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Die Macht des Wortes

15. Juni 2011

Für die Mächtigen ist die Macht des Wortes oft unangenehm, aber jeder Mensch hat das Recht auf Meinungsfreiheit, sagt die ehemalige Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Monika Lüke.

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Plakate für die Freilassung des verurteilten chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo (Archivbild: AP)
Chinesischer Schriftsteller, Menschenrechtler, Inhaftierter: Liu XiaoboBild: AP

Wer in China, im Iran, in Belarus oder in Venezuela seine Meinung frei äußert, dem drohen Haft, Misshandlung und Folter. Auch die Versuche, die Protestbewegungen in Ägypten, Tunesien, Libyen, Jemen, Syrien und Bahrain zu unterdrücken, waren und sind beispielhaft für die Missachtung des grundlegenden Menschenrecht auf Meinungsfreiheit. Schränkt ein Staat das Recht auf freie Meinungsäußerung ein, sind Demonstranten, Journalisten und Schriftsteller die Ersten, die Repressalien durch die offiziellen Behörden erfahren.

Gegner und Unterstützer von Syriens Präsident Bashar Assad stehen sich an der syrischen Botschaft in Kairo im März 2011 mit Plakaten gegenüber (Foto: AP)
Gegner und Unterstützer von Syriens Präsident Assad stehen sich gegenüberBild: AP

Die aktuelle Situation in der arabischen Welt macht deutlich, inwieweit sich die Möglichkeiten der freien Meinungsäußerung in den vergangenen Jahren verändert haben. Twitter, Facebook und andere soziale Medien bieten neue Plattformen, um Regimekritik zu kommunizieren und Proteste zu organisieren. Zugleich eröffnet sich damit allerdings auch ein neuer Raum für die staatliche Überwachung. Beispiel Syrien: Zwischen dem 8. und dem 23. März 2011 wurden 93 Demonstranten festgenommen, die unter anderem über Facebook zu Protesten für mehr politische Freiheit und das Ende der Korruption aufgerufen hatten. Unter ihnen der Journalist und Schriftsteller Lo'ay Hussein, der im Internet - in Solidarität mit den Demonstranten - eine Petition für das Recht auf Meinungsfreiheit in Syrien veröffentlichte.

Haft für die Meinung im Internet

Die Inhaftierung wegen regimekritischer oder oppositioneller Äußerungen ist häufig nur der Anfang von Menschenrechtsverletzungen. Werke von Schriftstellern und Artikel von Journalisten werden zensiert oder dürfen nicht veröffentlicht werden, Aktivisten und Demonstranten werden misshandelt, gefoltert oder "verschwinden". Meinungsfreiheit ist grundlegend und unerlässlich für freiheitliche Gesellschaften. Nur wenn Menschen ihre Meinung frei äußern dürfen, ist es möglich, der staatlichen Macht eine öffentliche Kontrolle entgegenzusetzen, damit unterschiedliche Meinungen friedlich kommuniziert werden können. Sobald die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, droht die Gefahr anderer Menschenrechtsverletzungen. Sobald öffentliche Instrumente der freien Meinungsäußerung außer Kraft gesetzt werden, können Willkür und Gewalt ungestört und ungestraft geschehen.

Der Besitzer eines Internetcafés in Peking wird am Eingang seines Shops von einem Sicherheitsbeamten beobachtet (Archivbild: AP)
Offene Internet-Zensur in ChinaBild: AP

Deshalb gilt die Freiheit des Wortes auch als Indikator für die Achtung anderer Menschenrechte in einem Staat. Denn nur, wenn eine Meinung frei geäußert werden kann, besteht die Möglichkeit, auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen. Gleichzeitig ist die Unterdrückung des Menschenrechts auf Meinungsfreiheit nicht so leicht zu erkennen wie beispielsweise Menschenrechtsverletzungen durch Folter. Die Folge: Die Unterdrückung anderer Meinungen und Standpunkte hat oft keine rechtlichen Konsequenzen.

Meinungsfreiheit - Indikator für Demokratie

Eines zeigt die Unterdrückung des Rechts auf Meinungsäußerung jedoch immer wieder: Worte sind mächtig. Der Fall von Anna Politkowskaja in Russland, die kritisch über den Tschetschenien-Krieg berichtete, oder von Liu Xiaobo in China, der Initiator der Charta 08, in der politische und rechtliche Reformen für China gefordert wurden, machen dies deutlich. Anna Politikowskaja wurde vor ihrer Wohnung in Moskau getötet, bis heute ist das Verbrechen nicht aufgeklärt. Liu Xiaobo ist nach wie vor im Gefängnis. Die Worte beider erregten öffentliches Interesse, machten auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam und wurden den staatlichen Behörden schließlich zu gefährlich.

Ein Mann legt an einem großen Porträtfoto von Anna Politkowskaja in Moskau eine Nelke nieder (Archivfoto; dpa)
Gedenken an die ermordete Kremlkritische Journalistin Anna PolitkowskajaBild: picture-alliance/dpa

Beide Fälle zeigen, dass Menschenrechtsaktivisten in ihrem Kampf gegen Unterdrückung jede Unterstützung brauchen. Amnesty International setzt sich seit 50 Jahren für gewaltlose politische Gefangene ein. 1961 veröffentlichte der Anwalt Peter Benenson in der britischen Zeitung "The Observer" den Artikel "Die vergessenen Gefangenen" und startete einen "Appell für Amnestie" (Appeal for Amnesty). Dieser forderte, alle Menschen weltweit freizulassen, die inhaftiert waren, nur weil sie ihre politische Meinung geäußert hatten. In Deutschland wurde Amnesty International von Journalisten und Schriftstellern gegründet. Seither setzt sich Amnesty International für Menschen ein, die in repressiven Staaten in Büchern und Zeitungen Kritik äußern und sich direkt oder indirekt für Menschenrechte einsetzen.

Eilaktionen helfen den Verhafteten

Monika Lüke, ehemalige Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland (Foto: DW/Per Henriksen)
Monika Lüke, ehemalige Generalsekretärin von Amnesty International DeutschlandBild: DW

Auch Amnesty International lebt vom Recht auf Meinungsfreiheit: Denn nur wenn Mitglieder und Unterstützer die Öffentlichkeit nutzen können, haben sie die Möglichkeit, auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen. Eine der wichtigsten Aktionsformen, um politischen Gefangenen und bedrohten Menschen direkt und schnell helfen zu können, sind Eilaktionen. Unterstützer protestieren und appellieren mit Briefen und E-Mails an die Behörden der Staaten, in denen Menschenrechte verletzt werden. Tausende von Appellschreiben gehen aus aller Welt bei den offiziellen Stellen ein und retten damit immer wieder Leben.

Allein im Jahr 2010 hat Amnesty International 267 neue Eilaktionen gestartet und 252 weitere Informationen zu Eilaktionen veröffentlicht. Ungefähr ein Drittel davon zogen positive Veränderungen nach sich: Freilassungen, Hafterleichterungen, die Aufhebung von Todesurteilen oder auch Anklagen gegen die Verantwortlichen von Menschenrechtsverletzungen.

Autorin: Monika Lüke
Redaktion: Ulrike Mast-Kirschning

Die promovierte Völkerrechtlerin Monika Lüke ist ehemalige Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International.