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Bewohner und Bewacher

Arne Lichtenberg3. Dezember 2012

Wohnen in alten Kirchen, Schulen oder Schlössern für nur 175 Euro im Monat - als Hauswächter. Leerstehende Häuser sollen so vor Vandalismus und Verfall geschützt werden. Ein Prinzip, das Flexibilität vom Mieter verlangt.

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Hinweisschild "Bewacht durch Bewohnung" in einem Essener Wohnhaus Foto: Arne Lichtenberg (DW)
Bild: DW/A. Lichtenberg

Der Stadtteil Katernberg in Essen im Ruhrgebiet hat schon bessere Zeiten gesehen. Als früher in der nahegelegenen Zeche Zollverein noch Steinkohle gefördert wurde, prosperierte hier das Leben. Es gab genügend Arbeitsplätze, Geschäfte und Einkaufsmöglichkeiten. Doch als die Zeche 1993 endgültig geschlossen wurde, begann auch der Abstieg von Katernberg. Arbeitsplätze waren dahin, die sozialen Probleme stiegen, Wohnungen standen leer und verkamen.

Bis heute hat man das Problem noch nicht wieder komplett in den Griff bekommen. Manche Häuser sind verwaist, die Rollläden heruntergelassen. Es sieht nicht sonderlich einladend aus. Im Schaufenster eines ehemaligen Ladens klebt ein Poster im mit dem roten Schriftzug "Bewacht durch Bewohnung". Früher hatte in dem Haus einmal ein Friseur seinen "Salon Andreas". Mittlerweile ist Christoph Meinl hier eingezogen - direkt in der Wohnung nebenan, ist sein Zuhause. Doch Meinl, der eine Musikagentur betreibt, ist kein normaler Mieter: Er ist Hauswächter.

Frontseite eines Hauses mit Eingang und Schaufenster (Foto: DW/A. Lichtenberg)
Die Musikagentur von Christoph Meinl in Essen-KaternbergBild: DW/A. Lichtenberg

Wohnen zum Schnäppchenpreis

Christoph Meinls Wohnung ist großzügig geschnitten, mit zwei Zimmern, einer großen Küche und Bad. Nur 175 Euro pro Monat muss er zahlen - inklusive Strom, Heizung und aller Nebenkosten. Der Laden nebenan kostet noch einmal dasselbe - ein echtes Schnäppchen. Grund für den günstigen Preis ist Meinls Aufgabe, die Immobilie zu "bewachen" - ganz allein dadurch, dass er dort wohnt, lebt und arbeitet, also einfach anwesend ist.

Durch Zufall war er auf das ungewöhnliche Angebot der Firma Camelot gestoßen, als er nach einer geeigneten Wohnung suchte. "Ich wusste gar nicht, was die Hauswächter eigentlich sind", sagt er. Seine erste Assoziation: ein Wachmann, der Geld für seine Dienste erhält. Dann lernte er, dass es um das Bewohnen ganzer Häuser geht. Für ihn sei das Angebot perfekt gewesen, seine Musikagentur liegt nur wenige Schritte von seiner Wohnung entfernt. Wenn er Lust hat, kommt er schnell vom Garten aus in sein Büro. "Großes Wohnen für wenig Geld," nennt Meinl das.

Hauswächter Christoph Meinl (Foto: DW/A. Lichtenberg)
Christoph Meinl: "Großes Wohnen für wenig Geld"Bild: DW/A. Lichtenberg

Camelot kommt zum unangemeldeten Besuch vorbei

Doch an einige Regeln muss er sich halten, die für normale Mieter nicht gelten würden: "Ich muss Bescheid geben, wenn ich über einen längeren Zeitraum weg bin. Im Normalfall ist das aber eigentlich kein Problem", sagt Meinl. Direkt im Flur seiner Wohnung ist unübersehbar die Hausordnung angebracht. Dort ist penibel aufgelistet, was erlaubt ist und was nicht: Rauchen verboten, keine Tiere, keine Kerzen und keine Partys. Mindestens einmal im Monat bekommt er dann auch noch unangemeldet Besuch von Camelot. Darunter leide die Privatsphäre schon, räumt er ein, aber es würden ja keine Schränke oder Schubladen aufgemacht.

