr vor den Kopf gestoßen werden und sich auch darüber beklagen.

Ihre Partei plädiert für einen europäischen Sitz im Weltsicherheitsrat, nicht für einen deutschen. Dadurch würde aber doch die jahrelange Arbeit der deutschen Diplomatie unterlaufen – ist das wirklich gewollt?

Wir sagen, der deutsche Sitz im Weltsicherheitsrat kann nur die zweitbeste Lösung sein. Und niemand soll vergessen: Das ist ja kein Recht, das ist ja kein Privileg! Das bedeutet bei jeder internationalen militärischen Entscheidung auch mehr deutsche Verantwortung. Und deswegen halten wir es für besser, wenn die deutsche Außenpolitik eingebettet bleibt im europäischen Zusammenhang. Das heißt also, wenn wir international abgestimmt mit unseren europäischen Partnern handeln.

Und deswegen ist für uns ganz klar: Wir wollen einen europäischen Sitz. Wenn es nicht geht, ist ein deutscher Sitz die zweitbeste Lösung, aber ein europäischer Sitz ist aus unserer Sicht deutlich besser. Denn wir sehen ja jetzt schon, welche Preise dafür zu zahlen sind, welche Irritationen es mit unseren Freunden und Partnern gibt. Und ich habe den Eindruck, dass – Sie sprachen eben von Diplomatie – das Verhalten des deutschen Bundeskanzlers, insbesondere aber auch des deutschen Außenministers, bei der Frage der Reform der Vereinten Nationen alles andere als diplomatisch war.

Die FDP hat sich schwer getan mit dem Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. Wenn Sie regieren würden, würden Sie die deutschen Soldaten vom Hindukusch abziehen?

Wir haben uns schwer getan mit diesem unscharfen Mandat. Und wir haben uns schwer getan, weil wir die Befürchtung haben, dass unsere Soldaten mehr und mehr auch eingesetzt werden als Polizisten gegen die Drogenfelder. Und weil wir die Sorge haben, dass auch technisch unsere Bundeswehrsoldaten immer schlechter geschützt und immer schlechter ausgestattet werden. Augenscheinlich haben wir mit dieser sorgenvollen Haltung leider Recht behalten. Und es ist auf der anderen Seite völlig klar: Internationale Verpflichtungen, die die jetzige Bundesregierung eingegangen ist, die binden auch die nächste Bundesregierung – pacta sunt servanda: Wort muss man halten gerade in der Außenpolitik und in der internationalen Politik. Und deswegen wird es keine Hakenschläge geben, sondern eine Beständigkeit, eine Zuverlässigkeit für unsere Verbündeten. Aber auch eine Stärkung der europäischen Idee durch weniger Achsenbildung.

Schauen wir zum Schluss noch einmal auf diesen Wahlkampf. Vor drei Jahren haben Sie einen sogenannten Spaßwahlkampf geführt, Sie waren Kanzlerkandidat, es sollten 18 Prozent der Stimmen erreicht werden: Das ist schief gegangen. Was macht Sie denn jetzt, in dieser Kampagne, sicher, dass Sie den richtigen Ton bei den Wählern treffen?

Die Wahlergebnisse der letzten vier Jahre. In aller Offenheit gesprochen: Nur in Deutschland verwechselt man Humor und Optimismus mit mangelnder Seriosität. Jedenfalls ist das etwas, was meine Freunde, die im Ausland leben, immer wieder an Deutschland bemängeln. Dass nämlich hier Tiefgang und Humor augenscheinlich Gegensätze sein sollen. Wir werden auch in Zukunft lebensbejahenden, optimistischen, auch einen fröhlichen, unkonventionellen Wahlkampf machen. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die FDP sehr ernste Ziele hat. Unser Steuerkonzept war nicht 2002 spaßig und jetzt ist es plötzlich ernst, sondern das war immer ein ernstes Anliegen, weil es Beschäftigung und Arbeitsplätze nach Deutschland bringt. Und die Wähler geben uns ja augenscheinlich Recht, denn in den letzten vier Jahren hat die FDP eine ganze Serie von Wahlen sehr erfolgreich bestanden. Wir sind derzeit so stark wie seit der deutschen Einheit nicht mehr.