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Midnight Express - reloaded

Udo Bauer6. Juli 2007

Seit Wochen ist es der Aufreger in deutschen Medien: Ein 17jähriger Deutscher sitzt in der Türkei in Untersuchungshaft wegen sexuellen Missbrauchs. Die Aufregung hierzulande ist nicht immer hilfreich.

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Bild: DW
Udo Bauer

Abdullah Yildiz heißt der Richter, der über das Schicksal von Marco W. zu urteilen hat. Er gilt als höflicher, besonnener Familienmensch. Schreibt die Bild-Zeitung. Das erste halbwegs Positive über die Türkei in der 'Bild‘ seit Wochen. Marco W. wird sexueller Missbrauch einer 13jährigen Engländerin vorgeworfen. Im April soll er die Britin auf ihrem Hotelzimmer sexuell belästigt haben. Sie sagt, das sei passiert während sie schlief. Er behauptet, verführt worden zu sein von Charlotte, die von sich behauptet habe schon 15 zu sein. Hier steht Aussage gegen Aussage. Es ist Aufgabe des Schwurgerichts von Antalya, die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen und ein Urteil zu fällen. Das ist in jedem halbwegs funktionierenden Rechtsstaat so, und das ist auch gut so.

Falsche Maßstäbe

Was den Fall nun so aufregend macht sind die Begleitumstände. Marco sitzt seit April in Untersuchungshaft. Das ist eine verdammt lange Haftzeit für einen Jugendlichen, der möglicherweise unschuldig ist. Marco muss sich eine Zelle mit 30 anderen Häftlingen teilen. Es gibt nur eine Dusche und eine Toilette für alle. Das ist verdammt hart. Aber: Hier geschieht alles nach den Gesetzen der Türkei. Und im türkischen Recht gibt es keine besseren Haftbedingungen für Leute aus reichen Ländern. Finden wir doch im Prinzip gut - vergleiche Paris Hiltons Knastepisode. Beim Fall Marco aber werden in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit andere Maßstäbe angelegt. Da glaubt man bedenkenlos Marcos Version der Bettgeschichte. So nach dem Motto: 'Rumgemacht haben wir doch alle in dem Alter!‘.

Falsche Vorstellungen

Hinzu kommen unsere Bilder im Kopf. Viele stellen sich das Gefängnis von Antalya so vor, wie das Gefängnis im Film "Midnight Express“, in dem ein amerikanischer Drogenschmuggler regelmäßig brutal geschlagen und vergewaltigt wird. Von Brutalität und sexuellen Übergriffen ist im Fall Marco nichts bekannt. Bekannt ist aber, dass Marco ein Angebot ausgeschlagen hat, in ein anderes, besseres Gefängnis verlegt zu werden, weil er so gut mit seinen Mitgefangenen auskam. Es gibt in der Türkei moderne Haftanstalten, die durchaus mit europäischen Standards mithalten können. Antalya war mit der Renovierung nur noch nicht an der Reihe. Also: "Midnight Express" ist ein guter Film, hat aber nicht mehr viel mit der Türkei im Jahre 2007 zu tun.

Appell an die Türken

Dass Medien wie die 'Bild‘ und andere die sofortige Freilassung von Marco fordern, dass die Türken als sexuell verklemmt beschimpft wurden, ist zwar unsachlich, aber legitim für ein Meinungsblatt. Dass deutsche Politiker in ein ähnliches Horn stoßen, ist unverantwortlich. Da wurde zum Beispiel an die türkische Regierung appelliert, Marco freizulassen. Mit dem Hinweis, dass die türkische Justiz unabhängig ist, tat die Türkei genau das, was die Bundesrepublik immer tut bei vergleichbaren Forderungen aus dem Ausland. Trauriger Höhepunkt aber war die Äußerung einer deutschen Europaabgeordneten, die der Türkei EU-Untauglichkeit vorwarf. Vergessen wurde dabei offensichtlich, dass die Türkei vor Jahren auf Druck der EU den Paragrafen zum sexuellen Missbrauch zum Wohle von Frauen, insbesondere zum Wohle von Kindern unter 14 Jahren, reformiert hat. Mit leiser Diplomatie erreicht man hier sicher mehr.

Im Rahmen des Gesetzes

Je mehr man so Druck auf die Türken ausübt, umso mehr erweist man Marco einen Bärendienst. Die türkische Justiz wurde schon heftig in ihrer Ehre gekränkt. Sie könnte versucht sein, an Marco aus Trotz ein Exempel zu statuieren - alles im Rahmen des Gesetzes, versteht sich. Aber vielleicht lässt sich Marcos Richter ja nicht provozieren. Wie gesagt: Abdullah Yildiz ist ein höflicher, besonnener Mensch. Schreibt 'Bild‘.