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Mit Kleinkrediten aus der Krise – Wiederaufbau in Aceh

13. Juli 2010

Knapp vier Jahre nach der Tsunami-Katastrophe sind tausende Kleinunternehmer in der indonesischen Provinz Aceh wieder im Geschäft. Die grausamen Erinnerungen verblassen – und die internationalen Hilfsprojekte laufen aus.

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Straßenverkehr in Banda Aceh, Im Vordergrund ein Motorradfahrer
Straßenverkehr in Banda AcehBild: DW / Henn

Hupen, Stimmengewirr und dazwischen der Gesang des Muezzins. Autos und Motorräder mit Beiwagen schieben sich durch die Straßen. Die wirtschaftliche Aktivität in Banda Aceh ist spürbar. Knapp vier Jahre nach dem Unglück sind in der indonesischen Provinzhauptstadt nur noch wenige Reste der Zerstörung zu sehen.

Leben nach dem Tsunami
Das Team von Salsabila Catering in Banda Aceh. ganz rechts: Inhaberin Sylvia Sari Titel:Koproduktion Mikrofinanzwesen in Indonesien; Das Team von Salsabila Catering in Banda Aceh im Hof eines Gebäudes, im Vordergrund ein großer Kochtopf auf der Erde
Das Team von Salsabila CateringBild: DW / Henn

"Essen müssen die Menschen immer“, sagt Sylvia Sari, "insbesondere seit dem Tsunami sind Catering-Unternehmen sehr gefragt, weil viele Arbeitstreffen und Konferenzen stattfinden. Die Leute bestellen lieber etwas statt selbst zu kochen.“ Im Hinterhof ihres Einfamilienhauses in Banda Aceh zischt und brutzelt es. Die 35-Jährige hat mit Hilfe eines Mikrokredites der staatlichen BPD-Bank ihren Catering-Service so erfolgreich ausgebaut, dass sie nun sechs Angestellte beschäftigen kann. Zu ihren Kunden gehören die Regierung, die Armee und auch viele internationale Organisationen. Seitdem Sylvia Saris Heimat am 26. Dezember 2004 Schlagzeilen machte, sind internationale Aufbauhilfen in Milliardenhöhe nach Aceh geflossen; in die Region, in der der Tsunami am heftigsten gewütet hatte.

Keine Erfahrung mit Mikrokrediten
Ein Mahnmal der Zerstörung in Banda Aceh. Ein Schiff ist auf einem Hausdach festgeklemmt Titel: Koproduktion Mikrofinanzwesen in Indonesien.
Ein Mahnmal der Zerstörung Banda AcehsBild: DW / Henn

Konzepte zur Vergabe von Kleinkrediten für den notwendigen Wiederaufbau zerstörter Unternehmen mussten neu entwickelt werden. Einerseits waren viele Bankfilialen in Aceh zerstört, und unter den weit über 100.000 Toten und Vermissten befanden sich auch Bankangestellte. Andererseits hatten die Finanzinstitute in Aceh auch vor dem Tsunami wenig bis keine Erfahrung im Bereich des Mikrofinanzwesens: Der Kleinunternehmer galt gemeinhin als nicht kreditwürdig. Ab 2005 dann machten die Geldgeschenke internationaler Organisationen an überlebende Tsunami-Opfer Kleinkredite auf den ersten Blick unattraktiv: Raten und hohe Zinsen zahlen – und das auch noch pünktlich? Für viele Menschen ein ungewohnter Gedanke. Mit dem baldigen Abzug der internationalen Helfer wird ein funktionierendes Kreditwesen in Aceh jedoch immer notwendiger.

Das schwierige Erbe des Bürgerkrieges
Mikrofinanzwesen in Indonesien; der 50-jährige Idris in seinem Fahrradgeschäft.
DW-Reporterin Susanne Henn im Fahrradladen von IdrisBild: DW / Henn

Lange bevor der Tsunami Leben und Infrastruktur in Aceh zerstörte, war die Wirtschaft in der Region durch einen drei Jahrzehnte andauernden Bürgerkrieg geschwächt. Der unermüdliche Unabhängigkeitskampf der GAM-Rebellen (Bewegung freies Aceh) gegen die indonesische Armee hat viele große Firmen verjagt, Kleinunternehmen in den Bankrott getrieben und die Entwicklung eines ländlichen Bankwesens regelrecht unmöglich gemacht. Bis heute operieren die meisten Finanzinstitute nur an der Küste. "Vor dem Konflikt hatte ich auch schon einen Fahrradladen. Aber der ging pleite, weil die Leute während des Bürgerkrieges zu verängstigt waren, um mit dem Rad zu fahren“, erinnert sich der 50-jährige Idris, der in seinem kleinen Dorf Cotgirek heute wieder Fahrräder repariert. Dank eines Kleinstkredits in Höhe von 150 Euro, mit dem er neues Werkzeug finanzierte.

Islamisches Bankwesen als Alternative

Das Team einer islamischen Kooperative, einer "Baitul Quirad" in Cotgirek, Indonesien.
"Baitul Quirad" - die islamischen Kooperative bietet besondere Kreditprodukte anBild: DW/ Henn

Eine Alternative zu offiziellen Banken bieten in abgelegenen Gebieten islamische Kooperativen, so genannte „Baitul Quirads“. Das islamische Bankwesen entspricht der religiösen Auffassung vieler Acehnesen, denn 99% der Bevölkerung sind gläubige Muslime.

Im Islam darf aus dem Verleih von Geld, das jemand besitzt, kein Profit geschlagen werden. Entsprechend ist das Angebot islamischer Kreditprodukte: Möglich ist beispielsweise der Kauf und Weiterverkauf von Produkten wie Werkzeugen oder Mobiliar. Oder aber eine Beteiligung des Kreditgebers am Unternehmen. Er kann somit also Gewinne aber auch Verluste machen. Für die meisten Acehnesen ist der bloße Zugang zu Finanzprodukten das vorrangige Ziel. Damit dieser bald möglichst reibungslos funktioniert, müssen viele Mitarbeiter von Kreditgebern noch geschult werden.

Wieder auf eigenen Beinen stehen

Auch die Studenten der Betriebswirtschaftslehre an der Syiah Kuala Universität in Banda Aceh lernen seit einiger Zeit in Pflichtkursen mehr über Mikrofinanzen und speziell auch über das islamische Bankwesen. Dozent Iskandarsyah Madjid ist stolz: "Wir sind die einzige Universität in Indonesien, die Mikrofinanzkurse anbietet." Nun wünscht er sich, dass die Bevölkerung mehrheitlich ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass die Wirtschaft in Aceh langfristig nicht mit "geschenktem Geld" funktionieren kann. In einer Region, in der die Hälfte der vier Millionen Einwohner immer noch unterhalb der Armutsgrenze lebt, ist das jedoch schwierig.

Autorin: Susanne Henn

Redaktion: Peter Koppen