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Mit Schröders Hilfe in die EU?

Hülya Köylü 10. September 2002

Auch in der Türkei wird die Bundestagswahl mit Spannung erwartet. Obwohl es mit der Regierung Schröder öfter Streit um Waffenlieferungen gab als mit CDU/CSU, scheint die Türken eine rot-grüne Koalition zu favorisieren.

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Setzen auf Kanzler Schröder: Die Menschen in IstanbulBild: AP

Von Schröder und Rot-Grün erhoffen sich die Türken fortdauernde Unterstützung für einen späteren EU-Beitritt Ankaras. Schließlich war die rot-grüne Bundesregierung maßgeblich mit daran beteiligt, dass der Türkei 1999 auf dem EU-Gipfel in Helsinki der lang ersehnte Status eines Beitrittskandidaten eingeräumt wurde. Solches Engagement wünschen sich die Türken wieder von einer Regierung Schröder/Fischer, wenn es in drei Monaten auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen um definitive Daten für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen geht.

Ein EU-Beitritt gehört seit Jahrzehnten zu den außenpolitischen Zielen der Türkei. Er wird als logische Konsequenz der europäischen Orientierung von Republikgründer Kemal Atatürk gesehen, der das Land 1923 nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches auf einen strikt westlichen Kurs geführt hatte. Erst vor kurzem verabschiedete das türkische Parlament unter großen Anstrengungen mehrere Gesetze, die die Heranführung des Landes an die EU erleichtern sollen. Jetzt geht es um deren beschleunigte Umsetzung - und da spielt der Ausgang der Bundestagswahl als potentieller Motivationsfaktor mit hinein.

Auswirkung auf Wahlen in der Türkei

In der Türkei finden nämlich, bedingt durch eine Vorverlegung infolge der jüngsten Regierungskrise, am 3. November ebenfalls Parlamentswahlen statt. Beobachter erwarten von der Wahl eine Richtungsentscheidung Pro oder Kontra EU-Beitritt. Und schon jetzt scheint klar: Von der neuen Zusammensetzung des Bundestages wird für die Kräfteverteilung in der Großen Nationalversammlung in Ankara eine Signalwirkung ausgehen. Denn einen Sieg Schröders würden die EU-Befürworter am Bosporus als Rückenstärkung empfinden.

Die Türkei wirbt gegenüber Europa mit ihrem Modellcharakter als einzigem islamischen Land mit einer laizistischen Grundordnung. Gerade nach dem 11. September versucht sie, den Europäern ihre spätere EU-Mitgliedschaft schmackhaft zu machen, in dem sie sich als Brückenglied zwischen den Kulturen andient.

Schröder statt Kohl

Schröder hat dies in seiner Politik stärker gewürdigt als sein Vorgänger Helmut Kohl von der CDU. Zu dessen Regierungszeit gab es einen handfesten Krach mit dem damaligen türkischen Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz, der den deutschen Kanzler 1997 vergeblich um Unterstützung für einen EU-Beitritt bat. Kohl verärgerte Ankara damals mit seiner Äußerung, die Türkei gehöre geografisch und kulturell nicht in die EU. Yilmaz war darüber so wütend, dass er Kohl als seinen "alten Freund und neuen Feind" bezeichnete und öffentlich erklärte, mit der Bevorzugung von osteuropäischen Ländern wolle sich die deutsche Regierung neuen "Lebensraum" erschließen - eine schwere Provokation, weil der Ausdruck "Lebensraum" von den Nazis für ihre Expansionspolitik benutzt worden war.

Die Folge: Das Verhältnis zwischen Kohl und Yilmaz wurde so irreparabel zerstört, dass der konservative Yilmaz vor der Bundestagswahl 1998 - im Widerspruch zu seiner politischen Einstellung - die in Deutschland wahlberechtigten Türken zur Stimmabgabe für die Sozialdemokraten aufforderte. Bei den anstehenden Wahlen in Deutschland sind rund 500.000 türkischstämmige Bürger wahlberechtigt. Und ebenso wie ihre Landsleute in der Türkei versprechen auch sie sich eher von Schröder Unterstützung für einen türkischen EU-Beitritt, als von Unionskandidat Edmund Stoiber, dem türkischerseits dazu eine ähnliche Abneigung unterstellt wird wie Helmut Kohl. Zudem erwarten viele Türken von Rot-Grün eine liberalere Einwanderungs- und Ausländerpolitik als von CDU und CSU.

Zustimmung zur deutschen Irak-Politik

Auch das bei Schröder entschiedener wirkende "Nein" zu einem US-Angriff auf den Irak kommt in der Türkei gut an. Ankara fürchtet sich nämlich vor einer derartigen Militäraktion. Sie könnte dem Land - ähnlich wie vor elf Jahren nach dem ersten Golfkrieg - schweren wirtschaftlichen Schaden zufügen. Die negativen Folgen des Handelsembargos gegen das benachbarte Regime in Bagdad werden von Ankara bereits heute auf rund 30 bis 40 Milliarden Dollar beziffert.