Camelot ist eine Firma aus den Niederlanden, die dort schon seit mehr als 20 Jahren im Geschäft ist. Damals war der heutige Chef noch Student und auf der Suche nach einer günstigen Wohngelegenheit. Aus dieser Situation entstand die Geschäftsidee: Camelot verwaltet die Immobilien für die Eigentümer und gibt sie an die Hauswächter weiter. Gebäude, die die Eigentümer auf dem normalen Mietmarkt nicht vermittelt bekommen. Häuser, deren Schicksal sonst wohl besiegelt wäre. Broken-Windows-Theorie nennt man das: Sind erst die Fenster kaputt, steht der vollständigen Verwahrlosung eines Hauses nichts mehr im Wege.

Rasen vor Wohnhaus (Foto: DW/A. Lichtenberg)
Christoph Meinl hat sogar einen großen Rasen - muss ihn aber auch mähenBild: DW/A. Lichtenberg

"Durch die Anwesenheit der Hauswächter vermeiden die Besitzer die gesamten unschönen Nebeneffekte eines Leerstands: möglichen Vandalismus, Einbrüche, Beschädigung jeder Art", sagt Karsten Linde, der in Düsseldorf das Camelot-Geschäft für Deutschland betreut. Seit Ende 2010 ist die Firma auch hierzulande aktiv, außerdem noch in fünf weiteren europäischen Staaten. Etwa 4000 Gebäude mit über 10.000 Hauswächtern betreut Camelot allein in Deutschland.

Alles dabei: Krankenhaus, Gutshaus oder Märchenschloss

In Lindes Büro im Düsseldorfer Stadtteil Lörick hängen Fotos von interessanten Hauswächter-Objekten an der Wand. "Ein paar Schmuckstücke haben wir schon im Angebot", sagt Linde. "Eine stillgelegte Schule in Berlin, ein Krankenhaus, brandneue Einfamilienhäuser mit Garten, alte Gutshäuser mit Antiquitäten in Hamburg, aber auch Kirchen, Flugplätze und ein altes Märchenschloss."

Fürs märchenhaft günstige Wohnen in Schule oder Schloss müssen die Hauswächter aber viel Flexibilität mitbringen. Innerhalb von nur vier Wochen kann ihnen gekündigt werden, wenn der Eigentümer sein Gebäude wieder selbst verwalten möchte. Dann muss der Bewacher schnell wieder ausziehen und sich etwas Neues suchen. Deshalb seien es doch meistens junge Leute, selten Familien, die sich für das preiswerte Wohnmodell interessieren, sagt Karsten Linde. Allerdings nicht ausschließlich: Vor Kurzem meldete sich bei ihm eine 64-jährige Bewerberin. Die suchte für einen kurzen Zeitraum eine Bleibe, weil sie ihre alte Wohnung bereits verkauft hatte, die Neue aber erst im kommenden Jahr fertig wird.

Karsten Linde, Business Development Director bei der Camelot GmbH in Düsseldorf (Foto: DW/A. Lichtenberg) Foto: Arne Lichtenberg (DW)
Karsten Linde: "Wir vermeiden Vandalismus und Beschädigung"Bild: DW/A. Lichtenberg

Viel verändern dürfen die Hauswächter in den Gebäuden nicht, die sie bewohnen. Größere Umbauarbeiten sind ausgeschlossen, alle kleineren Maßnahmen müssen mit Camelot abgesprochen und genehmigt sein. So dürfen die Wände zwar gestrichen aber nicht tapeziert werden. Christoph Meinl hat dafür eine passende Möglichkeit gefunden. Er hat sich eine Fototapete besorgt, die er mit Reißzwecken an der Wand befestigen kann. Die wird er dann schnell wieder abnehmen, wenn ein neuer Eigentümer vor der Haustür steht.