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Mit neuen Schulden aus der Krise?

Andreas Becker24. Juli 2015

Griechenland braucht Wachstum. Aber wie? Eine Auswertung von mehr als hundert Studien kommt zum Ergebnis: durch staatliche Investitionen, notfalls auf Kredit.

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Galerie - Industrieruinen Griechenland
Bild: REUTERS/Yannis Behrakis

Eines vorweg: Niemand bezweifelt, dass Griechenland grundlegende Reformen braucht: eine bessere Verwaltung, weniger Korruption, mehr Wettbewerb. Auch ist es verständlich, dass Geldgeber ihre Kredite an Bedingungen knüpfen.

Die Frage ist allerdings, warum bei den Verhandlungen der Eurogruppe bisher so viel Wert auf Sparmaßnahmen gelegt wurde und so wenig auf Investitionen. In Deutschland wird an dieser Stelle immer wieder das Bild von der "schwäbischen Hausfrau" bemüht, die ihre Kosten im Griff hat und nie mehr ausgibt, als sie hat.

So begründete der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble auch, warum er den griechischen Forderungen nicht nachgeben wollte: "Meine Großmutter, die von der schwäbischen Alb stammt, pflegte zu sagen: Gutmütigkeit kommt kurz vor der Liederlichkeit", so Schäuble in einem Spiegel-Interview. "Es gibt eine Art von Großzügigkeit, die ganz schnell das Gegenteil von dem bewirken kann, was beabsichtigt ist."

Auswertung von 104 internationalen Studien

Und doch sind kriselnde Volkswirtschaften nicht mit schwäbischen Haushalten zu vergleichen. Ökonomen sind sich einig, dass Griechenland die Krise nur dann überwinden kann, wenn die Wirtschaft wieder wächst und dabei auch Arbeitsplätze geschaffen werden. Und dafür bracht es nun einmal Investitionen.

Wirtschaftswissenschaftler haben in zahlreichen Studien untersucht, wie Staaten die Konjunktur in Schwung bringen können. Sebastian Gechert vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in Düsseldorf, das zur gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung gehört, hat nun die Ergebnisse von 104 Studien ausgewertet, die zwischen 1992 und 2012 in internationalen Fachzeitschriften publiziert wurden.

Sie alle beschäftigten sich mit sogenannten Fiskalmultiplikatoren. Damit lässt sich berechnen, wie staatliche Ausgaben auf das Wachstum wirken.

Infografik Wie Staatsausgaben das Wachstum beleben Deutsch

Das Ergebnis: Die mit Abstand beste Wirkung haben staatliche Investitionen. Jeder Euro, den der Staat investiert, bringt ein zusätzliches Wachstum zwischen 1,30 und 1,80 Euro. In dieser Spanne liegen die Werte der untersuchten Studien.

Deutlich schwächer ist die Wirkung, wenn mit dem Geld neue Staatsdiener eingestellt werden oder wenn der Staat konsumiert. Zum staatlichen Konsum zählen Ausgaben für so unterschiedliche Bereiche wie Bildung, Sport, Kultur, soziale Sicherung, aber auch öffentliche Ordnung oder Umweltschutz. Ausgaben für das Militär bringen wirtschaftlich am wenigsten; nur im günstigsten Fall wird pro eingesetztem Euro auch ein Euro Wachstum erzielt, meist liegen die Werte weit darunter.

Griechenland, aber auch Spanien, Portugal oder Irland, haben während der Krise viel an Wirtschaftskraft verloren, gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit gestiegen (siehe Grafik unten). Die Sparpolitik hat "einen negativen Einfluss auf Wachstum und Beschäftigung", schreibt Sebastian Gechert, Autor der Meta-Studie des IMK. "Mit öffentlich finanzierten Investitionen hingegen wäre im Durchschnitt ein relativ großer Wachstumsimpuls verbunden."

Neue Schulden?

Fragt sich nur, wie man öffentliche Investitionen finanziert, wenn der Staat kein Geld hat. Möglich wären etwa Steuererhöhungen oder Kürzungen an anderer Stelle, wie es ja auch gemacht wurde in Griechenland, Spanien und anderswo. Allerdings wirken sich diese Maßnahmen negativ auf das Wachstum aus und schwächen so die positive Wirkung von Investitionen ab.

Gechert hat daher auch die Frage untersucht, ob es sich lohnt, staatliche Investitionen nur über Schulden zu finanzieren. Sein Fazit: "Eine zunehmendes Defizit oder ein geringerer Überschuss durch investive Mehrausgaben erhöht nicht notwendigerweise die Schuldenstandsquote."

Denn wenn die Investitionen wirken und das beabsichtigte Wachstum auslösen, finanzieren sich die Mehrausgaben fast von selbst. Die Kosten für den Staat wären "vergleichweise gering", schreibt Gechert, er würde nur in einer Größenordnung zwischen zehn und 40 Prozent belastet. Ein funktionierendes Steuersystem ist dafür allerdings Voraussetzung.

Infografik Arbeitslosenquote Deutsch

Erneutes Scheitern?

In den bisherigen Gesprächen über ein neues Hilfsprogramm für Griechenland war nur wenig von neuen Investitionen die Rede. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verweist zwar auf bis zu 35 Milliarden Euro aus regulären EU-Töpfen, doch dafür müsste Griechenland eigenes Geld als Kofinanzierung einsetzen - Geld, dass der Staat nicht hat.

Die EU hat die Anforderung an eine Kofinanzierung nun gesenkt. Der Wirtschaftswissenschaftler und IMK-Direktor Gustav Horn empfiehlt jedoch, noch einen Schritt weiter zu gehen: "Unser Vorschlag: Man könnte Griechenland für ein Jahr begrenzt einen Zugang ohne Kofinanzierung ermöglichen, sodass die Regierung sofort ein Investitionsprogramm auf den Weg bringen kann und wegen des zeitlichen Drucks auch muss."

Ökonomisch sieht Horn durch die bisher erzielte Einigung zwischen der Eurogruppe und Griechenland "zumindest eine geringe Chance für eine Erholung der griechischen Volkswirtschaft". Allerdings nur dann, wenn auch wirklich investiert wird. "Bleibt die Rettungsstrategie hingegen auf eine verschärfte Fortsetzung der Kürzungen im Staatshaushalt beschränkt, wird auch dieses Programm wie seine Vorgänger scheitern."