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Was tun in der Krise?

Ruth Kirchner3. März 2009

Millionen von Wanderarbeitern kehren seit Beginn der Wirtschaftskrise in ihre Heimatorte zurück. Dort sucht man jetzt nach neuen Perspektiven für sie.

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Chinesische Wanderarbeiter (Foto: Xiao Xu)
Inzwischen kehren viele Arbeiter zurück in die HeimatBild: Xiao Xu

In einer schlichten Halle im Ort Xingyang in der zentralchinesischen Provinz Henan sitzen rund 30 Arbeiter vor ihren Computer und starren auf die Bildschirme. Sie sind Teilnehmer eines kostenlosen Computerkurses für Wanderarbeiter. Auch der 42-jährige Fan Jianshe sitzt seit dem frühen Morgen in der fensterlosen Halle aus grauem Waschbeton und kämpft mit der Tastatur und den ungewohnten lateinischen Buchstaben. Mit schwieligen Fingern sucht er nach den richtigen Tasten, um ein einfaches Computerspiel am Laufen zu halten.

Zum ersten Mal an einem Computer

Computerkurs in Xianyang
Computerkurs in XianyangBild: Ruth Kirchner

"Wir haben unser Leben lang auf dem Feld oder in Fabriken gearbeitet", erzählt Fan. "Beim Üben am Computer tun uns jetzt manchmal die Finger weh, aber die Lehrer bringen uns alles sehr geduldig bei." Fan sitzt zum ersten Mal in seinem Leben an einem Computer. Bis zum vergangenen Herbst hatte er noch Arbeit in einer Ziegelsteinfabrik. Aber dann kam die Krise. In Xingyang sind die Folgen vielerorts sichtbar - leerstehende Fabrikhallen, halbfertige Bauten.

Auch Fans Werk ist jetzt geschlossen - wegen des kalten Winterwetters, so die offizielle Erklärung. Aber Fan vermutet, dass das nur die halbe Wahrheit ist. "Ich denke, jetzt mit der Finanzkrise braucht man schon Fachkenntnisse, wenn man einen geeigneten Job finden will", ist er sich sicher.

Sozialer Sprengstoff

Rund 20 Millionen Wanderarbeiter haben nach offiziellen Angaben im Zuge der Wirtschaftskrise in ganz China ihre Jobs verloren. Die Arbeitslosigkeit birgt sozialen Sprengstoff, die Regierung in Peking hat wiederholt vor sozialen Unruhen gewarnt. Wenn der Nationale Volkskongress, also Chinas Parlament, zu seiner jährlichen Sitzung in der Großen Halle des Volkes in Peking zusammenkommt, dürfte die Krise im Mittelpunkt stehen.

Li Guangzhi, Leiter der technischen Berufsschule Xianyang
Li Guangzhi, Leiter der technischen Berufsschule XianyangBild: Ruth Kirchner

Mit einem gewaltigen Konjunkturprogramm soll die Wirtschaft zwar wieder in Schwung gebracht werden. Man will den heimischen Konsum ankurbeln, um so einen Ausgleich zu den Exporten zu schaffen, die wegen der schwachen Nachfrage vor allem aus den USA dramatisch gesunken sind. Aber viele Wanderarbeiter, die nach dem chinesischen Neujahrsfest in ihren Dörfern geblieben sind, stehen erst einmal vor dem Nichts.

Mehrere Provinzen bieten Fortbildungen an

Die kostenlosen Computerkurse in Xingyang werden von der technischen Berufsschule des Ortes organisiert, eine private Einrichtung, die einst als kleine Computerschule anfing und mittlerweile rund 400 Schüler hat. Etwa die Hälfte sind Leute wie Fan: Arbeiter und Bauern, die ihre Aussichten, Jobs zu finden, verbessern wollen. Die Kosten für die Kurse tragen die örtliche Behörden, erzählt Gründer und Direktor Li Guangzhi. Sein Angebot hat er nach und nach ausgeweitet: "Seit letztem Jahr haben wir auch Lehrgänge für Schweißer und für digitale Steuerung und seit diesem Jahr kann man bei uns auch Autofahren lernen."

Ähnliche Fortbildungskurse werden mittlerweile in vielen Provinzen organisiert. Die Provinz Jiangsu etwa bietet Nähkurse für Wanderarbeiterinnen an und Trainings im Hotel- und Tourismusgewerbe. Günstige Kleinkredite sollen Arbeitslose zudem ermutigen, sich selbstständig zu machen - etwa kleine Läden oder Werkstätten zu eröffnen. Die Provinz Henan hat allein dafür rund 3,4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Jobangebote im Internet

Bauarbeiter in China (Quelle: AP)
Die Baubranche war einer der wichtigsten ArbeitgeberBild: AP

Doch für die meisten Teilnehmer der Computerkurse in Xingyang geht es zunächst einmal darum, Zeit zu überbrücken. So wie für die 25-jährige Liu Pingchen, die jahrelang weit im Süden der Provinz in einer Fabrik gearbeitet hat. "Bislang habe ich noch keinen Job gefunden, deshalb mache ich jetzt erst einmal diesen Computerkurs", sagt sie. Andere denken ganz pragmatisch. Der 42jährige Ding Dunshan will seine neuen Kenntnisse möglichst rasch anwenden. "Im Internet gibt es viele Jobangebote zum Beispiel als Schleifer oder Schweißer."

Kritiker der staatlichen Fortbildungsmaßnahmen bemängeln, dass damit die Probleme auf dem Land nicht gelöst werden. Die Arbeitslosen würden nur eine Weile "geparkt". Schulleiter Li Guangzhi, der selbst aus einer armen Bauernfamilie stammt, glaubt dennoch an die Kraft der Bildung.

Keine wirkliche Alternative

"Wenn man Fachkenntnisse hat, sind nicht nur die Löhne höher, man hat auch sicherere Arbeitsplätze", sagt er. Dieses Bewusstsein setzte sich langsam durch. "Ich hoffe, dass die Leute, die hier ausgebildet werden, auch hier als Fachkräfte Arbeit finden und damit die Entwicklung vor Ort voranbringen."

Aber die Möglichkeiten in den ländlichen Regionen sind begrenzt - und die Landwirtschaft allein kann die Menschen nicht ernähren. Nach Schätzungen der Provinzbehörden sind rund 80 Prozent der Wanderarbeiter aus Henan bereits wieder in den Städten, zumeist außerhalb der Provinz, und suchen nach Arbeit. Kostenlose Computerkurse waren für sie keine wirkliche Alternative.