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Mit Pillen und Technik gegen den Jetlag

Brigitte Osterath1. August 2016

Flugreisen, Schichtarbeit, ständige Beleuchtung: innere und äußere Uhr werden in der heutigen Gesellschaft schnell asynchron - mit teils gefährlichen Folgen. Zeit, etwas nachzuhelfen, meinen die Forscher.

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Müdigkeit (Symbolbild)
Bild: Fotolia/olly

Es klingt zu schön, um wahr zu sein: "In zehn Jahren werden wir die ersten Medikamente haben, die die innere Uhr zurückstellen", verkündet Akhilesh Reddy, Neurologe an der Universität im britischen Cambridge.

Wer sich nach einem Flug über den Atlantik fühlt, als würde er neben sich stehen, der kann in Zukunft womöglich eine Pille einwerfen - und das Problem ist gelöst. Der Körper würde sich dann ruck zuck auf die neue Zeitzone einstellen und braucht dafür nicht wie bisher mehrere Tage.

Eine Pille gegen den Jetlag wäre nicht nur eine Erlösung für Reiselustige und Geschäftsreisende rund um den Globus, sondern auch für Schichtarbeiter, deren innere Uhren aufgrund der teils unnatürlichen Arbeitszeiten schnell aus dem Takt geraten.

Wie wirkt die Anti-Jetlag-Pille?

"Solche Medikamente ahmen die Wirkung von Licht auf die Netzhaut nach und synchronisieren innere und äußere Uhr wieder", erklärt Reddy. Die Wirkstoffe seien bereits an Labormäusen getestet und funktionierten bei den Tieren wunderbar. "In anderthalb bis zwei Jahren werden die ersten klinischen Studien am Menschen beginnen", ergänzt Neurowissenschaftler Russell Foster, der an der Universität Oxford mithilft, solche Medikamente zu entwickeln.

Noch weiß allerdings niemand, welche Nebenwirkungen Anti-Jetlag-Pillen beim Menschen haben werden - und ob sie überhaupt wirken. Foster betont aber, dass es bereits jetzt Methoden gibt, um das Leben von Schichtarbeitern und anderen Jetlag-Geplagten zu verbessern oder sogar zu verlängern.

Denn wer ständig unter Jetlag leidet, bei wem also innere und äußere Uhren asynchron ticken, wird krank. Studien zeigen, dass sich Schichtarbeiter leichter Virusinfektionen einfangen. Und: "Wer mit seiner inneren Uhr herumspielt, ist anfälliger für Krebserkrankungen", sagt Reddy. Auch der Stoffwechsel spielt verrückt: Jetlag-Geplagte nehmen schneller zu und entwickeln eher Übergewicht, verbunden mit höherem Herzinfarktrisiko. In Tierversuchen mit Mäusen erhöht ein chronischer Jetlag die Sterblichkeitsrate.

Tick, tack

Wir sprechen immer von einer inneren Uhr - aber eigentlich ticken in jedem von uns viele Milliarden innere Uhren.

Ein Gebiet im Gehirn, der Nucleus suprachiasmaticus, wirkt als "Master-Clock" und generiert den inneren 24-Stunden-Rhythmus. Dieser Teil des Gehirns gibt Signale an alle Organe im Körper weiter - und stellt so jede einzelne Zelle etwa in der Leber, im Herz, in der Lunge auf die Zeit des Tages ein. "Selbst, wenn man Körperzellen in eine Petrischale im Labor überführt, wissen sie noch, wie spät es ist", sagt Akhilesh Reddy.

Taktgeber des Tagesrhythmus ist der Wechsel zwischen Licht und Dunkelheit, den fotosensitive Ganglienzellen tief unten in der Netzhaut registrieren.

Wie Lichtfarbe und Müdigkeit zusammenhängen

Licht bei Tag

Alles entscheidend, um die innere Uhr auf die richtige äußere Zeit einzustellen, ist die richtige Beleuchtung, sagt Russell Foster. "Die Ganglienzellen in der Netzhaut brauchen mehr Input - die jetzige Bürobeleuchtung reicht oft nicht." Mit einer Lichtstärke von oft nur 400 Lux sind diese Lampen zu dunkel, um dem Körper das Gefühl von Tag zu geben. Zum Vergleich: Wer direkt am Fenster sitzt, bekommt Licht der Stärke 3000 Lux, in der knallenden Sonne 100.000 Lux.

Studien in den Niederlanden führten in einem Altersheim Lampen mit einer Stärke von durchschnittlich 2000 Lux ein. Die Bewohner waren daraufhin am Tag sehr viel aufmerksamer und haben nachts besser geschlafen.

Die richtige Lichtzufuhr zur richtigen Zeit kann auch dabei helfen, den Jetlag nach einer Flugreise schneller zu überwinden. Die University of Michigan hat dafür extra eine App entwickelt: "Entrain" soll den Benutzer dabei unterstützen, sich schnell an eine neue Zeitzone anzupassen.

Dunkelheit bei Nacht

Genauso wie genügend Beleuchtung am Tag braucht der menschliche Körper ausreichende Dunkelheit in der Nacht. Das ist in der heutigen 24-Stunden-Gesellschaft oft nicht mehr gegeben.

Die lichtempfindlichen Ganglienzellen in der Netzhaut reagieren besonders stark auf blaues Licht. Smartphones, Tablets und E-Books strahlen aber besonders viel Licht dieses Spektralbereichs ab. Eine Studie hat gezeigt: //www.pnas.org/content/112/4/1232.abstract:Wer vorm Schlafengehen statt eines normalen Papierbuchs im E-Book liest, schläft später ein und ist am nächsten Morgen weniger munter.

Empfehlenswert wären dynamische Lampen, die ihr Lichtspektrum nach der Tageszeit ändern, sagt Till Roenneberg vom Institut für Medizinische Psychologie an der LMU München. "Sobald die Sonne untergeht, sollten sie den Blauanteil reduzieren." Steht die Sonne aber hoch am Himmel, sollten sie möglichst sonnengleiches Licht im vollen Spektrum abstrahlen.

Diese Idee hat Apple in seinem iPhone bereits aufgegriffen. Im Betriebssystem iOS 9.3 lässt sich die Einstellung "Night Shift" aktivieren. Sie reguliert den Blauanteil in der Displaybeleuchtung, abhängig von der Zeit des Tages und dem Ort, an dem man sich gerade aufhält. Nach Sonnenuntergang wechselt sie zu wärmeren Farbanteilen.

Fachleute sind sich aber noch uneins, ob das wirklich etwas bringen wird.

Erhöhtes Krankheitsrisiko durch Nachtarbeit

Auf den Biorhythmus Rücksicht nehmen

Während einer Nachtschicht sollte man kein kalorienreiches Fastfood zu sich nehmen, sondern möglichst proteinreiche Kost, empfiehlt Russell Foster. Der menschliche Körper weiß, dass es Nacht ist - und damit nicht die Zeit fürs Essen und Verdauen.

Schichtpläne sollten zudem mehr nach den Chronotypen der Arbeiter gestaltet werden, betont Till Roenneberg von der LMU München: Nicht bei jedem tickt die innere Uhr gleich - einige Menschen stehen gerne morgens um fünf Uhr auf, andere kommen erst nach Mittag richtig auf Touren, bleiben dafür aber nachts lange auf.

In einer Studie hat Roenneberg den Schichtplan danach einteilen lassen, wer ein Morgenmensch und wer eine Nachteule ist. Ergebnis: Die Arbeiter schliefen im Durchschnitt während der Arbeitswoche eine Stunde länger pro Nacht und während ihrer freien Zeit eine Stunde weniger, sie hatten also weniger Schlaf nachzuholen.

Die Einstellung innerhalb unserer Gesellschaft müsse sich ändern, fordert Roenneberg: "Wenn jemand sagt, er möchte erst ab zehn Uhr morgens anfangen zu arbeiten, ist er nicht faul - stattdessen möchte er besonders produktiv sein." Und das sind wir nicht alle zur selben Zeit des Tages.